Der Anwalt in der Kanzlei, der Zeuge im heimischen Wohnzimmer und der Richter alleine mit der Videoanlage im Gerichtssaal: Zivilverfahren können unproblematisch per Videokonferenz geführt werden. Noch ist das aber nicht unbedingt üblich.
Neu ist die Regelung nicht: § 128a ZPO sieht schon seit Jahren vor, dass das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen gestatten kann, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann in Bild und Ton an diesen Ort und in den Gerichtsaal übertragen. Auch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ist per Videoübertragung möglich. Aufgezeichnet wird die Videokonferenz nicht.
Voraussetzung ist ein kompatibles Videokonferenzsystem auf der anderen Seite. Größere Kanzleien, die ohnehin mit Konferenzanlagen ausgestattet sind, dürfte das nicht vor Probleme stellen. Es reicht aber in der Regel auch ein schlichtes Notebook mit Kamera und eine entsprechende Videokonferenzanwendung. Der genaue Ablauf ist je nach Gericht unterschiedlich. Üblicherweise schickt das Gericht vorab die Einwahldaten für das Konferenzsystem bzw. einen Einladungslink und empfiehlt einen Testlauf.
Die Technik gibt es – aber sie wird nicht überall eingesetzt
Fast alle Bundesländer haben Gerichte mit der entsprechenden Technik ausgestattet. In manchen Ländern haben zahlreiche Amts- und Landgerichte eigene Videokonferenzanlagen – etwa in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen, teilweise gibt es mobile Anlagen, so in Hamburg und Schleswig-Holstein, die an verschiedenen Gerichten eingesetzt werden können.
Hört man sich bei den Gerichten um, ob die Videokonferenzanlagen tatsächlich für Online-Verhandlungen in Zivilverfahren eingesetzt werden, fallen die Reaktionen allerdings sehr unterschiedlich aus. So teilt etwa die Pressestelle des Landgerichts (LG) Dresden mit, von dieser Möglichkeit habe man bislang noch keinen Gebrauch gemacht. Dagegen heißt es am LG Düsseldorf: "Wir haben die technische Ausstattung und wir wenden die auch an". Auch am LG Berlin heißt es, man setze die Technik regelmäßig ein.
In vielen Fällen sind es die Anwälte, die eine Videokonferenz beantragen – etwa, um sich eine weite Anreise zu ersparen. So der Hamburger Rechtsanwalt Wolf Müller (GvW Graf von Westphalen), der damit kürzlich einen Termin am LG Saarbrücken vom Schreibtisch aus wahrnehmen konnte: "Es war im Vorhinein absehbar, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung nicht umfangreich werden würde", so Müller, der insbesondere Unternehmen in Produkthaftungsfragen berät. Da auch der Justitiar des von ihm vertretenen Unternehmens eine weite Anreise gehabt hätte, habe der Vorschlag, per Videokonferenz an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, auch dort großen Anklang gefunden, so Müller.
Technische Schwierigkeiten gab es keine, Müller war begeistert und bei GvW will man diese Möglichkeit künftig öfter nutzen. Allerdings nur in bestimmten Fällen: "Auch in Zukunft wird es nach unserer Einschätzung der Regelfall bleiben, im Termin zur mündlichen Verhandlung körperlich anwesend zu sein, da das persönliche Erscheinen doch noch einmal eine ganz andere Wirkung auf das Gericht, die gegnerischen Prozessbevollmächtigten und mögliche Zeugen hat." Das gelte insbesondere, wenn eine Beweisaufnahme geplant sei.
Bisher seien seine Erfahrungen mit Video-Verhandlungen aber "uneingeschränkt positiv", sagt Müller. Bei GvW hofft man darauf, dass sich das Verfahren an den Zivilgerichten stärker durchsetzt.
Verkehrsunfall, Pferdekauf, Darlehenswiderruf per Skype
Simon Kuhnke-Fröhlich, Richter in einer Zivilkammer des LG Hannovers, sagt dagegen: "Ich habe den Eindruck, viele Anwälte, wissen noch gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt". Das LG Hannover will Video-Verhandlungen regelmäßig einsetzen und wirbt dafür auch unter den Kollegen. Kuhnke-Fröhlich ist seit einem halben Jahr an das LG Hannover abgeordnet und hat von seiner Vorgängerin die Praxis übernommen, Video-Verhandlungen in geeigneten Fällen festzusetzen. "Ich selbst habe bisher sechs oder sieben solcher Verhandlungen geführt, mal ging es um einen Verkehrsunfall mit Straßenbahn, mal um einen Pferdekauf, mal um den Widerruf von Darlehensverträgen."
Am LG Hannover wird Skype for Business eingesetzt, die Teilnehmer erhalten eine Einladung mit einem Link und müssen ein Browser-Plug-In herunterladen – eine kostenpflichtige Lizenz ist dafür nicht erforderlich. Die Rechtsanwälte schalten sich dann aus der Kanzlei zu, die Mandanten können entweder im Gerichtssaal oder in der Kanzlei des Anwalts an der Videokonferenz teilnehmen oder sie schalten sich von einem dritten Ort aus zu. Urkunden und relevante Dokumente können entweder am Bildschirm betrachtet werden oder sie werden per besonderem Anwaltspostfach (beA) elektronisch beim Gericht eingereicht. Die gesamte Verhandlung wird in den Sitzungsaal so übertragen, dass sie dort von allen Anwesenden verfolgt werden kann – damit bleibt auch die Öffentlichkeit der Verhandlung gewahrt.
Auch Kuhnke-Fröhlich hält die Video-Verhandlung aber vor allem dann für sinnvoll, wenn es keine umfangreichen Verhandlungen sind oder wenn etwa nur mit den beteiligten Rechtsanwälten bestimmte Rechtsfragen erörtert werden.
"Das hat bisher alles sehr gut funktioniert", so Kuhnke-Fröhlich. "Manchmal gibt es zwar Bedenken bei den beteiligten Rechtsanwälten oder den Mandanten, meistens zeigt sich dann aber bei einem Probedurchgang, dass die Technik gut funktioniert. Man kann das einfach mal ausprobieren, das ist wirklich nicht schwierig."
Video-Verhandlung in Zivilverfahren: . In: Legal Tribune Online, 02.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39473 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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