Nach der Facebook-Entscheidung: Will das Kar­tellamt zur Super­be­hörde werden?

Gastbeitrag von Dr. Michael Dietrich

11.03.2019

Nach der spektakulären Facebook-Entscheidung des Bundeskartellamts argwöhnten Kritiker, dass das Amt künftig Zuständigkeiten für andere Rechtsbereiche an sich ziehen will. Michael Dietrich erklärt, warum diese Gefahr wohl nicht besteht.

Anfang Februar hat das Bundeskartellamt (BKartA) eine wegweisende Entscheidung getroffen. Facebook darf künftig nicht mehr automatisch Daten von anderen Websites oder Diensten wie WhatsApp und Instagram mit den Facebook-Accounts seiner in Deutschland ansässigen Nutzer verknüpfen. Die Behörde hat der Facebook Inc., der Facebook Ireland Ltd. und der Facebook Germany GmbH – zusammen Facebook – untersagt, ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke in Deutschland auf diese Weise zu missbrauchen.

Grundlage der Entscheidung sind die Nutzungsbestimmungen von Facebook, die mit der Registrierung vom Nutzer anerkannt werden müssen – andernfalls kann er dem Netzwerk nicht beitreten. Sie verweisen auf die Daten- und Cookie-Richtlinie, aus denen sich die Erfassung und Verarbeitung von Daten innerhalb und außerhalb des Facebook-Universums ergibt: Facebook erhebt über Programmierstellen (APIs) Daten über die private Nutzung des Internets, wobei den Nutzern häufig gar nicht klar ist, dass ihre Daten an Facebook übermittelt werden.

Das Kartellamt sieht hierin eine deutliche Überschreitung der Grenzen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), so dass im Hinblick auf die marktbeherrschende Stellung von Facebook auch ein Einschreiten auf kartellrechtlicher Grundlage angezeigt erschien.

Zieht das BKartA neue Zuständigkeiten an sich?

Kritiker meinen, das Amt habe damit die Zuständigkeit für ein Rechtsgebiet außerhalb des Kartellrechts an sich gezogen, um als eine Art "Superbehörde" gegen Normadressaten des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots künftig auch wegen Verstößen gegen die DSGVO mit dem Instrumentarium des Kartellrechts vorgehen zu können. Soweit sich das bisher sagen lässt, scheint diese Sorge unbegründet. Allerdings sind die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht.

Wenig überraschend argumentiert Facebook, dass die irische Datenschutzbehörde dafür zuständig sei, die Rechtmäßigkeit der Sammlung und Nutzung von Daten nach der DSGVO zu prüfen. Mit Blick auf die Konsequenzen eines Rechtsverstoßes für das Geschäftsmodell und vielleicht auch den Track Record der irischen Behörde erscheint das naheliegend. Andererseits geht es bei Facebook um den Vorwurf des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, auch wenn dafür datenschutzrechtliche Bestimmungen als außerkartellrechtlicher Wertungsmaßstab herangezogen werden.

Facebook betreibt das mit Abstand weltweit größte soziale Netzwerk. Das Unternehmen ist eine mehrseitige Plattform und bietet seine Leistungen sowohl Nutzern, Werbetreibenden und Inhalteanbietern als auch Entwicklern an. Auch wenn die privaten Nutzer des Netzwerks keine monetäre Gegenleistung erbringen, sondern mit ihren Daten bezahlen: Es steht außer Frage, dass sich Facebook damit als Anbieter auf einem Markt betätigt.

Daten sind ein Wettbewerbsfaktor

Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten ist die Grundlage des Geschäftsmodells von Facebook. Daten sind zugleich der wichtigste Wettbewerbsfaktor auf einem Markt für soziale Netzwerke.

Der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten ist seit dem Jahr 2017 als Faktor für die Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens gesetzlich verankert (§ 18 Abs. 3 lit. a) Nr. 4 GWB). Somit erscheint es sachgerecht, wenn das BKartA untersucht, ob Facebook über eine marktbeherrschende Stellung verfügt und sie durch das exzessive Sammeln von Daten missbraucht. Die wertungsmäßige Anknüpfung an die DSGVO ändert daran nichts.

Schon bisher hat das Amt bei der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten noch als Leistungswettbewerb anzusehen ist, wertungsmäßig auf außerkartellrechtliche Vorschriften Bezug genommen, darunter insbesondere auch auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Soweit ersichtlich hat in diesem Zusammenhang noch niemand behauptet, das Amt maße sich damit als Superbehörde Kompetenzen der Wettbewerbszentralen an.

Dass beide Rechtsmaterien – Kartellrecht und Datenschutz – in diesem Fall unterschiedliche Sachverhalte im Blick haben, lässt sich auch daran ablesen, dass die DSGVO gerade keine Regelungen für marktbeherrschende Unternehmen enthält. Mithin geriert sich das Amt nicht als "Superbehörde", denn es verfolgt Wettbewerbsverstöße und keine Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften.

Ist jeder Verstoß gegen die DSGVO auch ein Kartellverstoß?

Von hohem Interesse und deutlich schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob nach Facebook künftig jede Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften durch einen Marktbeherrscher automatisch auch als missbräuchliches Verhalten kartellrechtlich sanktioniert werden kann. Das erscheint – auch wenn die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind – eher fernliegend.

Das Amt stützt sich zur Begründung der Missbräuchlichkeit des Verhaltens von Facebook maßgeblich auf die "VBL-Gegenwert II"-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 24.01.2017, Az.: KZR 47/14). Dort hat das Gericht klargestellt, dass nicht jeder Verstoß gegen außerkartellrechtliche Vorschriften - im konkreten Fall ging es um unangemessene AGB - auch als Missbrauch von Marktmacht anzusehen ist. Vielmehr muss ein solcher Verstoß der "Ausfluss von Marktmacht" sein.

Problematisch ist jedoch, dass die bisherige Rechtsprechung kaum Hinweise darauf enthält, wann ein Verstoß gegen außerkartellrechtliche Vorschriften auf der Ausübung von Marktmacht beruht. Mit der Facebook-Entscheidung haben das BKartA und die Gerichte nun die Gelegenheit, dem Begriff schärfere Konturen zu geben.

Warum kein "Ausbeutungsmissbrauch"?

Zunächst fällt aber auf, dass sich das Amt zur Begründung der Missbräuchlichkeit des Verhaltens von Facebook auf die allgemeine Generalklausel in § 19 Abs. 1 GWB stützt und nicht den in § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB normierten Spezialfall des Ausbeutungsmissbrauchs anwendet. Dabei wäre Letzteres nicht nur aus systematischen Gründen, sondern auch mit Blick auf die Ausbeutung der Nutzer durch die von Facebook erzwungenen, unangemessenen Nutzungsbedingungen naheliegend gewesen.

Sicher hat die Vorgehensweise des Amtes mit Blick auf die "VBL-Gegenwert II"-Rechtsprechung des BGH auch pragmatische Gründe. Aber vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass es schwieriger gewesen wäre, einen Ausbeutungsmissbrauch nachzuweisen - denn die von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen dafür sind hoch. Insbesondere hätte das Amt darlegen müssen, dass die Nutzer auf einem hypothetischen Vergleichsmarkt unter Wettbewerbsbedingungen nicht bereit gewesen wären, ihre Daten in dem von Facebook verlangten Umfang preiszugeben.

Ist schon die Frage nach dem richtigen Vergleichsmarkt alles andere als trivial, ist noch schwieriger zu beurteilen, ob ein Ausbeutungsmissbrauch vorliegt, wenn die Nutzungsbedingungen von Facebook zwar gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen, es den Nutzern aber egal wäre, was mit ihren Daten passiert.

Nun müssen klare Kriterien aufgestellt werden

Das Amt hat indes die Facebook- Entscheidung auf die Generalklausel des Missbrauchsverbots gestützt, so dass es ihm gelungen ist, diese Schwierigkeiten zu vermeiden. Umso wichtiger ist es nun aber, herauszuarbeiten, wann bei der Anwendung der Generalklausel ein hinreichender Wettbewerbsbezug im Sinne einer normativen Kausalität zwischen dem nach außerkartellrechtlichen Wertungsmaßstäben zu missbilligenden Verhalten und der marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens vorliegt.

In der jüngeren - und ohnehin nicht besonders ausdifferenzierten - Entscheidungspraxis zur Generalsklausel des Missbrauchsverbots ging es um den Schutz vor Fremdbestimmung, wie im Fall "Pechstein/International Skating Union" (BGH, Urt. v. 07.06.2016, Az.: KZR 6/15), und um unzulässige AGB-Klauseln, wie bei den Entscheidungen "VBL Gegenwert I und II". Bei diesen auf den Ausgleich von Machtungleichheit gerichteten Überlegungen drohen die Anforderungen an den Wettbewerbsbezug im Fahrwasser von Fairnessüberlegungen untergehen.

Die Facebook-Entscheidung wäre daher für die Rechtsentwicklung ein Gewinn, wenn sie dazu beitrüge, klare Kriterien aufzustellen, wann ein Verstoß gegen außerkartellrechtliche Normen gerade durch die Ausübung von Marktmacht geprägt ist und nicht in erster Linie auf anderen Ursachen beruht, etwa auf Informationsdefiziten, Täuschung oder sittenwidrigem Verhalten. Entscheidend muss sein, dass im Ergebnis auch wirklich ein Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot vorliegt.

Der Autor Dr. Michael Dietrich ist Kartellrechtler und Partner bei Clifford Chance in Düsseldorf

Zitiervorschlag

Nach der Facebook-Entscheidung: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34301 (abgerufen am: 14.11.2024 )

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