Bundesjustizminister Buschmann will am umstrittenen Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten festhalten, es aber transparenter machen. NRW übt Kritik mit einem eigenen Vorschlag, der einer Abschaffung nahekommt. Wie stehen die Chance für die Reform?
Wenn die EU-Kommission jedes Jahr ihren Rechtsstaatsbericht veröffentlicht, dann kommt Deutschlands Justiz stets gut weg. Das Kapitel beginnt regelmäßig mit der Aussage: "Das deutsche Justizsystem ist nach wie vor leistungsfähig und wird in der Öffentlichkeit als sehr unabhängig wahrgenommen." Einer der wenigen, wenn auch eher knapp angesprochenen Kritikpunkte: die Rolle der Staatsanwaltschaft und ihre (Un)abhängigkeit.
Staatsanwälte stehen in Deutschland in einem besonderen Verhältnis zu den politischen Justizministern, anders als Richter sind sie weisungsgebunden. Eine Justizministerin oder ein Minister könnten deshalb darauf einwirken, ob überhaupt Ermittlungen weiterverfolgt werden, wie im Zweifelsfall ein Strafgesetz auszulegen ist, was noch ermittelt werden soll, oder eben nicht. Geregelt ist das Weisungsrecht in § 146 und 147 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Dort steht aber nur, dass es das Instrument gibt. Nicht aber, wie es ausgeübt werden soll. Bislang haben einige Länder sich dazu interne Richtlinien gegeben. In anderen Ländern will man ganz auf den Einsatz von Weisungen verzichten. Neuerdings offenbar aus Sorge vor einem Weisungsrecht in den Händen eines AfD-Justizministers.
Ein Vorstoß aus NRW im Vorfeld der Justizministerkonferenz am 5. und 6. Juni zielt auf eine strenge Begrenzung des Weisungsrechts, die einer Abschaffung schon nahe kommt. LTO liegt der Antrag vor. Auch der einflussreiche Deutsche Richterbund hat sich hinter den Vorschlag gestellt, er fordert schon länger eine Abschaffung.
Wann dürfen Minister in Ermittlungen eingreifen?
Abschaffen will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) das Weisungsrecht nicht. Um Einheitlichkeit herzustellen, will er mit seinem Entwurf für ein neues Gesetz das Weisungsrecht in enge rechtliche Bahnen lenken und transparent machen. Staatsanwälte sind zwar dem sogenannten Legalitätsprinzip unterworfen, sie müssen also Ermittlungen führen, wenn der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Andererseits bleibt ihnen bei ihrer Arbeit viel Spielraum: Welche Verfahren werden wie intensiv verfolgt, wann ist ein Sachverhalt schon ausreichend ermittelt oder wann müssen Ermittlungen noch weiter andauern?
Warum es überhaupt die Option eines Weisungsrechts aus der Politik gibt, erklärt sich aus der besonderen Stellung der Staatsanwaltschaft in Deutschland. Nach der Gesetzeslage gehören Staatsanwälte anders als Richter zur Exekutive, sie sind Teil der Justizverwaltung. Das bedeutet deshalb auch: Sie haben Vorgesetzte und die haben nach unten ein Weisungsrecht – so wie die Staatsanwälte nach oben auch Ansprechpartner und Verantwortliche haben, wenn etwas schiefläuft. Staatsanwälte haben über sich einen Oberstaatsanwalt, dann kommt ein Generalstaatsanwalt und erst dann ist deren "Chef" ein Justizminister. Und der ist am Ende auch verantwortlich und zwar versehen mit demokratischer Legitimation. Das ist auch das Hauptargument für das BMJ.
"Eine komplette Abschaffung des Weisungsrechts würde dem Demokratieprinzip widersprechen", betonte am Dienstag Buschmann gegenüber LTO. Alle Handlungen der Exekutive müssten demokratisch legitimiert sein. "Die ministerielle Möglichkeit, Weisungen zu erteilen, sichert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Staatsvolk, über das demokratisch gewählte Parlament zur handelnden Staatsgewalt. Damit übernehmen die Justizministerinnen und Justizminister gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern die umfassende Verantwortung dafür, dass die Staatsanwaltschaft keine Entscheidungen aufgrund verfahrensfremder Erwägungen trifft", so Buschmann.
Der Einsatz des Weisungsrechts bleibt ohnehin für jede Ministerinnen oder jeden Minister ein Extremfall und ein Wagnis. Und wahrscheinlich kommt es deshalb in der Praxis so gut wie gar nicht vor. So geschehen etwa nur beim Kräftemessen zwischen SPD-Justizminister Heiko Maas und seinem Generalbundesanwalt Harald Range in der Netzpolitik-Affäre oder bei der Wiederaufnahme im Mollath-Justizskandal.
Denn schnell kann es für alle Seiten unangenehm werden: Die Politik riskiert mit ihrem Eingriff in die Ermittlungsarbeit Kritik, die Staatsanwaltschaft sieht schlecht aus, weil sie fremdgesteuert erscheint und das öffentliche Vertrauen in das Justizsystem kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Und auch wenn es selten so weit kommt, Staatsanwälte beklagen eine Art latente Drohkulisse.
Die Sache ist kompliziert. Je nach Fall scheint die Einflussnahme auf Staatsanwälte mal kritisiert, und mal in anderen Konstellation sogar begrüßt zu werden. Als 2019 ein umstrittener Staatsanwalt in Gera gegen das Künstlerkollektiv vom Zentrum für politische Schönheit ermittelte, verlangte eine Gruppe aus Kunst und Wissenschaft: "Wir fordern daher den Landesjustizminister Dieter Lauinger dazu auf, seine Kontrollpflicht rascher wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass solche Ermittlungen künftig erst überhaupt nicht begonnen werden" Die aktuelle Diskussionslage kreist um die Szenarien: Wie muss man sich einen AfD-Justizminister mit Weisungsrecht vorstellen, versus: Wäre das wahrscheinlichere Szenario nicht ein Justizminister ohne AfD-Parteibuch, der aber gegen rechtsmißbräuchlich agierende Staatsanwälte einschreiten kann?
Mit dem Weisungsrecht greift der Entwurf eines der umstrittensten Justiz-Themen auf. Es anzugehen, haben die Regierungsparteien bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Gelingt eine Lösung noch im Endspurt der Legislaturperiode?
Kritik an BMJ-Plänen und Gegenvorschlag aus NRW
Der Entwurf aus dem BMJ schlägt vor, Weisungen nur zuzulassen: "zur Verhinderung rechtswidriger Entscheidungen", "soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht" oder "im Bereich der Ermessensausübung". Justizfremde Erwägungen sind ausdrücklich ausgeschlossen. Entsprechend soll § 146 GVG geändert werden.
Der Vorschlag ist nicht allen streng genug. Kritik kommt nun aus NRW, kurz vor dem wichtigen Treffen der Justizminister auf ihrer Konferenz in Hannover. Der Vorschlag sei halbherzig und verfehle sein Ziel, so der dortige Justizminister Benjamin Limbach (Grüne).
NRW will Weisungen nur noch bei erkennbaren Rechtsfehlern zulassen, nicht aber dort, wo Staatsanwälten ein Beurteilungs- oder Ermessenspielraum zusteht. Die Argumentation: Der BMJ-Vorschlag, der Weisungen bei Ermessensentscheidungen nun ausdrücklich kodifizieren würde, verschlechtere die gegenwärtige Rechtslage um die Einflussnahme sogar.
NRW hat bereits viel Erfahrung bei der Einhegung des Weisungsrechts. Bereits seit 20 Jahren hat das Land sich und seinen Staatsanwälten interne Richtlinien zum Gebrauch des Weisungsrechts gegeben. Diese sehen unter anderem vor, dass Weisungen nur entlang der Hierarchiekette erfolgen dürfen, von Minister zu Generalstaatsanwalt und so weiter. Nicht aber den direkten Durchgriff vom Ministerium ins Büro eines bearbeitenden Staatsanwalts.
BMJ-Entwurf auf dem Weg durch das Gesetzgebungsverfahren
"Mit dem Beschlussvorschlag könnten die Länder jetzt Farbe bekennen für starke und unabhängige Staatsanwaltschaften in Deutschland", so Limbach gegenüber LTO. Für die BMJ-Pläne zum Weisungsrecht könnte die Jumiko also zum Stimmungstest werden. Nach Informationen von LTO zeichnet sich aber ab, dass der Antrag aus NRW wohl keine erforderliche Mehrheit finden wird. Auch handelt es sich bei Buschmanns Gesetzesvorschlag nicht um ein Zustimmungsgesetz, die Länder hätten im Gesetzgebungsverfahren also auch keine schlagkräftige Veto-Position.
Die Diskussion um das Weisungsrecht ist so oder so aber wieder voll im Gange. Das wird auch das Gesetzesvorhaben des Justizministers im Bund zu spüren kommen. Immerhin: Nach zuletzt aufreibenden Auseinandersetzungen zwischen Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium um Vorratsdatenspeicherung versus Quick Freeze, Mietrecht und V-Personen hat Buschmanns Gesetzesvorschlag zum Weisungsrecht eine Blockade des BMI abgewendet. Damit hat der Vorschlag eine wesentliche Hürde passiert und rückt im Gesetzgebungsverfahren voran. Die Länder und Verbände können nun Stellung nehmen zu den Plänen. Die Frist dafür endet just am Freitag. Einen Tag nach der Justizministerkonferenz in Hannover.
Einflussnahme aus der Politik auf Staatsanwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54698 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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