Verfügung eines BGH-Senatsvorsitzenden: Keine Revisionshauptverhandlung ohne Verteidiger

07.10.2014

Über eine Revision in Strafverfahren ohne jede Beteiligung des Angeklagten zu verhandeln, verstößt nach Ansicht des 2. Strafsenats des BGH gegen die Menschenrechtskonvention. Dessen Vorsitzender Thomas Fischer hat daher verfügt, dass in allen Hauptverhandlungen des Revisionsgerichts der Wahlverteidiger des Angeklagten zum Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn er nicht erscheint oder dies ankündigt. In allen Hauptverhandlungen beim BGH?

Nach Artikel 6 Abs. 3 c der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht es jedem Beschuldigten zu, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Wahlverteidiger verteidigen zu lassen. Nach Ansicht des 2. Strafsenats ist die bisherige Praxis des Bundesgerichtshofs (BGH), über Revisionen ganz ohne Beteiligung des Angeklagten zu verhandeln, ein Verstoß gegen dieses Verfahrensrecht. Der Senatsvorsitzende Prof. Dr. Thomas Fischer hat, wie am Montag bekannt wurde, verfügt, dass zumindest ein Pflichtverteidiger die Interessen des Angeklagten vertreten muss (Verfügung v. 25.09.2014, Az. 2 StR 163/14).

Auf Nachfrage der LTO stellte die Pressesprecherin des BGH, Dr. Karin Milger, klar, dass es keineswegs gängige Praxis der höchsten deutschen Strafrichter sei, in Abwesenheit des Angeklagten ohne einen Verteidiger zu verhandeln.

Der 4. und 5. Senat hielten die Anwesenheit eines Verteidigers schon seit jeher für erforderlich. Lediglich der 3. Senat sehe das mit Blick auf den Wortlaut der Vorschrift des § 350 Abs. 3* Strafprozessordnung (StPO), der einen Antrag des Angeklagten voraussetzt, formaljuristisch möglicherweise anders als Fischer. Vom Vorsitzenden des 1. Senats sei so schnell keine Stellungnahme zu erlangen gewesen. Praktisch kommt es jedoch laut Milger "eigentlich nicht vor", dass in der Revisionshauptverhandlung über einen unvertretenen Angeklagten verhandelt werde.

Nur für den Vorsitzenden, der sie erlässt

Auch wenn eine solche Bestellung zum Pflichtverteidiger für Wahlverteidiger Nachteile haben könne, weil sie als Pflichtverteidiger gegebenenfalls weniger verdienen, fürchtet Sprecherin Milger mangels praktischer Relevanz keine Reaktionen auf die Verfügung Fischers. Ein Rechtsmittel gegen die Verfügung gibt es ohnehin nicht, in der Sache hätten die Verteidiger die geringere Vergütung als Sonderopfer hinzunehmen, befand der 2. Senat.

Auch von einem internen Konfliktpotenzial beim BGH geht die Pressesprecherin nicht aus. Ob der Angeklagte einen Verteidiger braucht, entscheidet nach § 350 Abs. 3* StPO der Vorsitzende, nicht der gesamte Senat. Die Verfügung von Thomas Fischer gilt also nach Angaben von Milger möglicherweise nicht einmal für alle Revisionsverhandlungen vor dem 2. Senat, wenn dieser zum Beispiel in dessen Urlaub ohne Fischer tagt. Jedenfalls ist eine Verfügung des Vorsitzenden eines Senats nicht rechtlich bindend für die anderen Senate des Bundesgerichts.

Auch eine Entscheidung des Großen Senats könnte die Verfügung des als veränderungs- und konfliktfreudig geltenden Fischer wohl als prozessleitende Maßnahme gar nicht auslösen. Der große Senat muss sich nämlich nur mit "Entscheidungen" befassen. Verfügungen dürften darunter nicht fallen.

pl/una/LTO-Redaktion

*In einer vorherigen Version dieses Artikels stand hier noch "Abs. 2". Geändert am 16.10.2014, 17.43 Uhr.

Zitiervorschlag

Verfügung eines BGH-Senatsvorsitzenden: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13402 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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