Ein Anwalt hat seine Tochter mit zu einer Verhandlung am AG München genommen. Die Richterin verwies das Mädchen des Gerichtssaals. Dem Vorwurf, "herzlos" zu sein, begegnet das Gericht mit dem Kindeswohl und den Interessen des Angeklagten.
Der aus diversen TV-Serien bekannte Strafverteidiger Stephan Lucas hat seine sechsjährige Tochter mit zu einer strafrechtlichen Verhandlung vor dem AG München gebracht. Weder Frau noch Babysitterin hätten Zeit gehabt, sich um das Kind zu kümmern, berichtete zuerst Bild.de. Bei dem Termin waren keine Zeugen geladen, der Mandant des Fachanwalts von der Münchner Strafrechts-Boutique Lucas Stevens hatte keine Einwände gegen die Anwesenheit des Mädchens gehabt.
Die zuständige Richterin hingegen schon. Sie gestattete dem Kind den Aufenthalt im Gerichtssaal nicht. Bevor sie das Mädchen von zwei Justizbeamten aus dem Saal begleiten ließ, unterbrach sie die Verhandlung für 20 Minuten, um dem Fachanwalt für Strafrecht zu ermöglichen, sich um eine anderweitige Betreuung zu kümmern. Diese Gelegenheit habe Lucas aber nicht genutzt, so Gerichtssprecherin Monika Andreß gegenüber LTO. Auch eine kurzfristige Terminverlegung habe der Verteidiger nicht beantragt. Kurz nachdem seine Tochter aus dem Saal geführt wurde, sei der Termin endgültig ausgefallen.
Entgegen der Darstellung in dem Boulevard-Blatt ("Richterin Herzlos") habe die Richterin aber nicht etwa "lautstark losgepoltert" oder den Anwalt von der Münchner Strafrechts-Boutique Lucas Stevens etwa lauthals vor seiner Tochter angeschrien, sagte Andreß weiter. Bei Bild.de heißt es weiter, Lucas hätte nicht einmal darauf bestanden, neben seiner Tochter zu sitzen. Nach Angaben von Sprecherin Andreß gaben Protokollführerin, Staatsanwältin und Richterin dagegen übereinstimmend an, der Anwalt sei verspätet nach Aufruf der Sache mit dem Kind erschienen und habe dieses auf einen für die Verteidigung reservierten Stuhl im Bereich des Gerichtssaals platziert, der ausschließlich für Prozessbeteiligte bestimmt ist. Lucas wollte gegenüber LTO nicht weiter zu dem Vorfall Stellung nehmen.
AG: Kindeswohl und Rechte des Angeklagten beachtet
Zur Begründung, warum die Anwalts-Tochter letztendlich den Saal verlassen musste, verweist die Gerichtssprecherin auf § 175 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen unerwachsenen Personen versagt werden kann. "Die fehlende erforderliche Reife von Kindern befähigt sie nicht zur ernsthaften Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung", erklärte Andreß. Insbesondere in Strafsachen könne eine Gefährdung des Kindeswohls nicht ausgeschlossen werden. In der Verhandlung sollte es ihren Angaben nach um schwere Körperverletzung durch die Verabreichung einer giftigen Kräutermischung in Joints gehen, die die Rauchenden unter anderem ohnmächtig werden ließ.
Soweit Sorgeberechtigte ihre Kinder an Gerichtsverhandlungen teilnehmen lassen wollten, stehe es dem zuständigen Richter im Rahmen seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse zu, darüber zu entscheiden, ob ein Kind während der Verhandlung anwesend sein darf. Und davon habe die Richterin am AG Gebrauch gemacht, so Andreß: "Die Belange der Verfahrensbeteiligten und insbesondere auch der Angeklagten, die Anspruch auf ein faires Verfahren haben, sind bei einer solchen Entscheidung zu beachten. Ein Angeklagter erwartet, dass sein Verteidiger sich als Organ der Rechtspflege voll und ganz der Aufgabe widmet, ihn im Prozess zu unterstützen."
ms/pl/LTO-Redaktion
Strafverteidiger bringt Tochter mit zum Prozess: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21014 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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