BGH zur ärztlich assistierten Selbsttötung: Der Pati­en­ten­wille zählt

03.07.2019

Der BGH hat ein Grundsatzurteil zur Sterbebegleitung getroffen: Ein Arzt ist nicht dazu verpflichtet, Patienten nach einem Suizidversuch das Leben zu retten. Zumindest, wenn die Entscheidung zum Sterben freiwillig und bewusst getroffen wurde.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Freisprüche zweier Ärzte in Sterbehilfe-Fällen bestätigt. Die Mediziner seien nicht verpflichtet gewesen, den Patientinnen nach deren Suizidversuch das Leben zu retten (Urt. v. 03.07.2019, Az. 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18). Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig bestätigte damit am Mittwoch vorherige Urteile der Landgerichte (LG) in Berlin und Hamburg. Diese hatten jeweils entschieden, dass der Patientenwille zu achten sei.

In dem Hamburger Fall ging es um zwei ältere Damen über 80, die 2012 ihr Leben beenden wollten. Sie wandten sich dafür an die Sterbehilfeorganisation Sterbehilfe e.V. Der Angeklagte, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, begutachtete für den Verein die beiden Damen. Er stellte fest, dass beide einsichts- und urteilsfähig und ihre Sterbewünsche wohlerwogen waren. Später wohnte er der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei. Ihm wird vorgeworfen, nichts zur Rettung der Frauen unternommen zu haben, als beide bewusstlos wurden.

Außerdem ging es um eine chronisch kranke 44-Jährige aus Berlin, die 2013 ihr Leben ebenfalls beendete. Ihr heute 70 Jahre alter Hausarzt hatte ihr ein starkes Schlafmittel verschrieben. Davon nahm sie eine mehrfach tödliche Dosis. Der Arzt betreute die nach Einnahme des Medikaments Bewusstlose – wie von ihr zuvor gewünscht – während ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung ihres Lebens leistete er nicht.

Die Landgerichte in Berlin und Hamburg sprachen die Mediziner jeweils von den Vorwürfen frei. Es sei der klare Wille der Patienten gewesen, ihr Leben zu beenden. Dieser Wille sei zu respektieren, so die Gerichte. Gegen die Freisprüche hatten die Staatsanwaltschaften Revision eingelegt.

Keine Rettung gegen Patientenwillen

Der Leipziger Strafsenat hat die Revisionen der Staatsanwaltschaft nun verworfen und damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden, entschied der BGH. In beiden Fällen hätten die Landgerichte aber rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden "Lebensmüdigkeit" und waren laut BGH nicht Ergebnis psychischer Störungen. 

Die Ärzte seien auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht zur Rettung verpflichtet gewesen, so der BGH weiter. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens habe schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben, entschied das Gericht. 

Der Angeklagte im Berliner Verfahren sei jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden gewesen.  

Eine Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde laut BGH ebenfalls nicht in strafbarer Weise verletzt. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen darstellten, seien Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten gewesen.   

Kritik vom Marburger Bund

35 Jahre nach dem umstrittenen Urteil im Fall Wittig (Urt. v. 04.07.1984, Az. 3 StR 96/84) hat der BGH nun seine Rechtsprechung geändert. Damals hatte der BGH noch entschieden, dass Ärzte sich unter Umständen doch strafbar machen, wenn sie bewusstlose Patienten nicht zu retten versuchen.

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland nicht erlaubt. Seit 2015 gilt zudem das Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Dieses zielt auf Sterbehilfe als Geschäftsmodell organisierter Vereine. Gegen das Verbot haben schwerkranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfe-Vereine beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Eine Entscheidung in Karlsruhe wird im Herbst erwartet. Weil die vom BGH behandelten Fälle älter waren, spielte das Gesetz keine Rolle in dem Verfahren.

Die Deutsche Sterbehilfe bezeichnete das Leipziger Urteil als eine "für das Selbstbestimmungsrecht epochale Abkehr" von der Entscheidung aus dem Jahre 1984. Für den Verein habe das bedeutet, dass der Sterbehelfer den Suizidenten verlassen musste, bevor dieser bewusstlos wurde. "Mit dieser unwürdigen Situation ist nun Schluss", erklärte die vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch geleitete Vereinigung.

Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes, kritisierte das Urteil hingegen. "Unsere ärztliche Aufgabe ist es, Leben zu erhalten und Leiden zu lindern. Die Mitwirkung an der Selbsttötung ist keine solche ärztliche Aufgabe. Unsere Berufsordnung lässt daran keinen Zweifel: Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten", so Henke in einer Mitteilung. Das Selbstbestimmungsrecht von Patienten sei zwar zu achten, so Henke weiter. "Es gibt aber Grenzen ärztlichen Handelns, die sich aus unserem beruflichen Selbstverständnis ergeben."

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BGH zur ärztlich assistierten Selbsttötung: . In: Legal Tribune Online, 03.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36265 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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