EGMR zu Verhaftung nach Putschversuch in der Türkei: Auch faden­schei­niger Rechtsweg muss aus­ge­sc­höpft werden

von Tanja Podolski

17.11.2016

2/2: Organe der Rechtspflege stützen die Verhaftung nicht

Die Richterin habe daher die angemessenen Schritte unterlassen, die dem türkischen Verfassungsgericht die Möglichkeit eingeräumt hätten, seine fundamentale Rolle bei der Sicherung des türkischen Rechts wahrzunehmen.

Im Übrigen sei die Untersuchungshaft der Antragstellerin somit gerade nicht von einem Organ der Rechtspflege im Kontext des ausgerufenen Notstands gestützt worden. Da die Antragstellerin den türkischen Rechtsweg nicht ausgeschöpft habe, könne der Senat auch keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren feststellen. Gegen die Entscheidung sind keine Rechtsmittel möglich.

Rechtswegerschöpfung ist Zulässigkeitsvoraussetzung

Die türkische Regierung hatte in Folge des Putschversuchs tausende Anwälte, Richter, Staatsanwälte, Staats- und Militärbedienstete unter dem Vorwurf entlassen, der sogenannten Gülem-Bewegung anzugehören. Die Regierung macht diese Bewegung für den Putschversuch verantwortlich. Viele Anwälte wurden in der Folge verhaftet, Anwaltvereine verboten.

Juristen, die sich dieser Tage sehr kritisch über die Vorgänge in der Türkei äußern, können diese Entscheidung des EGMR nicht beanstanden: "Leider ist eine der Voraussetzungen der Menschenrechtsbeschwerde die Rechtswegerschöpfung im eigenen Staat", sagt eine enge Beobachterin der Vorgänge in der Türkei gegenüber LTO. "Die Antragstellerin hätte tatsächlich erst vor dem türkischen Verfassungsgericht zumindest einen Eilantrag stellen müssen." Auf die Zuverlässigkeit des Gerichts und die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels komme es dabei nicht an. Entbehrlich sei die Rechtswegerschöpfung nur, wenn das nationale Gericht ganz einfach gar nicht entscheide.

Kritische Reaktionen vom DRB

Auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, sagte: "Der EGMR hat die Beschwerde aus formellen Gründen abgewiesen, die Richterin hätte zuerst den nationalen Rechtsweg ausschöpfen müssen." Das entspreche der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes.

"Allerdings ist die Justiz in der Türkei massiv unter Druck und es ist offensichtlich, dass sie nicht mehr in der Lage ist, aus eigener Kraft die Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten", so Gnisa. "Die politischen Reaktionen auf das Vorgehen der türkischen Staatsführung sind bisher viel zu zögerlich. Die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen die Türkei entschieden auffordern, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und darauf auch mit ökonomischen Sanktionen hinwirken. Nur gute Worte werden nicht mehr helfen."

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, EGMR zu Verhaftung nach Putschversuch in der Türkei: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21190 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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