BVerfG: Unzulässige Verfassungsbeschwerde: Ver­wert­bar­keit von Encro­chat-Daten bleibt recht­lich unklar

05.09.2023

Die umstrittene Frage der Verwertbarkeit von Encrochat-Daten beschäftigte auch das BVerfG. Eine einschlägige Verfassungsbeschwerde ist laut Karlsruhe unzulässig. Die eigentlichen verfassungsrechtlichen Fragestellungen bleiben damit ungeklärt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Urteile betreffend die Verwertung von Encrochat-Daten unzulässig ist (Beschl. v. 09.08.2023, Az. 2 BvR 558/22). Sieben weitere Fälle, die ähnlich gelagert waren, hat das BVerfG ebenfalls nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 2 BvR 2005/22, 2 BvR 2022/22, 2 BvR 2024/22, 2 BvR 2025/22, 2 BvR 2048/22, 2 BvR 594/23 und 2 BvR 867/23).

Zum Hintergrund: Im Frühjahr 2020 freuten sich die deutschen Strafverfolgungsbehörden, denn die französischen Kolleginnen und Kollegen hatten einen Coup gelandet: Ihnen war es gelungen, den Kommunikationsanbieter "Encrochat" zu infiltrieren. Dieser ist spezialisiert auf verschlüsselte Kommunikation und bot abhörsichere Mobiltelefone inklusive Software an. Zwischen 1.000 und 2.000 Euro kostete so ein Gerät. Damit hielten zahlreiche Nutzer ein Telefon in den Händen, mit denen sie glaubten, unbedarft kommunizieren zu können. Mithilfe einer aufgespielten Überwachungssoftware gelang es den französischen Behörden, die Kommunikation, die über diese Encrochat-Geräte lief, quasi live mitzulesen. Die Details der Überwachungsmaßnahmen sind allerdings unbekannt, weil sie in Frankreich als Staatsgeheimnis eingestuft sind.

Nachdem französische und später auch niederländische Behörden das System geknackt hatten und das Kriminellen-Netzwerk vor drei Jahren zerschlugen, kamen Tausende Ermittlungsverfahren in Gang - viele mit Bezug zu Deutschland. Es geht vor allem um Drogengeschäfte, aber auch um Mordanschläge, Überfälle und Geldwäsche. Die Ermittlungsbehörde Europol hatte im Juni 2023 berichtet, bisher seien mehr als 6.500 Menschen festgenommen und fast 900 Millionen Euro beschlagnahmt worden.

BVerfG: Verfassungsverstoß "nicht substatiiert dargetan"

Zugrunde lag der Entscheidung des BVerfG ein Fall des Landgerichts Rostock. Anfang 2022 hatte der Bundesgerichtshof die Revision des Angeklagten hiergegen verworfen und damit erstmals über die Verwertbarkeit der Encrochat-Daten im Strafverfahren entschieden, weitere Senate vermochten ebenfalls kein Beweisverwertungsverbot zu erkennen.

Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde, neben der Verletzung europäischer Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRCh, insbesondere eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) geltend gemacht. Der BGH hätte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zahlreiche Fragen zur Zulässigkeit und Verwertbarkeit der Encrochat-Daten vorlegen müssen, meint der Beschwerdeführer. Wie schon im Revisionsverfahren wurde er vom Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate vertreten.

Bezüglich der behaupteten Verletzung von Art. 7 und 8 GRCh, die sich auf das Vorgehen der französichen Behörden bezieht, ist laut Karlsruher Gericht der Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt. Insoweit sei der Vortrag des Beschwerdeführers schon im Rahmen des Revisionsverfahrens beim BGH nicht hinreichend gewesen, so das BVerfG.

Aus Sicht der 3. Kammer des Zweiten Senats sei darüber hinaus die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht substantiiert dargetan worden. Zwar könne die Nichteinleitung des Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV eine solche Verletzung darstellen. Jedoch sei nicht erkennbar, dass der BGH "in unvertretbarer Weise von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen hat", so das BVerfG. Es habe im Revisionsverfahren keine entsprechende (Verfahrens-)Rüge gegeben, die der BGH im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit europarechtlicher Fragen hätte prüfen müssen, so die Kammer.

Schließlich betont das BVerfG, dass über die verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Auswertung übermittelter  Encrochat-Daten in der Sache weiter nicht entschieden sei. Fünf weitere Verfassungsbeschwerden zur Frage der Verwertbarkeit sind beim BVerfG derzeit noch anhängig (Az. 2 BvR 684/22, 2 BvR 1832/22, 2 BvR 2143/22, 2 BvR 64/23 und 2 BvR 1008/23). Außerdem hat zwischenzeitlich das LG Berlin dem EuGH 14 Fragen vorgelegt.

In einer Pressemitteilung reagierte der Vertreter des Beschwerdeführers, Gerhard Strate, optimistisch auf die Entscheidung des BVerfG. Er verwies insoweit auf die ebenso von ihm vertretenen noch anhängigen Verfassungsbeschwerden, unter anderem gegen ein Urteil des 5. Strafsenats beim BGH. Der Senat hatte sich dabei tiefergehend mit den unionsrechtlichen Fragestellungen auseinandergesetzt. "Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich zu einer anderen Entscheidung kommen wird - insbesondere, weil es ausdrücklich betont, eine Entscheidung über die Verwertbarkeit der Daten in der Sache habe es nicht getroffen", so Strate.*

lfo/jb/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa

­*Anm. d. Red.: Ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 14:07 Uhr­

Zitiervorschlag

BVerfG: Unzulässige Verfassungsbeschwerde: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52632 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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