Politische Weisungen an Staatsanwälte: Gefähr­li­ches Mis­s­trauen

von Dr. Markus Sehl

23.10.2019

Wo endet rechtsstaatlich notwendige Kontrolle und wo beginnt politische Lenkung? Die Diskussion um das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft kommt nicht zur Ruhe.

Die Staatsanwaltschaft sieht sich gerne als die "objektivste Behörde der Welt". Eines ist sie auf jeden Fall nicht: völlig unabhängig. Staatsanwälte arbeiten als Teil der Exekutive, sie sind damit auch weisungsgebunden, letztlich gegenüber dem Justizminister. Zugleich sollen Staatsanwälte unabhängig und frei von politischer Einflussnahme Strafverfolgung betreiben.

Es ist eine so ausdifferenziertes wie spannungsreiches System, das aber schnell aus dem Gleichgewicht geraten kann. Das machen teils spektakuläre Fälle der jüngeren Vergangenheit deutlich: Am Ende der sogenannten netzpolitik.org-Affäre kostete es den Generalbundesanwalt Harald Range sogar sein Amt. Dieses Jahr sorgte ein Geraer Staatsanwalt für Aufmerksamkeit, der gegen den Kopf der Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelte. Die Gruppe hatte in Sichtweite zum privaten Wohnhaus des Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschefs Björn Höcke eine Art Kopie des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet. Bald wurde klar, dass für den Vorwurf wenig übrig blieb und überhaupt kaum ermittelt wurde.

Hätte Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) eingreifen müssen? Und wann wird aus rechtsstaatlicher Disziplinierung politische Lenkung? Kaum wurde die Sache schließlich durch ein Treffen des Justizministers, des Generalstaatsanwalts und des Leiters der Staatsanwaltschaft Gera beendet, kritisierte der justizpolitische Sprecher der CDU die Einflussnahme des Justizministers. Dem MDR sagte er: "Ich finde es schon erschreckend, wenn die linke Seite einmal hustet und der Herr Justizminister sofort über das Stöckchen springt." Dabei betonte Lauinger, er habe keinerlei Einfluss genommen. Der besagte Staatsanwalt soll sich selbst entschieden haben, innerhalb der Behörde keine sensiblen Staatsschutzverfahren mehr zu bearbeiten.

Heikles Instrument

Der Fall aus Gera zeigt wie heikel das sogenannte Weisungsrecht für einen Justizminister werden kann. Ist der Schaden also bereits angerichtet, sobald nur nach dem Weisungsrecht gerufen wird? Ist also das Weisungsrecht selbst das Problem?

In regelmäßigen Abständen sorgen Fälle wie der aus Gera für eine Diskussion darüber, ob das Weisungsrecht nicht abgeschafft gehört oder zumindest grundsätzlich reformiert. Hinzukommt, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Mai 2019 entschieden hat, dass die deutschen Staatsanwaltschaften keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive bieten, um zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls (EuHB) befugt zu sein. Die Luxemburger Richterkritisierten insbesondere das ministerielle Weisungsrecht im Einzelfall.

In Berlin kamen am Montag Staatsanwälte, Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, der Justizverwaltung, der Wissenschaft und der Anwaltschaft zusammen, um über die zeitgemäße Ausgestaltung des Weisungsrechts zu diskutieren.

Der Gastgeber, der Berliner Justizsenator, Dirk Behrendt (Grüne) signalisierte im Plenarsaal des Berliner Kammergerichts, dass er am Konzept allgemeiner Weisungen festhalten wollen. Weisungen in Einzelfällen sollten aber strenger dokumentiert werden, um später Transparenz gewährleisten zu können.

Auf Bundesebene hat die FDP-Fraktion im Juni einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der vorsieht, das externe Weisungsrecht für Einzelfälle abzuschaffen. Die Fraktion der Grünen brachte im September einen ähnlichen Entwurf ein, sie fordert eine Beschränkung des Weisungsrechts auf evidente Ausnahmefälle.

Klageerzwingung statt Weisungsrecht?

Die Strafrechtsprofessorin Dorothea Magnus fasste die zentralen Argumente für und gegen das Weisungsrecht zusammen. Für manch einen Kritiker sei bereits die bloße Existenz des Weisungsrechts dazu geeignet, für ein generelles Misstrauen gegenüber der Staatsanwaltschaft zu sorgen.

Auf der anderen Seite sorge das Weisungsrecht durch die Behörde und schließlich den Minister dafür, dass eine demokratische Verantwortlichkeit hergestellt werden kann. Ansonsten bliebe die Strafverfolgung als Exekutivbereich ohne parlamentarische Kontrolle. Wolle man das Weisungsrecht abschaffen oder weiter beschneiden, könnte als Ausgleich das Klageerzwingungsverfahren gestärkt werden, so Magnus. Bisher kann mit diesem Mittel nur ein Verletzter im Strafprozess verlangen, dass das Gericht eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft überprüft, die ihre Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt hat. Nicht aber der Staat selbst. Ein solches Klageerzwingungsrecht könnte auch der Justizminister an die Hand bekommen.

So sieht es auch der Vorschlag des Deutschen Richterbunds (DRB) aus dem Jahr 2015 vor. Auf den verwies auch Dr. Udo Weiß, derzeit Staatsanwalt beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe und Mitglied im Landesverband Berlin des DRB. Weiß betonte, dass ein externes Weisungsrecht keinesfalls verfassungsrechtlich geboten sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts komme es statt auf die Form der demokratischen Legitimation vor allem auf ihre Effektivität an. Legitimation könnten deshalb auch andere Instrumente vermitteln.

Weiß warnte, dass sich die deutsche Justiz nach der EuGH-Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl bald einer ähnlichen Entscheidung zur Europäischen Ermittlungsanordnung gegenübersehen könnte. Das könnte dem EuGH Anlass bieten, seine Kritik an der Ausgestaltung des deutschen Systems der Staatsanwaltschaft noch zu verschärfen. Denn auch in der Richtlinie zur Europäischen Ermittlungsanordnung ist die Rede von "Justizbehörde". Diesen Begriff hatte der EuGH in seiner Entscheidung aus Mai 2019 zum Anlass für seine Ausführungen zur (Un)abhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaft genommen.

Gefahr subtiler Einflussnahme?

Keinen Reformdruck sah dagegen der Strafrechtsanwalt Uwe Freyschmidt, Vorsitzender des Berliner Anwaltvereins. Zudem hielt er das Klageerzwingungsverfahren als Ausgleich für ein Weisungsrecht für unzulänglich. Klageerzwingung sei kein Mittel um kontrollierend auf bereits ausermittelte Fälle einzuwirken, es greife nur im Vorfeld der Klageerhebung.

Auch weitere Transparenzvorgaben wie etwa strengere Berichtspflichten überzeugen Freyschmidt nicht. Vielmehr könne gerade eine Berichtspflicht dazu führen, dass die Politik von Verfahren Kenntnis erhalte, auf die sie dann statt über Weisung auf viel subtilere Art Einfluss ausüben könnte. Ähnliche Sorgen hatte kürzlich auch der Hamburger Generalstaatsanwalt geäußert und strukturelle Probleme zwischen Politik und Staatsanwaltschaft kritisiert.

Für den Umgang mit Europäischen Haftbefehlen nach der EuGH-Entscheidung hat die deutsche Justiz eine pragmatische Lösung gefunden: Kein Europäischer Haftbefehl mehr ohne Richterbeteiligung. Die Diskussion um das Weisungsrecht ist damit jedoch nicht beendet. Bei dem Gespräch im Kammergericht wurde deutlich, dass es um tiefgreifende Fragen zum Selbstverständnis der deutschen Staatsanwälte geht.

Zitiervorschlag

Politische Weisungen an Staatsanwälte: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38331 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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