Kein Abschiebestopp nach Afghanistan: Und sie fliegen doch

von Tanja Podolski

01.06.2017

Die Bundesregierung setzt Abschiebungen nach Afghanistan nicht generell aus. Zwar müsse eine neue Beurteilung der Lage erfolgen. Doch Straftäter, Gefährder und Menschen, die sich der Feststellung ihrer Identität verweigern, müssen weiter ausreisen. 

Nach dem Terroranschlag in Kabul von Mittwoch soll das Auswärtige Amt (AA) die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewerten. Darauf haben sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bundesinnenminister Thomas De Maiziere (CDU) für die Bundesregierung geeinigt. Die Neubewertung könne bis Juli dauern, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Ministerien vom Donnerstag.

Bei dem Anschlag auf die deutsche Botschaft waren mindestens 90 Menschen getötet und 400 verletzt worden.  Deutsche Medien hatten daraufhin berichtet, dass ein für den Mittwoch geplanter Abschiebeflug nach Kabul abgesagt worden sei.

Die deutsche Botschaft in Kabul kann ihren Lagebericht, der Grundlage der Neubewertung durch das AA ist, erst erstellen, wenn sie wieder funktionsfähig ist. Entgegen anders lautenden Berichten werden aber nicht alle Abschiebungen bis dahin ausgesetzt, teilte die Bundesregierung mit. "Terroristische Gefährder" und "Straftäter" sowie Menschen, die sich "hartnäckig der Identitätsfeststellung" verweigern, werden – wenn auch nach einer Prüfung im Einzelfall - weiterhin rückgeführt.

Ausreise weiter fördern

Nicht abgeschoben werden derzeit offenbar junge Männer mit familiären Beziehungen und einer Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt in Afghanistan zu verdienen. Männer dieses Personenkreises waren bisher besonders von Abschiebungen bedroht bzw. betroffen.

Die Lagebeurteilungen des AA sind wichtige Grundlagen für die Entscheidung von Behörden und Gerichten über den Flüchtlingsschutz und Abschiebungen. Aufgrund der bisherigen Lagebeurteilung hatte die Bundesregierung die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan trotz zunehmender Kritik für möglich gehalten, auch wenn das Land nicht auf der Liste der sicheren Herkunftsländer steht.

Bis zu einer erneuten Beurteilung  will die Bundesregierung nach eigenen Angaben die freiwillige Rückkehr von angelehnten Asylbewerbern fördern. Immerhin 3.300 Personen hatten von dieser Möglichkeit im Jahr 2016 Gebrauch gemacht. 67 Ausreisepflichtige wurden abgeschoben. Rund 60 Prozent der Asylbewerber aus Afghanistan wurden in den vergangenen  Jahren in Deutschland anerkannt, teilten die Minister mit.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Kein Abschiebestopp nach Afghanistan: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23096 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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