Die Grundsteuer bereitet geradezu notorisch verfassungsrechtliche Probleme. Nun hat sich erstmals der Bundesfinanzhof mit den neuen Bewertungsvorschriften des Bundes befasst – und die verfassungsrechtlichen Bedenken nur bedingt ausgeräumt.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Bewertungsregeln zur Grundsteuer 2018 für verfassungswidrig erklärte, haben sich Bund und Länder enorm bemüht, die Grundsteuer auf ein verfassungskonformes Fundament zu stellen. Immerhin ist die finanzielle Bedeutung der Grundsteuer erheblich: Mit einem Aufkommen von rund 15 Milliarden Euro jährlich ist sie für die Gemeinden, denen der Ertrag zusteht, unverzichtbar. Entsprechend wichtig ist eine rechtssichere, verfassungskonforme Grundlage.
Eine solche haben Bund und Länder versucht, zu schaffen. Nach dem Urteil des BVerfG wurde zunächst die Gesetzgebungskompetenz über die Grundsteuer geändert: Nach Art. 105 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) hat nunmehr der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, wobei allerdings die Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 GG Abweichungen treffen können. Das erklärt, warum es neben einem Bundesgesetz, das einige Länder übernommen haben, teilweise auch abweichende Landesgesetze über die Grundsteuer gibt.
Doch schon Ende vergangenen Jahres äußerte das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Bewertungsvorschriften des Bundes. Gegen seinen Beschluss legte das Finanzamt Beschwerde ein, sodass sich nun erstmals der Bundesfinanzhof (BFH) mit der neuen Grundsteuer zu befassen hatte. Die Münchner Richter haben entschieden, dass Grundeigentümer einen niedrigeren Immobilienwert nachweisen dürfen, wenn der vom Finanzamt pauschal festgestellte Wert deutlich zu hoch ist (Beschl. v. 27. Mai 2024, Az. II B 78/23).
Gründstücke müssen realitätsgerecht bewertet werden
Zu diesem Ergebnis kam der BFH im Wege der verfassungskonformen Auslegung: Danach müsse "dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren Wert nachzuweisen".
Eigentlich hatte der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit gerade nicht vorgesehen, sodass man eher von einer – methodisch bedenklichen – verfassungskonformen richterlichen Rechtsetzung sprechen muss. Dem BFH ging es offenbar darum, das Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu vermeiden. Statt wie schon die Vorinstanz das Gesetz verfassungsrechtlich zu beanstanden, hat der BFH es eigenmächtig um eine Einzelfallprüfung ergänzt.
Das verfassungsrechtliche Problem an der Grundsteuer ist die gleichmäßige Bewertung der Grundstücke – 36 Millionen sind es an der Zahl. Angesichts dieser Masse gesteht das BVerfG – und ihm folgend der BFH – dem Gesetzgeber einen gewissen Spielraum zu. Insbesondere sind Typisierungen und Pauschalierungen zulässig; das heißt, es muss nicht bei jedem einzelnen Grundstück der exakte Wert festgestellt werden, sondern man kann den Wert aus abstrakten Kriterien (etwa der Lage des Grundstücks, dem Baujahr des Gebäudes, etc.) grob ableiten. Diese Feststellung treffen die Finanzämter.
Im Zentrum der Grundsteuer steht der sogenannte Belastungsgrund; das ist der Maßstab, anhand dessen die Steuerschuld bemessen wird. Dieser lag im Modell des Bundes, wie der BFH mit Verweis auf die Gesetzesbegründung feststellte, im sogenannten Sollertrag, also der durch den Grundbesitz vermittelten potenziellen Leistungsfähigkeit. Der Sollertrag entspricht – vereinfacht gesagt – in der Regel dem erzielbaren (Netto-)Mietertrag.
Für die Vereinbarkeit der Grundsteuer mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG heißt das, dass jeder Grundeigentümer entsprechend seiner durch den Grundbesitz vermittelten potenziellen Leistungsfähigkeit besteuert werden muss. Demnach wäre Art. 3 Abs. 1 GG zum Beispiel dann verletzt, wenn zwei Grundstücke jeweils mit 1.000.000 Euro bewertet würden, dies jedoch nur bei einem der Grundstücke dem tatsächlichen Wert entspricht, während das andere Grundstück nachweislich nur 500.000 Euro wert ist.
Deutliche Überbewertung des Gebäudes
In dem Fall, den der BFH zu entscheiden hatte, ging es um ein 1880 gebautes Einfamilienhaus. Die Antragstellerin, der das Haus gehört, wies darauf hin, dass seit 1880 keine wesentlichen Renovierungen vorgenommen worden seien. Da die Bewertungsregeln nicht vorsehen, einen solchen wertmindernden Umstand zu berücksichtigen, wurde das Haus viel zu hoch bewertet.
In solchen Fällen einer deutlichen Überbewertung haben Grundeigentümer nach dem Beschluss des BFH die Möglichkeit, einen geringeren Wert nachzuweisen. Voraussetzung dafür ist, dass sich "der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist" – eine Bedingung, die in Zukunft für viele Streitigkeiten sorgen dürfte.
Insgesamt wird sich der Aufwand für die Finanzämter – und sicher auch die Anzahl der Streitigkeiten vor den Finanzgerichten – durch den Beschluss des BFH deutlich erhöhen. Ob das im Sinne des Gesetzgebers war, ist fraglich.
Die Grundsteuer wird rechtspolitisch wie rechtswissenschaftlich immer wieder grundlegend infrage gestellt: Sie verursache insbesondere einen enormen administrativen Aufwand, sorge sozialpolitisch für erhöhte Wohnkosten, lasse sich mit Art. 3 Abs. 1 GG nur schwer vereinbaren und führe – zusammen mit der Einkommensteuer auf den Mietertrag – zu einer übermäßigen Doppelbesteuerung von Grundbesitz.
Grundsatzentscheidung zur neuen Grundsteuer: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54767 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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