Die EU-Kommission hat einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz in der Europäischen Union präsentiert und sieht dabei strengere Regelungen als das deutsche Pendant vor. Die Reaktionen fallen erwartungsgemäß gemischt aus.
In Deutschland ist es am 11. Juni 2021 vom Bundestag beschlossen worden und soll nach zwischenzeitlich erfolgter Zustimmung durch den Bundesrat am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Die EU-Kommission zieht nun nach. Die Rede ist vom Lieferkettengesetz, das die Einhaltung von Mindeststandards im Hinblick auf Menschenrechte und Umweltschutz bei Produktion, Distribution und Verkauf gewährleisten soll.
Die Grundidee klingt verlockend: Im Welthandel soll es künftig gerechter zugehen. Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und Dumpingpreise sollen eingedämmt werden. Unternehmen tragen in Zukunft verstärkt Verantwortung für Arbeitsbedingungen bei Zulieferern sowie für Produktionsbedingungen an ausländischen Standorten.
Seit Mittwoch liegt ein Gesetzentwurf der EU-Kommission vor, über den der Rat und das Parlament der Europäischen Union abzustimmen haben. In den kommenden Wochen wird beraten, verhandelt und gefeilscht.
Unternehmen fürchten einen zusätzlichen Bürokratieaufwand sowie steigende Kosten und beklagen fehlende Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten. Interessensvertreter machen ihren Einfluss geltend, um im Sinne ihrer Auftraggeber noch die ein oder andere Entschärfung zu erreichen. Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen geht die Gesetzesinitiative hingegen nicht weit genug.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Der Kommissionsentwurf adressiert Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem weltweiten Jahresumsatz jenseits von 150 Millionen Euro. Ausnahmen gibt es für einzelne Branchen, die als besonders vulnerabel im Hinblick auf umweltrechtliche Verstöße und die Missachtung menschenrechtlicher Standards identifiziert wurden.
Für Unternehmen aus der Textilindustrie sollen engere Kriterien gelten, ebenso für den Agrarsektor und den Bergbau. Hier verortet die Kommission die Grenze zur Anwendbarkeit des Lieferkettengesetzes bereits bei 250 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro. Bei Unternehmen aus Drittstaaten wird nur auf den Umsatz abgestellt.
Der Entwurf der Kommission zieht die Kriterien damit deutlich enger als das deutsche Lieferkettengesetz, das Unternehmen mit Wirkung zum 1. Januar 2023 ab 3.000 Mitarbeitenden zu einer stärkeren Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten verpflichtet. Ab 2024 kommt das Gesetz ab einer Zahl von 1.000 Beschäftigten zur Anwendung. Verstöße können neben Bußgeldern auch den Ausschluss von Ausschreibungen öffentlicher Einrichtungen nach sich ziehen.
Die Reaktionen fallen gemischt aus
Wenig überraschend wird der Gesetzesvorschlag der Kommission sowohl von Applaus als auch Kritik begleitet. Je nach Interessenlage fallen die Vorschläge der Kommission wahlweise zu mild oder zu hart aus.
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht eine historische Chance vertan und kritisiert in einer Mitteilung des Vereins, dass die Kommission hinter ihren Möglichkeiten geblieben ist: "Der Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz markiert zwar einen wichtigen Schritt hin zu mehr Unternehmensverantwortung, er bleibt aber enttäuschend mit Blick auf den Schutz des Klimas. Es wird keine, an klare Konsequenzen geknüpften Klimasorgfaltspflichten geben. Hier hat die EU-Kommission ganz klar dem Druck von Wirtschaftslobbyisten nachgegeben".
Helena Peltonen-Gassmann, stellvertretende Vorsitzende von Transparency Deutschland, sieht ebenfalls Licht und Schatten "Wir begrüßen, dass die EU-Kommission mit ihrem Entwurf über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht und die Anwendungsbreite ausdehnt. Aber: An einigen Punkten springt die EU-Kommission zu kurz und bleibt hinter den Erwartungen zurück. Ein entscheidendes Manko ist das Fehlen von Korruptionsbekämpfung. Denn Korruption unterminiert die Bemühungen um Menschenrechte sowie Klima- und Umweltschutz und muss daher als Querschnittsthema verstanden werden", so Peltonen-Gassmann in einer Stellungnahme.
Das Bündnis "Initiative Lieferkettengesetz", in dem unter anderem Gewerkschaften und Umweltverbände vertreten sind, begrüßt den Entwurf und spricht von einem Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung. "Für den großen Wurf müsste die EU aber die heißen Eisen konsequenter anfassen: Sorgfaltspflichten nicht nur für große Unternehmen", heißt es in einem Pressestatement.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt indes in einer Mitteilung vor der zu befürchtenden Überlastung deutscher Unternehmen. "Es drohen enormer Aufwand und hohe Kosten - für vergleichsweise wenig Wirkung", so DIHK-Präsident Peter Adrian.
Gesetzesinitiative der EU-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47637 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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