Debatte um Rückkehr von Jens Maier in die Justiz: Wie geht eigent­lich eine Rich­ter­an­klage?

Gastbeitrag von Ruben Franzen

10.02.2022

Die Fraktionen in Sachsen erwägen eine Richteranklage gegen Jens Maier, die Voraussetzungen dafür sind aber kaum ausbuchstabiert. Ruben Franzen führt durch eine Gebrauchsanweisung. Im ersten Schritt bräuchte es einen Untersuchungsausschuss.

Nachdem bekannt wurde, dass der vormalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richter Jens Maier seine Rückkehr in die Justiz beantragt hat, wurde ein bisher kaum bekanntes Instrument im Grundgesetz (GG) wiederentdeckt. Die Richteranklage. Ins Spiel gebracht hat sie der Landesverband Sachsen der Neuen Richtervereinigung (NRV) bereits Mitte Januar.

Im ersten Schritt ist der Landtag in Sachsen am Zug. Es bräuchte für das Einleiten eines Verfahrens, das zu einer Richteranklage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) führt, zunächst einen Beschluss von einem Drittel der Mitglieder des Landtags. Diese Mehrheit scheint derzeit aber noch nicht gesichert. Die Fraktionen der SPD, der Grünen und der Linken scheinen tendenziell dafür zu sein, während die CDU erst einmal das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens abwarten will.  Wie das Prozedere für eine Richteranklage aber überhaupt Schritt für Schritt aussehen könnte, darüber herrscht scheinbar wenig Klarheit.

Das mag auch gar nicht verwundern. Eine Richteranklage wurde seit ihrer Schaffung durch das Grundgesetz (GG) noch nie erhoben. Es gibt daher kein einziges Verfahren, das man als Vorbild zugrunde legen könnte. Und in den Gesetzen, die die Richteranklage erwähnen sind die Hinweise spärlich. Hinzukommt ein unübersichtlich verschlungenes Zusammenspiel von Bundes- und Landesrecht, das sogar die Autoren der einschlägigen Kommentare recht ratlos zu machen scheint. 

Wenig bekannt über das genaue Verfahren

Ausgangspunkt ist Art. 98 Abs. 2 GG, der eine Richteranklage an das Bundesverfassungsgericht vorsieht, er gilt für Bundesrichter. Den Ländern ist es nach Art. 98 Abs. 5 GG freigestellt, für Landesrichter eine entsprechende Regelung zu treffen. Sachsen hat mit Art. 80 der sächsischen Verfassung hiervon Gebrauch gemacht. Zum näheren Verfahren schweigen sich beide Normen jedoch aus. Um zu einem in sich konsistenten Verfahrensablauf zu gelangen, müssen zwei weitere Gesetze herangezogen werden, nämlich das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) und das sächsische Untersuchungsausschussgesetz (UAusschussG). 

Das BVerfGG regelt vor allem formale Zulassungsvoraussetzungen wie Fristen: Wann darf eine Richteranklage frühestens erhoben werden, und bis wann muss sie erhoben sein (§ 58 BVerfGG)? Die Vorschriften regeln das Verhältnis zu Disziplinarverfahren, die wegen des gleichen Sachverhaltes zunächst parallel eingeleitet und geführt werden dürfen. Und sie äußern sich dazu, welche unmittelbare Wirkungen das Urteil des BVerfG entfaltet, das einen Richter entlassen, in den Ruhestand oder in ein anderes Amt versetzen kann (§ 59 BVerfGG). Das Sächsische UAusschussG erwähnt die Richteranklage an einer einzigen, versteckten Stelle: § 19 regelt die Rechtsstellung derjenigen, die von einem Untersuchungsauschussverfahren betroffen sein können. Nach § 19 Abs.1 Nr.3 UAusschussG zählt dazu auch ein Richter, wenn gegen ihn eine Untersuchung zur Vorbereitung einer Richteranklage läuft. 

Landtag muss Untersuchungsausschuss einsetzen

Es geht hier und jetzt also darum, dass der Landtag einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Denn wie bei jeder anderen Anklageerhebung auch, muss erst einmal ermittelt werden, was denn genau einem Richter zur Last gelegt werden soll. Geht es dabei um verfassungsfeindliches Verhalten, so liegt es nahe, dazu eine Anfrage an die Verfassungsschutzämter des Landes und des Bundes zu stellen. Aber es können auch Zeugen gehört, Videomitschnitte ausgewertet und Gerichts-Akten eingesehen werden. Und natürlich ist dem betroffenen Richter Gelegenheit zu geben, sich selbst zu äußern und an dem Verfahren mitzuwirken – mit der Option, etwaige Zweifel an der Gewähr seiner Verfassungstreue auszuräumen. 

Bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses für eine Richteranklage gilt es zu beachten, dass es, anders als dies in § 2 Sächs. UAusschussG für den Regelfall vorgesehen ist, nicht ausreicht, wenn dieser Antrag von einem Fünftel der Abgeordneten des Landtags gestellt wird. Denn Art. 80 Abs. 2 Sächs. Verfassung sieht für diesen speziellen Fall der Erhebung einer Anklage ein Quorum von einem Drittel vor. 

Gelten ähnliche Maßstäbe wie für ein Parteiverbot?

Zu den rechtlichen Problemen, die sich einem Untersuchungsausschuss stellen, gehört zunächst die Frage, welche Anforderungen denn an ein Verhalten zu stellen ist, das eine Richteranklage erlaubt bzw. gebietet. 

Der Tatbestand des Art. 98 Abs. 2 S. GG setzt einen Verstoß voraus "gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes". Die Vorschrift in Art. 80 Abs.1 S.1 Sächs. Verfassung weicht mit ihrer Wortwahl davon ab, sie setzt einen Verstoß voraus "gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes oder des Freistaates". Andererseits verwendet das GG die Formulierung des Verstoßes gegen die Grundsätze des GG nur im Zusammenhang mit der Richteranklage und mit der Präsidentenanklage.

Diese unterschiedliche Wortwahl kann Zufall sein. Sie kann aber auch dahingehend auszulegen sein, dass die Anforderungen, die an die Verwirkung von Grundrechten und an ein Parteienverbot zu stellen sind, also den anderen Fallkonstellationen, in denen das BVerfG höchstselbst berufen ist, über den Entzug von Rechten zu entscheiden, in den einzelnen Konstellationen unterschiedlich sind. Denn vielleicht ist es sinnvoll, dass die Frage danach, ob ein Richter sein Amt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr soll ausüben dürfen, anhand anderer Kriterien beurteilt werden sollte als die Frage, ob eine Partei verboten gehört.

Was als Vorwurf nicht ausreicht – nicht ausreichen darf –, ist eine Gesinnung, so wenig diese auch mit den Grundwerten der Verfassung vereinbar sein mag. Eine innere, Grundwerte der Verfassung negierende Haltung müssen sich auch in einem Verhalten, also Handlungen oder Äußerungen, manifestieren. Nur die können einer Richteranklage zugrunde gelegt werden. 

Straffes Zeitfenster 

Der Untersuchungsausschuss schließt seine Tätigkeit mit einem Bericht ab. Im Ergebnis dieses Berichts kann dann die Empfehlung stehen, Anklage zu erheben. Eine Richteranklage muss einen Antrag auf die begehrte Rechtsfolge enthalten, einen diesen Antrag stützende Sachverhaltsdarstellung und die Angabe aller Beweismittel. Erst dann hat der Landtag abschließend über eine Richteranklage zu befinden. Mit der absoluten Stimmenmehrheit aller Abgeordneten, mit einer Mehrheit von Zwei-Drittel der abgegebenen Stimmen, bei Anwesenheit von mindestens Zwei-Drittel der Abgeordneten. All dies erscheint in Art. 80 Sächs. Verfassung sehr klug austariert zu sein in dem Sinne, dass einerseits die richterliche Unabhängigkeit vor vorschnellen Eingriffen zu bewahren ist, und andererseits die Möglichkeit bestehen muss, die verfassungsmäßige Ordnung auch und gerade da zu schützen, wo sie mit der Kompetenz des Richters zur Letztentscheidung ihre Nagelprobe zu bestehen hat.

Zeit lassen kann sich der Landtag dabei nicht. Denn das BVerfGG sieht in § 58 Abs.2 und 3 sehr straffe Zeitfenster vor. Bei einem außerhalb des Dienstes begangenen Verstoßes ist eine Richteranklage innerhalb von 2 Jahren zu erheben. Wobei hier, anders als § 50 BVerfGG bzgl. der Präsidentenanklage, nicht darauf abgestellt wird, wann die Abgeordneten von dem vorwerfbaren Verhalten Kenntnis hatten. Abwarten zu wollen, ob und mit welchem Ergebnis ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, kommt daher der Ablehnung einer Richteranklage gleich.

Andererseits besteht seitens des Dienstvorgesetzten keinerlei Veranlassung, die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses abzuwarten. Denn die in einem Disziplinarverfahren zu klärende Frage, ob eine sich in einzelnen Handlungen manifestierende verfassungsfeindliche Grundhaltung nicht disziplinarrechtliche Konsequenzen zeitigen sollte, ist nach § 17 Abs. 1 Sächs. Disziplinargesetz, auf das § 41 Abs.1 Sächsische Richtergesetz verweist, von Amts wegen einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Beide Verfahren schützen durchaus unterschiedliche Rechtsgüter. Während die Richteranklage, wie dargelegt, der Gewährleistung der Umsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gerichte dient, geht es bei der Untersuchung eines Dienstpflichtvergehens, wie insbesondere eines Verstoßes gegen die basale Pflicht zur Verfassungstreue, um jedwedes Verhalten, das sich mit den Anforderungen an die Ausübung des Richteramtes so wenig verträgt, dass es einer Sanktionierung bedarf. 

Nach § 60 BVerfGG gebührt dabei der Entscheidung des BVerfG der Vortritt, weshalb ein bei einem Disziplinargericht anhängiges Verfahren, dem dasselbe Verhalten zugrunde liegt, das Gegenstand einer Richteranklage ist, ausgesetzt wird. Deshalb mag zunächst Veranlassung bestehen, in beide Richtungen zu ermitteln. 

Der Autor Ruben Franzen ist Richter am Amtsgericht Eilenburg und Sprecher des Landesverbands Sachsen der Neuen Richtervereinigung.

Zitiervorschlag

Debatte um Rückkehr von Jens Maier in die Justiz: . In: Legal Tribune Online, 10.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47496 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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