Bereits zweimal saß Sylvia Stolz wegen Volksverhetzung in Haft. Ein weiteres Verfahren endete mit einem Freispruch, weil die Äußerungen in einem Fax an das Finanzamt standen. Ist das schon ein "Verbreiten"? Darüber verhandelte der BGH.
Das Strafrecht setzt der Meinungsfreiheit bei Volksverhetzung und Holocaustleugnung in § 130 Strafgesetzbuch (StGB) Grenzen. Doch bleibt straffrei, wer seine Gedanken in einem Schreiben an eine Behörde schickt? Immerhin setzt eine Strafbarkeit nach § 130 StGB ein "Verbreiten" voraus.
So hatte es das Landgericht (LG) München II bei einem Fax der einschlägig vorbestraften Sylvia Stolz aus dem oberbayerischen Ebersberg an das Finanzamt gesehen – und sie freigesprochen. Da sich dort nur wenige Menschen mit den Ausführungen befassten und diese der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sah die 4. Strafkammer unter anderem mit Verweis auf die "hohe Datensensibilität der Finanzbehörden" kein "Verbreiten" im Sinne des Straftatbestandes. Das Dokument sei zudem als Einspruch zu einem Steuervorgang gemeint gewesen und so auch behandelt worden (Urt. v. 10.08.2023, Az. 4 KLs 11 Js 44491/21).
Die Staatsanwaltschaft (StA) legte gegen das Urteil Revision ein, sodass der Fall nun in Karlsruhe am Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt wurde.
339 Seiten langes Dokument
Die ehemalige Anwältin Stolz, die nicht zur Verhandlung am BGH erschienen war, hatte schon zweimal wegen Volksverhetzung im Gefängnis gesessen.
In dem Fall, in dem es nun in Karlsruhe ging, schickte sie im Jahr 2021 ein 339 Seiten langes Schreiben an das Finanzamt München. Im Grunde nur auf den ersten Seiten geht es den Angaben der Staatsanwaltschaft (StA) nach um eine Steuerangelegenheit. Auf den Seiten 36 bis 89 stelle die Angeklagte mehrmals "den geschichtlich anerkannten Holocaust" – also den Massenmord an europäischen Juden durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg – in Abrede. An anderer Stelle diskriminiere Stolz Ausländer und thematisiere die Corona-Politik, so die StA.
Wegen "Reichsbürger"-Verdachts schaltete die Finanzbehörde die Polizei ein. So landete der Fall schließlich vor Gericht; erst in München, nun in Karlsruhe.
StA: "Es genügt eine gewisse Streuung"
Die StA argumentiert, dass auch bei einem Fax ans Finanzamt mit einer Kettenverbreitung zu rechnen sei. Der Absender könne den Personenkreis nicht kontrollieren, an den das Schreiben weitergereicht wird. Für eine Verbreitung reiche das, sagte der Staatsanwalt während der Verhandlung: "Es genügt eine gewisse Streuung." Am Ende könnten die beanstandeten Passagen sogar in einem öffentlichen Prozess vorgetragen werden.
Stolz' Anwalt entgegnete, selbst bei einer Weitergabe an Strafverfolgungsbehörden hätten immer nur jene Menschen damit zu tun, die sich damit dienstlich befassten. Das sei ein eng begrenzter Personenkreis. Kein Beamter kopiere ein solches Dokument und verteile es in der gesamten Behörde oder steche es an Medien durch, von einem "Verbreiten" könne keine Rede sein.
Verteidigung: "§ 130 StGB kann nicht uferlos angewandt werden"
Zudem könne § 130 StGB nicht uferlos angewandt werden, gerade weil er eine Ausnahme zur im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit sei und bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsehe, so der Anwalt. Ansonsten dürfe man Strafbares nur noch denken und nicht mal mit zwei, drei Vertrauten darüber sprechen.
Der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer sprach von einer "interessanten Rechtsfrage". Er diskutierte auch andere Versionen durch, zum Beispiel was wäre, wenn man ein Schreiben mit verwerflichem Inhalt an eine Privatperson schicke.
Unterschiedlicher Auffassung sind Anklage und Verteidigung auch, wie schlüssig oder widersprüchlich das LG argumentiert hat und ob sich daraus Rechtsfehler geben. Seine Entscheidung dazu will der 3. Strafsenat des BGH am 25. September verkünden (Az. 3 StR 32/24).
dpa/ms/LTO-Redaktion
BGH verhandelt zur Holocaustleugnung: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55255 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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