2/2: Die Industrie ist den Kanzleien weit voraus
Der Schreibtisch steht in einer Ecke gegenüber der Tür, von hier aus übersieht man den ganzen Raum. Der Arbeitsplatz ist nicht für stundenlanges Arbeiten ausgelegt, denn es ist nur die Grundausstattung vorhanden: PC, Telefon, Stuhl, Tisch. "Es bleibt eine Notfall-Option und soll keine regelmäßige Betreuung ersetzen", erklärt Müller. Der Rest des Zimmers ist angefüllt mit allerlei bunten Spielsachen, die sich auf dem dunkelblauen Teppich verteilen. "Die große Auswahl an Spielzeugen unterhält die Kinder erfahrungsgemäß für etwa zwei bis drei Stunden", sagt Müller.
Die Inspiration für das Eltern-Kind-Büro kam aus dem Projekt "kmu4family", inititiert von der MFG Innovationsagentur mit Sitz in Stuttgart. Diese hat sich, wie zahlreiche andere Netzwerke in der Region, zum Ziel gesetzt, Unternehmen dabei zu helfen, familienfreundlicher zu werden. So will man unter anderem dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenwirken. "In den Netzwerken holen wir uns viel Anregungen", erzählt Müller. "Die Industrie ist in dem Bereich der Personalentwicklung viel weiter als die Kanzleibranche. Diese ist leider in diesem Bereich sehr konservativ."
Konservativ bedeutet jedoch nicht, dass nicht über Lösungen für Kinderbetreuung nachgedacht wird. So buchen manche Kanzleien Belegplätze in büronahen Kitas. Das hilft aber wegen der begrenzten Platzanzahl nur wenigen Mitarbeitern. Außerdem möchten viele Eltern ihre Kinder wohnortsnah und nicht büronah betreuen lassen. Andernorts initiieren Eltern mit benachbarten Unternehmen eine eigene Kita.
Auch die Option, in den Kanzleiräumen selbst Betreuungsangebote einzurichten, wird häufig diskutiert. Doch mal stehen brandschutztechnische Vorschriften im Weg, mal sind die Kanzleiräume zu klein. In immer mehr Städten gibt es außerdem die Möglichkeit, einen Familienservice mit externen Betreuern in Anspruch zu nehmen. Und über allem schwebt natürlich die Frage nach den Kosten.
Nachfrage bestimmt das Angebot
Das 'Kinderzimmer' von P+P Pöllath ist ebenfalls eine Reaktion auf Betreuungsengpässe. Allerdings ist es im Münchner Standort der Kanzlei eher zufällig entstanden. Und den Begriff 'Kinderzimmer' gibt es hier eigentlich gar nicht offiziell. "Bei uns werden viele Kinder- und Familienevents gefeiert. Die Spiel- und Bastelsachen dafür werden bei uns gelagert. So hat sich das Kinderzimmer schleichend entwickelt", erzählt Dr. Eva Nase, Gesellschaftsrechtlerin und verantwortliche Partnerin für Personalfragen bei Pöllath. "Die Entscheidung war nicht strategisch." Das Zimmer könnte auch ein normales Büro sein: Darin stehen drei Tische, Regale und Möbel aus dem altem Büro vor dem Umzug. Der Raum ist nicht mit Kindermobiliar ausgestattet worden, die Spielsachen sind im Rahmen von Kinderfesten wie Osterbasteln, Halloweenaktionen oder Weihnachtsfeiern übrig geblieben oder wurden von Mitarbeitern gespendet.
"Die Kinder sind nicht tageweise da, sondern in der Regel für wenige Stunden. Damit geben wir den Eltern die Möglichkeit, Zeitengpässe zu überbrücken, wenn sie zum Beispiel einen Arzttermin haben", sagt Nase. Bei Pöllath passen dann Studenten auf die Kinder auf, ein Arbeitsplatz ist in dem Zimmer nicht eingerichtet. Die Nachfrage nach kanzlei-eigener Betreuung sei bei Pöllath überschaubar. "Es ist wie so oft: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Viele unserer Kollegen nutzen vermehrt die Möglichkeit, in solchen Situationen von zu Hause zu arbeiten. Home-Office ist bei uns möglich, dann kann das Kind in seiner gewohnten Umgebung Kraft tanken."
Einen vergleichsweise großen Andrang auf das Zimmer wie bei Menold Bezler gibt es deshalb bei Pöllath nicht. Auch sei es nicht realistisch, mit Kindern in einem Raum konzentriert zu arbeiten. Nase findet: "Bei vielen fällt dann sehr schnell der Konzentrationsgrad. Entweder wird man zwischendurch angesprochen oder das Kind will Aufmerksamkeit. Zuhause aber ist das Kind in seiner gewohnten Umgebung und kann sich dort eher mal für eine Stunde selbst beschäftigen."
Kinder sind dennoch ein vertrautes Bild in der Kanzlei. Oft verbringen sie einige Zeit im Büro der Eltern oder in der kanzleieigenen Kantine. "Wir wollen den Bedürfnissen unserer Kollegen so gut wie möglich gerecht werden", sagt Nase. Familienfreundlichkeit kann also auch ohne Strategie oder umständliche Partnerentscheidungen realisiert werden.
Désirée Balthasar, Anwälte mit Kindern: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14179 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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