BGH entscheidet Meinungsstreit zu Täterschaft und Teilnahme: Auch ein stra­fun­mün­diges Kind kann man an­s­tiften

von Hasso Suliak

21.12.2023

Strafrecht für Feinschmecker und hochgradig examensrelevant: Der BGH hat einen Beschluss zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung veröffentlicht – und damit einen langjährigen Meinungsstreit entschieden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die praxis- und examensrelevante Frage entschieden, ob die Einflussnahme auf einen Strafunmündigen mit dem Ziel, ihn zur Begehung einer Straftat zu bewegen, nur in der Form der mittelbaren Täterschaft oder auch als Anstiftung möglich ist (Beschl. v. 13.09.2023, Az. 5 StR 200/23). Bejaht hat der 5. Strafsenat in seinem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss letztere Variante. Im konkreten Fall wurde daraufhin der Schuldspruch der Vorinstanz – Landgericht (LG) Kiel – entsprechend abgeändert: Statt des versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft wurde der Angeklagte wegen versuchter Anstiftung zum Mord verurteilt.

Der Mann hatte versucht, ein nach § 19 Strafgesetzbuch (StGB) als schuldunfähig geltendes Kind zum Mord an seiner Mutter zu bewegen. Diese war bis vor kurzem noch seine Schwägerin gewesen, dann aber aus Angst vor den Gewaltexzessen ihres Ex-Partners, der Bruder des Angeklagten, in ein Frauenhaus geflüchtet.*

Dort sollte der 11-jährige sie mit einem Messer erstechen. Bei einem Treffen mit dem Jungen in der Kieler Innenstadt hatte der Angeklagte laut BGH dem Kind seinen ernstgemeinten Plan enthüllt: Der Junge solle abends, wenn die Mutter im Bett liege und schlafe, ein scharfes Messer aus der Küche holen und sie töten, weil die Mutter "schlechte Sachen" gemacht habe. Auf seinem Mobiltelefon zeigte er dem Kind zudem ein Video, in dem ein Mann eine andere Person erstach. Weitere Vorgaben zur Tat machte der Angeklagte nicht, heißt es in dem Beschluss. Das Kind sollte die Tat vielmehr "eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit begehen". Im Gegenzug versprach der Angeklagte dem Jungen Süßigkeiten, die Rückgabe von weggenommenen Spielsachen und den Kauf eines Motorrades.

Allerdings ging der Plan des Mannes nicht auf: Der verängstigte Junge ging nach den Feststellungen der Vorinstanz auf das Tötungsansinnen nur zum Schein ein und berichtete seiner Mutter vom Ansinnen seines Onkels. Die Mutter erstattete Strafanzeige, der Bruder ihres ehemaligen Partners wurde verurteilt.

Mittelbarer Täter oder Anstifter?

Der BGH hatte sich nunmehr mit der dogmatischen Frage auseinanderzusetzen, ob der Angeklagte als mittelbarer Täter eines Mordversuchs in Betracht kommt, weil er das Geschehen mit seinem steuernden Willen in den Händen gehalten habe oder "nur" als (versuchter) Anstifter. Im letzteren Fall sieht das Gesetz in § 30 Abs. 1 S. 2 StGB zwingend eine Strafmilderung vor. Bei der Versuchsstrafbarkeit "kann" die Strafe nur unter bestimmen Umständen gemildert werden (§ 23 Abs. 2 StGB).

Dogmatisch musste das Gericht hier für sich Neuland betreten: Denn, ob das Veranlassen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat eines Strafunmündigen nur als mittelbare Täterschaft anzusehen ist oder auch als bloße Anstiftung zu bewerten sein kann, hatte der BGH nach eigenen Worten bislang noch nicht "tragend" entschieden.

In der strafrechtlichen Literatur ist die Frage seit längerem umstritten: Bedeutsame StGB-Kommentatoren (z.B. im Schönke/Schröder/Heine/Weißer oder im MüKo) vertraten bislang die Auffassung, dass der die Tat eines Strafunmündigen veranlassende Hintermann stets und ausschließlich als mittelbarer Täter anzusehen sei. Begründet wird dies insbesondere für Kinder mit der Wertung des Gesetzgebers in § 19 StGB. Als Folge der in dieser Vorschrift angeordneten Strafunmündigkeit treffe die Verantwortung für das Tun von Kindern den tatveranlassenden Hintermann.

BGH: 11-jähriger hatte genug Reife, das Unrecht der Tat einzusehen

Dem widersprach der BGH nun in seinem insgesamt lesenswerten Beschluss und schloss sich der Gegenansicht an: Eine mittelbare Täterschaft sei nur dann anzunehmen, wenn das Kind tatsächlich ohne Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit handele. Bei der Begründung dieser Position widmete sich der Senat ausführlich auch der historischen Entwicklung der gesetzlichen Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme. Auch aus dieser ergebe sich, dass der Gesetzgeber das Bestimmen eines schuldlos Handelnden zu einer Straftat nicht in jedem Fall als (mittelbare) Täterschaft angesehen habe. Zwar sei in aller Regel, so der BGH, davon auszugehen, dass bei Kindern tatsächlich ein Defizit vorliege, das die Tatherrschaft des Hintermanns begründe, unausweichlich sei dies jedoch nicht.

Im konkreten Fall verneinte der BGH daraufhin die Tatherrschaft des Angeklagten. Schließlich habe dieser selbst auch nicht an der Reife des Kindes zur Einsicht in das augenfällige Unrecht der Tat – Tötung der eigenen Mutter – gezweifelt. Er habe auch nicht versucht, dem Kind das Unrecht der Tat zu verschleiern oder sich sonst ein altersbedingtes Reifedefizit zunutze zu machen. Er legte das Unrecht seines Ansinnens vielmehr offen, indem er erklärte, dass er selbst – würde er die Tat begehen – ins Gefängnis käme.

Auch sonst habe der Angeklagte keinen steuernden Einfluss auf das weitere Tatgeschehen besessen. "Er gab die Wahl des in ungewisser Zukunft liegenden Tatzeitpunkts und die Einzelheiten der Tatausführung aus der Hand und überantwortete beides gänzlich dem Kind. Die Tat sollte nach seiner Vorstellung zudem nach dessen Rückkehr in das Frauenhaus begangen werden, mithin an einem ihm unbekannten Ort, an dem er – wie er wusste – keinerlei Einfluss ausüben konnte", so der BGH.

* Anm. d. Red.: In der ursprünglichen Fassung war fälschlicherweise der Vater und ehemalige Partner der Mutter, die in dem Verfahren als Nebenklägerin auftrat, als Anstifter bezeichnet worden. Tatsächlich war es aber dessen Bruder, also der Onkel des Kindes und ehemalige Schwager der Nebenklägerin, der versucht hat, das Kind anzustiften.

Zitiervorschlag

BGH entscheidet Meinungsstreit zu Täterschaft und Teilnahme: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53476 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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