Teen Courts für leichte Jugendkriminalität: Ein Lied kom­po­niert, Ver­fahren ein­ge­s­tellt

von Annelie Kaufmann

10.08.2019

Im Rahmen sogenannter Teen Courts sprechen Schüler mit jugendlichen Straftätern über ihre Tat und schlagen erzieherische Maßnahmen vor. Doch sind junge Beschuldigte wirklich ein Fall für Schülerrichter?

Bundesweit gibt es 20 sogenannte Teen Courts - oder auch: Schülergerichte. Sie verhandeln insgesamt rund 500 Fälle im Jahr. Die Schülerrichter sind zwischen 14 und 18 Jahre alt, so wie die jungen Straftäter, um die es geht. Der Teen Court ist zwar kein Gericht, führt keinen Prozess und kann auch keine Strafe verhängen – die Fälle allerdings sind echt: Diebstahl, leichte Körperverletzung, Beleidigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung. Es läuft ein Ermittlungsverfahren.

In der Regel ist es die Polizei oder die Staatsanwaltschaft, die dem beschuldigten Jugendlichen vorschlägt, an einem Teen Court teilzunehmen. Die Schülerrichter sprechen mit ihm über die Tat, fragen nach Hintergründen, Motiven und Folgen und vereinbaren eine "erzieherische Maßnahme" oder eine Wiedergutmachung. Der Grundgedanke des Projekts: Jugendlichen ist es wichtig, was Gleichaltrige von ihnen denken. Das Schülergericht soll Eindruck auf junge Straftäter machen.

Hat der beschuldigte Jugendliche teilgenommen und die vereinbarte Aufgabe erfüllt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Gem. § 45 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) kann sie von der Verfolgung absehen, wenn eine erzieherische Maßnahme durchgeführt wurde und eine Anklageerhebung nicht erforderlich erscheint.

Besonders beliebt in Bayern

Besonders beliebt sind die Teen Courts in Bayern: Schülergerichte gibt es dort schon seit knapp zwanzig Jahren, erst vor kurzem wurde das landesweit zehnte Schülergericht in Regensburg eingerichtet. Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich betonte anlässlich dessen, ihm liege "persönlich sehr viel daran, dieses tolle Projekt weiter voranzutreiben".

"Auf Augenhöhe wird eine erzieherische Maßnahme als Reaktion auf die Straftat erarbeitet. Damit erreichen wir eine höhere Akzeptanz", erklärte Eisenreich. Zugleich sei das Projekt auch für die Schülerrichter ein Gewinn: "Unsere Schülerrichter übernehmen Verantwortung und setzen sich für die Durchsetzung des Rechts ein."

Neben den Schülergerichten in Bayern gibt es derzeit vier in Sachsen, drei in Hessen, zwei in Nordrhein-Westfalen und eins in Sachsen-Anhalt. Die Projekte werden in der Regel von freien Trägern der Jugendhilfe vor Ort in Zusammenarbeit mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft durchgeführt. Viele Schülergerichte kommen auf rund 30 Verfahren im Jahr, an einzelnen Gerichten sind es etwas weniger Fälle. Die Schülerrichter werden dabei von Sozialpädagogen betreut.

Teen Courts sollen kein Gerichtsverfahren nachspielen

Die Teen Courts sollen kein Gerichtsverfahren nachstellen, die Schüler sitzen mit dem beschuldigten Jugendlichen normalerweise am runden Tisch. Manche Projekte nennen sich deshalb auch "Schülergremium", um zu verdeutlichen, dass die Schüler keine Richterrolle übernehmen sollen. Alle Projekte legen Wert darauf, dass sie die Schüler sorgfältig auf ihre Aufgabe vorbereiten.

Das betont auch Philipp Kunert. Er ist 17 Jahre alt und nimmt seit rund zwei Jahren am Schülergremium des Anti-Gewalt-Zentrums Harz teil: "Die Ausbildung dauert ungefähr ein Jahr. Wir lernen zum Beispiel die richtige Fragetechnik, wie man auch Antworten bekommt, wie man vielleicht Lügen aufdeckt, wie man mit Provokationen umgeht, warum jemand überhaupt straffällig wird und wann und warum wir als Schülergericht tätig werden dürfen."

Bei den Sanktionen, die das Schülergremium ausspricht, gehe es darum, sich an den Interessen des Täters zu orientieren, erklärt Kunert: "Es muss nicht jeder einen Aufsatz schreiben. Wenn jemand Musik mag, kann er zum Beispiel auch ein Lied komponieren. Wir hatten auch mal jemanden, der Fotos von anderen auf dem Handy bearbeitet hatte, auf eine beleidigende Art und Weise, und das dann auch bei WhatsApp verschickte. Der sollte dann eine Bildercollage machen, wie er sich selbst sieht, wenn er so weitermacht."

Wirklich auf Augenhöhe?

Nicht nur in Bayern, auch in den übrigen Bundesländern, in denen es Teen Courts gibt, zeigen sich die Justizministerien überzeugt von der Idee, dass Gleichaltrige einen besonderen Einfluss auf jugendliche Täter haben.

Doch es gibt auch Fachleute, die Teen Courts sehr kritisch beurteilen. So die Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ), Dr. Theresia Höynck. Sie ist Professorin für das Recht der Kindheit und Jugend an der Universität Kassel.

Höynck bezweifelt, dass die Schülergerichte auf Augenhöhe stattfinden können: "Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist, wenn auf der einen Seite brave Gymnasiasten sitzen und auf der anderen Seite ein Jugendlicher aus einem völlig anderen sozialen Milieu. Da entsteht ein sehr fragwürdiges Machtgefälle."

Man könne auch nicht davon ausgehen, dass die Täter wirklich freiwillig teilnehmen – auch wenn sich formell sowohl der Jugendliche als auch die Eltern einverstanden erklären: "Natürlich entsteht ein extrem hoher Druck, wenn es heißt: 'Wenn du da mitmachst, wird dein Verfahren eingestellt.' Auch die Erziehungsberechtigten verlieren in solchen Fällen oft den Kopf," so Höynck.

"Oft erledigt sich leichte Jugendkriminalität von selbst"

Dabei handele es sich sehr häufig um Fälle, in denen ohnehin eine folgenlose Einstellung seitens der Staatsanwaltschaft angemessen sei. Das reiche auch aus, meint Höynck: "Das Jugendgerichtsgesetz stellt den Erziehungsgedanken in den Vordergrund. Die Teen Courts sollen aber eher, so wird es oft gesagt, wie ein Schuss vor den Bug wirken. Das halte ich für falsch", so Höynck. "Es sollte nicht darum gehen, einen jugendlichen Straftäter zu beeindrucken, sondern darum, eine angemessene Reaktion zu finden. Und das kann auch heißen, das gar nichts passiert. Oft erledigt sich leichte Jugendkriminalität von selbst."

Die Professorin kritisiert außerdem intransparente Strukturen "Natürlich meinen es alle Beteiligten gut", betont sie. "Aber es gibt keine ausreichende Evaluation, wie sinnvoll diese Projekte sind, und auch keine klaren Strukturen, wer darüber entscheidet. Es ist auch unklar, wie der Datenschutz sichergestellt wird und wie diskret die Schüler mit den Informationen umgehen, die sie erhalten."

Die Teen-Court-Projekte sind je nach Bundesland und Träger unterschiedlich ausgestaltet. Längst nicht alle Länder setzen darauf, in den meisten Justizministerien sieht man auch keinen Bedarf ähnliche Projekte anzustoßen.

In Hamburg hat man nach einem Pilotprojekt und einer wissenschaftlichen Evaluation die Teen Courts schon 2008 wieder eingestellt: "Das Projekt gestaltete sich in der Art schwierig, als dass es problematisch war, für die Teen Courts geeignete Fälle zu finden", erklärt ein Sprecher der Justizbehörde Hamburg gegenüber LTO.

Hamburg setzt stattdessen – wie viele Staatsanwaltschaften – eher auf andere Diversionsmaßnahmen, die ebenfalls dazu dienen, jugendliche Straftäter vor einem vollumfänglichen Jugendstrafverfahren "umzuleiten". So etwa ein Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung, Ermahnungsgespräche der Staatsanwaltschaft, normverdeutlichende Gespräche mit der Polizei und hilfeorientierte Gespräche durch die Jugendgerichtshilfe.

Zitiervorschlag

Teen Courts für leichte Jugendkriminalität: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36975 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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