Je nach Bundesland erreichen bis zu 50 Prozent aller Richter und Staatsanwälte im Osten Deutschlands in den kommenden Jahren die Altersgrenze. Die Länder haben verschiedene Ansätze, wie sie die drohenden Lücken schließen wollen.
Angesichts bevorstehender Pensionierungen sieht der Deutsche Richterbund auf die Gerichte und Staatsanwaltschaften eine große Personallücke zukommen. Insbesondere der Osten Deutschlands sei betroffen, erklärte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Bis zu 50 Prozent aller Jurist:innen gehen nach seinen Angaben in den kommenden zehn Jahren in Berlin und den fünf ostdeutschen Ländern in den Ruhestand. Nach Berechnungen des Richterbundes erreichen fast 3.000 Richter:innen sowie Staatsanwält:innen in diesen Bundesländern die Altersgrenze.
"Die ostdeutschen Bundesländer sind davon besonders betroffen, weil dort zahlreiche Juristen direkt nach der Wiedervereinigung ihren Dienst begonnen haben und jetzt das Ruhestandsalter erreichen", sagte Rebehn der Deutschen Presse-Agentur. Die Entwicklung erreiche im Jahr 2030 ihren Höhepunkt und flache erst danach allmählich ab.
Zahl der Pensionierungen in Thüringen am höchsten
Besonders viele Pensionierungen stehen in Thüringen an, wo binnen zehn Jahren 415 Juristen die Justiz verlassen werden - das ist rund die Hälfte der derzeit beschäftigten Richter:innen, Staatsanwält:innen und Proberichter:innen. Das ergab eine Umfrage bei den Justizministerien der Länder von der Deutschen Richterzeitung, die der Richterbund herausgibt.
Ähnlich ist die Lage in Sachsen-Anhalt, das demnach 390 seiner heute aktiven 814 Richter:innen und Staatsanwält:innen bis 2033 verliert. In Mecklenburg-Vorpommern scheiden 282 Jurist:innen bis 2033 aus der Justiz aus, eine Quote von 45 Prozent. In Brandenburg und Sachsen liegt die Quote mit jeweils 42 Prozent etwas darunter. In Berlin liegt sie nach den Angaben bei 39 Prozent. Die Hauptstadt muss bis zum Jahr 2033 insgesamt 758 Richter:innen und Staatsanwält:innen ersetzen.
Um eine große Personallücke zu verhindern, müsse die Justiz mit umfangreichen Neueinstellungen gegensteuern, forderte Rebehn. "Der Generationswechsel fällt in eine Zeit, in der die Justiz in einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe mit deutlich besser bezahlenden Unternehmen und Anwaltskanzleien steht", so Rebehn. Angesichts gut bezahlter Jobs bei Unternehmen und Anwaltskanzleien müssten die Länder eine höhere Besoldung und "moderne Arbeitsplätze auf der Höhe der digitalen Zeit" anbieten. "Eine personell ausgezehrte Justiz nach Kassenlage, die mit ihren wachsenden Aufgaben nicht mehr Schritt halten kann und für Gerichtsverfahren immer länger braucht, darf es nicht geben", betonte Rebehn.
Um die Personallücke zu schließen, haben die ersten Bundesländer Maßnahmen ergriffen.
Sachsen-Anhalt schafft Rotationsprinzip bei Proberichtern ab
Sachsen-Anhalt hat den Generationenwechsel in der Justiz seit mehreren Jahren im Blick und die Zahl der Einstellungen gesteigert. Im vergangenen Jahr etwa waren laut Justizministerium 40 neue Jurist:innen für die Gerichte und Staatsanwaltschaften gewonnen worden. Auch für das laufende Jahr werden Neueinstellungen in ähnlicher Höhe angestrebt, hieß es aus dem Justizministerium. Kandidat:innen erhielten individuelle Angebote.
Zudem hat Sachsen-Anhalt das Rotationsprinzip bei den Richter:innen auf Probe abgeschafft. Sie müssen nicht mehr zwangsweise an unterschiedliche Orte. Es wird auch stärker den Interessen der Bewerber:innen mit Blick auf die Fachrichtungen und Regionen entsprochen. So konnten auch im laufenden Jahr mehr Richter:innen auf Probe eingestellt werden als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 2022, wie es aus dem Ministerium weiter hieß. Insgesamt seien derzeit in Sachsen-Anhalt mehr als 130 Proberichter:innen tätig.
Zahl der Referendare in Mecklenburg-Vorpommern verdreifacht
In Mecklenburg-Vorpommern hatte erst kürzlich die FDP Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) aufgefordert, frühzeitig und gezielt auf die absehbare Pensionierungswelle zu reagieren. Wenn etwas planbar und berechenbar sei, dann doch wohl der reguläre Pensionseintritt von Richter:innen und Staatsanwält:innen. Die Liberalen vermissen nach eigener Aussage eine erkennbare Strategie. Sie forderten Rekrutierungskonzepte, Kooperationen mit juristischen Fakultäten und Umqualifizierungsanreize. Die Digitalisierung werde in der Justiz nur begrenzt helfen, weil Verhandlungen, Vernehmungen und Urteile hoffentlich nie einer Künstlichen Intelligenz wie Chat GPT zugänglich sein würden.
Bernhardt hatte unter anderem auf das im Juni vorgelegte Konzept "Die Justiz 2030. Digital. Innovativ. Effizient." verwiesen, mit dessen Hilfe alle Kräfte in der Justiz gebündelt werden sollen. "Das schließt Personalgewinnung und Bestandsabbau ein. Wir haben schon jetzt die Sicherheit, dass wir die nächsten Jahre weiterhin bedarfsgerecht Proberichterinnen und Proberichter einstellen können, so dass keine personelle Lücke entsteht", versicherte die Ministerin.
In den vergangenen beiden Jahren habe die rot-rote Landesregierung bereits "attraktivitätssteigernde Maßnahmen" umgesetzt. So könne das Rechtsreferendariat inzwischen in Teilzeit absolviert werden und die Zahl der Referendar:innen habe sich in den letzten Jahren verdreifacht, hob Bernhardt hervor. Technische Hilfen wie Videotechnik in Verhandlungssälen oder die elektronische Akte sollen zudem helfen, die Abläufe effizienter zu gestalten.
Berlin will "Identifizierung mit dem Amt" erreichen
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) sieht in der Gewinnung neuer Jurist:innen für die Gerichte und Staatsanwaltschaften ihre größte Herausforderung. "Ich setze mich mit aller Kraft dafür ein, dass gute Rahmenbedingungen entstehen und junge Juristinnen und Juristen aus Überzeugung bei uns arbeiten wollen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Dabei geht es nicht nur um die Besetzung von Dienstposten, sondern auch um die langfristige Identifizierung mit diesem Amt."
Die Justizverwaltung habe die anstehenden Pensionierungswelle seit Jahren im Blick, hieß es. Neue und frei werdende Stellen würden deshalb möglichst zeitnah besetzt. Das sei weiterhin das Ziel. Helfen sollen dabei verschiedene Projekte. Geplant werde etwa die Einführung einer sogenannten Justizassistenz. Besonders geeignete Referendar:innen sollen dabei befristet für maximal zwölf Monate direkt an einem Gericht in Teilzeit angestellt werden können. Dieses Modell gibt es bereits seit einigen Jahren in Niedersachsen.
Sachsen: Größte Einstellungsoffensive seit 1998
"Der Generationenwechsel ist neben der Digitalisierung die zentrale Herausforderung der sächsischen Justiz in diesem Jahrzehnt", sagte Justizstaatssekretär Mathias Weilandt (Grüne) auf Anfrage. "Sachsen geht hier mit einer Einstellungsoffensive voran. Wir haben im vergangenen Jahr so viele Proberichterinnen und Proberichter neu eingestellt wie zuletzt 1998, in diesem Jahr wird es die höchste Zahl seit Gründung des Freistaats sein."
Es sei essenziell, dass sich die sächsische Justiz als moderner, flexibler Arbeitgeber engagiere. "Das bedeutet die weitergehende Ermöglichung von mobilem Arbeiten, flexible Arbeitszeiten oder Teilzeitmodelle, die auch der Gleichstellung von Frauen und Männern und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen."
Bereits im April wurde bekannt, dass auf die Justiz in Brandenburg eine große Pensionierungswelle zurollt. Das Justizministerium erklärte damals, es gebe bereits einen Einstellungskorridor, mit dem vorübergehend die zusätzliche Einstellung von richterlichen Nachwuchskräften ermöglicht werde. Im Referendariat werde intensiv um Nachwuchs geworben.
Drohender Personalmangel auch im Westen
Auch wenn die ostdeutschen Bundesländer härter von der drohenden Pensionierungswelle getroffen werden dürften, ist das Thema auch im Westen Deutschlands akut. Dort will man mit verschiedenen Maßnahmen dafür sorgen, dass der Justiz nicht die Richter:innen und Staatsanwält:innen ausgehen.
So hat etwa Hessen das Pensionierungsalter für interessierte Richter:innen angehoben, in Rheinland-Pfalz ist das ein Vorschlag. Sie können, müssen aber nicht länger arbeiten, sofern sie mögen. In Hessen wurde außerdem die sogenannte Assessor-Brücke eingeführt, mit der auf den langfristigen Einstellungsprozess für den Job als Richter:in reagiert werden soll. Außerdem senken auch westdeutsche Bundesländer ihre Anforderungen, um die Zahl der möglichen Bewerber:innen zu steigern.
dpa/ast/LTO-Redaktion
3.000 Richter und Staatsanwälte vor der Pensionierung: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52723 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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