Erst Berlin, dann NRW. Das BVerfG hat langjährige Justiz-Besoldungsregeln für verfassungswidrig erklärt – wann kommen die nächsten Entscheidungen? Und wie unterschiedlich verdienen junge Richter und Staatsanwälte in den Ländern?
Zuerst traf es am Dienstag die Berliner Richterbesoldung, dann folgte am Mittwoch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Besoldung in Nordrhein-Westfalen. In Berlin beanstandeten die Verfassungsrichter die Besoldung in bestimmten Besoldungsgruppen zwischen den Jahren 2009 und 2015 als verfassungswidrig, in NRW war es speziell die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten mit mindestens drei Kindern.
Der größte Interessenverband der Richterschaft und der Staatsanwälte, der Deutsche Richterbund (DRB), teilte am Mittwoch mit: "Damit hat Karlsruhe einen Tag nach der Entscheidung, dass Berliner Richter und Staatsanwälte jahrelang zu wenig Geld bekommen haben, die Position von Justizjuristen erneut gestärkt". Bereits am Dienstag hatte der Verband seine Forderung nach einer bundesweit einheitlichen Besoldung bekräftigt.
Berlin hat Anpassung an Durchschnittsbesoldung bis 2021 beschlossen
Bis 2006 war die Richterbesoldung Sache des Bundes. Mit der Föderalismusreform 2006 wanderte die Zuständigkeit für die Besoldung und die Versorgung von Beamten, Richtern und Staatsanwälten zu den Ländern.
Die Berliner Senatsverwaltung beeilte sich noch am Dienstag nach Veröffentlichung der Entscheidung mitzuteilen, dass bis 2021 die Besoldung in der Hauptstadt das Niveau des Länderdurchschnitts erreicht haben werde. Bereits 2018 hatte der Senat einen entsprechenden Beschluss dazu gefasst.
Überhaupt sei seit August 2016 – also mit Amtsantritt der rot-rot-grünen Landesregierung – die Besoldung in den Einstiegs- und Beförderungsämtern für Richter sowie für Staatsanwälte in Berlin um insgesamt 17 Prozent gestiegen. Zudem habe ab 2018 die Besoldungsanpassung jeweils 1,1 Prozent über der durchschnittlichen Besoldungsanpassung der Bundesländer gelegen.
Berufseinsteiger auf der Stufe R 1, ledig, ohne Kinder verdienen im Länderdurchschnitt 4.389,93 Euro brutto im Monat. Berlin bietet seinen Einsteigern nach Auskunft der Justizsenatsverwaltung aktuell 4.480,25 Euro brutto.
"Der rot-rot-grüne Senat muss nun zeigen, dass er Verantwortung für den funktionierenden Rechtsstaat übernehmen kann", sagte der rechtspolitische Sprecher der Berliner FDP-Fraktion Holger Krestel und wies auch auf Folgen für die übrige Beamtenbesoldung in Berlin hin. "Nach dem erfreulichen Urteil zur Richterbesoldung dürfte klar sein, dass auch weite Teile der Besoldungsordnung A, die große Teile des Berliner Verwaltungs- und Vollzugsdienstes umfasst, eine verfassungswidrig niedrige Besoldung darstellen.
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung von Dienstag dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis spätestens 1. Juli 2021 eingeräumt. Gut möglich, dass dann auch die Besoldungsregeln nicht nur für Richter und Staatsanwälte, sondern auch andere Justizbeamte neugefasst werden.
Berliner Juristen erzielen immer bessere Noten – gehen aber nicht in die Justiz
"Die Reaktionen des Landes Berlin auf die Besoldungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind irritierend", sagt Dr. Stefan Schifferdecker, stellvertretender Vorsitzender des DRB Berlin und Richter am Berliner Sozialgericht. "Wir hätten nach den sehr deutlichen Worten der Entscheidung erwartet, dass es dem Land zumindest unangenehm ist, den Öffentlichen Dienst jahrelang evident unzureichend bezahlt zu haben."
Ihn beschäftigen vor allem aber auch die Aussagen des BVerfG zu den Auswirkungen der unzureichenden Besoldung für die Nachwuchsgewinnung in der Justiz. Die Verfassungsrichter werteten die Absenkung der Einstellungsvoraussetzungen für angehende Richter und Staatsanwälte in Berlin als ein Zeichen dafür, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion nicht mehr erfüllen konnte. Ab 2007 habe die Justizverwaltung in Berlin statt mindestens der Note "vollbefriedigend" diese nur noch "in der Regel" erwartet. Ab 2011 durfte an den Auswahlverfahren auch teilnehmen, wer 7,5 Punkte in der Ersten Prüfung und 8,5 Punkte in der Zweiten Staatsprüfung erzielt hatte. "In Berlin gibt es gerade noch mehr Bewerberinnen und Bewerber als freie Stellen, weil die Stadt für junge Leute attraktiv ist", sagt Schifferdecker, "in manchen Flächenländern sieht das für Gerichte in der Provinz ganz anderes aus."
Dass es der Berliner Justiz schwerfalle, entsprechend qualifizierten Nachwuchs zu finden, zeigten auch die in der BVerfG-Entscheidung mitveröffentlichten Zahlen besonders deutlich. "Obwohl die Berliner Examensnoten sogar immer besser ausfallen, musste das Land die Einstellungsvoraussetzungen immer weiter absenken." Auf dem Markt der hochqualifizierten Berliner Nachwuchsjuristen tut sich die Justiz anscheinend schwer.
Ein Grund dafür dürfte nach Einschätzung von Schifferdecker aber auch eine teilweise schlechte Ausstattung der Justiz sein. Nachwuchsjuristen ließen sich auch von mangelhaften Räumen, schlechter IT-Ausrüstung und fehlenden technischen Voraussetzungen für Home-Office-Arbeit abschrecken.
DRB-Ländervergleich: Unterschiede für Berufseinsteiger verschwinden langsam
Die Länder scheinen zumindest auf einem guten Weg die Einstiegsgehälter anzupassen. So zeigt ein aktueller Ländervergleich des DRB von Ende 2019, dass sich die Anfangsgrundgehälter von jungen Richtern und Staatsanwälten langsam annähern. Nach den Zahlen erhält zwar ein junger Richter oder Staatsanwalt in Bayern monatlich rund 4580 Euro brutto und damit 679 Euro mehr Gehalt als sein Kollege im Saarland, aber die Differenz liegt eben nur noch bei rund 17 Prozent, wie der DRB mitteilt. Im Jahr davor waren es noch 27 Prozent gewesen.
Am besten verdienen die Richter und Staatsanwälte in Bayern, Hamburg und Baden-Württemberg, gefolgt vom Bund. Das Saarland, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, dicht gefolgt von Thüringen und Hessen, bilden die Schlusslichter. Berlin liegt im Mittelfeld, ebenso wie NRW.
Allerdings: Bei Richtern und Staatsanwälten mit langjähriger Berufserfahrung geht die Gehaltsschere nach den Berechnungen allerdings wieder weiter auseinander.
Die Vorsitzende des Brandenburger Richterbundes Claudia Cerreto gibt allerdings zu bedenken, dass die Länder nach 2006 so unterschiedliche Besoldungssysteme eingeführt haben, dass die kaum mehr miteinander vergleichbar seien. "Berufliche Erfahrung wird anders gewertet und Familienzuschläge werden unterschiedlich gezahlt."
Weitere Klagen liegen beim BVerfG
Beim BVerfG sind derweil noch weitere Verfahren zur Richterbesoldung aus mehreren Bundesländern anhängig. Zum Beispiel aus der Brandenburger Justiz.
2016 stellte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg fest, dass die Besoldung der Brandenburger Richter in den Jahren 2004 bis 2013 zu niedrig ausgefallen sei. Geklagt hatte ein Richter. Die damals geltenden Besoldungsregeln hielten die OVG-Richter für verfassungswidrig und schickten das Verfahren direkt nach Karlsruhe.
Das Land Brandenburg war gewarnt und erließ 2017 ein Nachzahlungsgesetz für die Jahre 2004 bis 2014. Das stimmte das OVG um, die Richter hoben 2018 ihren Vorlagenbeschluss an das BVerfG auf. Der klagende Richter scheiterte mit seiner Berufung gegen diese Entscheidung. Auf seine Revision hin setzte das BVerwG im Oktober 2019 das Verfahren aus und kündigte an, auf eine weitere Entscheidung des BVerfG warten zu wollen.
Ein Teil des Verfahrens des Brandenburger Richters zur Altersteilzeit war nämlich abgetrennt worden und das VG Frankfurt/Oder hat es 2018 wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nach Karlsruhe geschickt. Und dort liegt es noch. Es betrifft die Besoldungslage nach dem Nachzahlungsgesetz.
Die Entscheidung der Verfassungsrichter zur Berliner Besoldung von Dienstag könnte dabei als eine Art Muster-Verfahren für weitere Entscheidungen dienen. Akribisch prüfen die Karlsruher Richter ihr bereits 2015 in einem Grundsatzurteil aufgestelltes dreistufiges Prüfprogramm durch. Damals hatte das BVerfG die Richterbesoldung in NRW, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt überprüft und bei dieser Gelegenheit einen umfangreichen und äußerst detaillierten Maßstabskatalog erstellt, der regelrecht an den Runderlass einer Finanzbehörde erinnern mochte.
In der vom BVerfG veröffentlichten Jahresvorschau sind aber für 2020 keine weiteren großen Besoldungsentscheidungen angekündigt.
Kommt nach dem BVerfG-Urteil die Einheits-Besoldung?: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42370 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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