Ryanairs Klagen gegen Corona-Beihilfen: Fut­terneid am För­der­topf

Gastkommentar von Dr. Ulrich Soltész

10.02.2021

Ryanair hat jüngst wieder eine Welle von Klagen losgetreten. Diese richten sich gegen Corona-Beihilfen für andere Airlines. Ulrich Soltész erläutert, warum das Unternehmen mit dieser Fundamentalattacke falsch liegt.

Mit gewohnt starken Worten beschwert sich Ryanair-Chef Michael O'Leary derzeit über Corona-Beihilfen, die an seine Wettbewerber gewährt wurden. Das Getöse ist weder originell noch überraschend. Es klingt altbekannt und ist eine Variation über sein Lieblingsthema. 

Hiernach sieht sich Ryanair im Wettbewerb mit anderen Playern benachteiligt, die angeblich wettbewerbsverzerrende Subventionen erhalten. Aus diesem Grund hat der Billigflieger seit rund 20 Jahren zahllose Maßnahmen verschiedener Mitgliedstaaten bekämpft. Dass die Low-cost-Airline selbst - vor allem an Regionalflughäfen - staatliche Unterstützung genießt, kommt in dem Klagelied selbstredend nicht vor. 

Wie immer hat sich Ryanair an die EU-Gerichte in Luxemburg gewandt, wo das Unternehmen mittlerweile einer der besten Kunden sein dürfte. Über die zwei ersten Klagen der gesamten Serie wird das Gericht erster Instanz der Europäischen Union (EuG) nun bereits am Mittwoch nächste Woche entscheiden (Rs. T-238/20 und Rs. T-259/20). Der wichtigste Vorwurf der mittlerweile rund 15  Corona-Beihilfe-bezogenen Klagen lässt sich auf einen einzigen Punkt herunterbrechen, neben dem die anderen Klagegründe nur eine untergeordnete Rolle spielen. 

Breitseite gegen die Förderpraxis

Nach Auffassung von Ryanair hat die Kommission bei der Genehmigung der Corona-Beihilfen "gegen besondere Vorschriften des AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union; Anm. d Red.) und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit verstoßen". Sie habe die bei paneuropäischen Fluggesellschaften - wozu sich Ryanair zählt - entstandenen Covid-19 Schäden außer Acht gelassen, und den Mitgliedstaaten "erlaubt, Beihilfen ausschließlich" bestimmten Airlines "vorzubehalten". 

Die gleichförmigen Textbausteine sind der Generalangriff, der allen Klagen zugrunde liegt. Dieser Klagegrund wurde in allen Verfahren wortgleich formuliert, obwohl die Fälle sehr unterschiedlich sind. Die Beschlüsse stützen sich auf divergierende Rechtsgrundlagen: einige beruhen auf Art. 107 III b) und andere auf Art. 107 II b) AEUV). Sie betreffen teilweise Ad-Hoc-Maßnahmen, teilweise aber auch Beihilferegelungen. Die Maßnahmen richten sich auch an ganz unterschiedliche Unternehmen - vom Ferienflieger bis zur nationalen Fluggesellschaft. Und sie beziehen sich sowohl auf inländische als auch auf ausländische Player. 

Für solche Differenzierungen ist in der Ryanair-Gedankenwelt aber kein Platz. Das für seine Kosteneffizienz bekannte Unternehmen hat also offenbar auch bei der juristischen Analyse das Sparsamkeitsprinzip konsequent umgesetzt. Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Prozessstrategie mag man streiten. 

Großzügiger war es hingegen bei der aggressiven Wortwahl gegenüber der Presse, wo von "naked support for national champions … addicted to State Aid", die Rede ist. Deren erste Reaktion in einer Krise sei "to put its hand in the Government’s pocket" und "[to] stumble around Europe sucking up as much State Aid as it can possibly gather". Auch diese penetrante Angriffslustigkeit ist nichts Neues. Wirklich überraschend wäre es gewesen, wenn die Statements des Chief Executive Offcers (CEO) O'Leary einmal in sachlich-gemäßigtem Ton dahergekommen wären.  

Angeblicher Verstoß bleibt unklar

Mit diesem Wortschwall soll wohl vernebelt werden, dass der juristische Anknüpfungspunkt dieser Generalkritik unklar ist. Das Unternehmen scheint sich auf einige EuGH-Urteile zu stützen, wonach eine Beihilfe, die gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstößt, nicht genehmigt werden kann. 

In diesem Sinne statuiert auch Art. 1 Abs. 5 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO), dass die Freistellungswirkung nicht für Beihilfen gilt, die "durch die mit ihnen verbundenen Bedingungen oder durch ihre Finanzierungsmethode zu einem nicht abtrennbaren Verstoß gegen Unionsrecht führen", z.B. Regelungen, die voraussetzen, dass der Beihilfeempfänger seinen Sitz im betreffenden Mitgliedstaat hat. 

Die Förderung eines bestimmten Unternehmens kann aber natürlich nicht per se eine unzulässige Diskriminierung sein – auch wenn es sich um einen heimischen Player handelt. Es entspricht der Förderpraxis sämtlicher Mitgliedstaaten, Beihilfen durch eine einzelfallbezogene Ermessensentscheidung zu vergeben. Dabei werden üblicherweise nur Aktivitäten im eigenen Staatsgebiet unterstützt. Sollte man hierin eine Ungleichbehandlung sehen, so wäre diese sachlich gerechtfertigt. 

So fördert die KfW im Rahmen ihres Sonderprogramms "in- und ausländische Unter­nehmen, die … ein Vorhaben in Deutschland finanzieren möchten". Auslandsvorhaben deutscher Unternehmen werden durch das KfW-Programm verständlicherweise nicht finanziert, aber Projekte ausländischer Unternehmen für Aktivitäten in Deutschland sind förderfähig. Oft sind Förderbanken auch besonders bestrebt, Investitionen ausländischer Konzerne mit attraktiven Beihilfepaketen anzulocken. 

Keine Allzuständigkeit der Beihilfekontrolle

Diese Praxis ist mitnichten eine Diskriminierung. Die Vergabe im Einzelfall bedeutet nicht, dass eine Förderung nur einigen Unternehmen „"vorbehalten" ist. Vielmehr liegt die Entscheidung über eine Förderzusage in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die EU-Beihilfekontrolle erstreckt sich nur auf wettbewerbliche Aspekte. 

Das Beihilfepaket selbst wird vom Mitgliedstaat definiert. Und die Rechtmäßigkeit der Förderzusage als solche richtet sich nach nationalen Regeln, sofern die Vorgaben nach Art. 107 ff. AEUV eingehalten sind. Die meisten mitgliedstaatlichen Rechtssysteme sehen hierbei vor, dass es - bis auf wenige Ausnahmen - grundsätzlich keinen Anspruch auf Subventionsgewährung gibt. Gewisse Grenzen werden hier nur durch den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Selbstbindung der Verwaltung, z.B. durch Verwaltungsvorschriften, gezogen. 

In diese Entscheidung hat sich die Kommission nicht einzumischen. Schon gar nicht kann sie unter dem Deckmantel des Diskriminierungsverbotes oder der Grundfreiheiten indirekte Vorgaben über die Gewährung von Fördergeldern machen. Sie ist eben keine Superregulierungsbehörde, die für eine gleichmäßige Verteilung von Fördermitteln sorgt, und das will sie auch nicht sein. 

Wettbewerbsregeln wollen Eindämmung, nicht Ausdehnung der Staatshilfen

Denkt man die Ryanair-Argumentation weiter, so müsste sich die Kommission künftig auch um die Verteilungsgerechtigkeit sorgen. Sie müsste ein Beihilfepaket untersagen, weil sich dieses nicht auf alle Wettbewerber erstreckt. 

In der Konsequenz hätten somit alle Player über die Hintertür des EU-Beihilferechts einen Anspruch auf Förderung. Das würde zu einem massiven Anstieg der Staatshilfen führen, was die Grenzen der öffentlichen Haushalte sprengen würde. Das wäre so ziemlich das Letzte, was die EWG-Gründer im Jahre 1958 im Auge hatten. Einen Anspruch auf Subventionen, so wie Ryanair sich das vorstellt, können Art. 107f. AEUV also sicher nicht begründen.

Zwar sollte man die Kritik, wonach wohlhabende Mitgliedstaaten ihre Wirtschaft mit erheblichen Summen aufpäppeln, während finanzschwächere Mitgliedstaaten dies nicht können, ernst nehmen. Dieses Problem kann man aber lösen, etwa indem man die letztgenannten aus den Unionsfonds finanziell unterstützt. Die Ryanair-Generalattacke sollte das Gericht jedoch abweisen und die Grenzen der Beihilfekontrolle klar festschreiben. 

Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit 1996 im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht. 

Zitiervorschlag

Ryanairs Klagen gegen Corona-Beihilfen: . In: Legal Tribune Online, 10.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44232 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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