BVerfG zu Berliner Richterbesoldung: Arm, sexy, ver­fas­sungs­widrig

von Dr. Markus Sehl

28.07.2020

Das Land Berlin hat seinen Richtern und Beamten jahrelang zu wenig gezahlt, so das BVerfG. Die Verfassungsrichter stellten dazu auch fest, dass das Land bei der Anwerbung qualifizierten Justiznachwuchses gescheitert ist.

Das Land Berlin hat seinen Richtern und Staatsanwälten in den Jahren 2009 bis 2015 zu wenig gezahlt. Das stellten die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit am Dienstag veröffentlichten Beschluss fest (Beschl. v. 04.05.2020, Az. 2 BvL 4/18).

Der Zweite Senat entschied, dass die Berliner Besoldungsvorschriften mit dem von Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Alimentationsprinzip unvereinbar sind, soweit es um die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie der Besoldungsgruppe R 3 im Jahr 2015 geht. Eine Gesamtschau der für die Besoldungshöhe relevanten Faktoren habe ergeben, dass "die gewährte Besoldung evident unzureichend war".

Der Berliner Gesetzgeber muss nun bis zum 1. Juli 2021 eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen. Eine Nachzahlung könnten aber nur diejenigen Richter und Staatsanwälte erwarten, sie sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben.

Es war zugleich eine der letzten großen Karlsruher Entscheidung des Ex-Präsidenten des BVerfG, Andreas Voßkuhle, der in dem Verfahren Berichterstatter war. Am 22. Juni 2020 endete seine Amtszeit.

BVerwG ging schon 2017 von der Verfassungswidrigkeit der Besoldungshöhe aus

Die Richterbesoldung beruht auf der sogenannten Besoldungsordnung R und umfasst die Stufen R1 bis R10. Ihre Höhe bestimmen die für ihre Justiz zuständigen Bundesländer selbst. Geklagt hatte unter anderem ein Berliner Richter, der nach Eintritt in die Justiz 2008 vom Richter am Amtsgericht zum Vorsitzenden Richter am Landgericht befördert wurde. Damit stieg er aus der Besoldungsgruppe R1 zu R 2 auf.

Ein weiterer Kläger steht seit 1995 als Richter am Landgericht (R 1) im Dienst des Landes Berlin. Auch hatte die Ehefrau ihres 2015 verstorbenen Mannes geklagt. Der war 1988 in den Berliner Justizdienst eingetreten und seit 1999 als Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin (R 2) tätig. Im Mai 2015 war er zum Vorsitzenden Richter am Kammergericht (R 3) ernannt worden.

Nachdem die Kläger mit ihren Klagen das Bundesverwaltungsgericht erreicht hatten, setzten die Leipziger Richter 2017 das Revisionsverfahren aus und legten dem BVerfG vor. Sie wollten von den Verfassungsrichtern wissen, ob die Besoldung im Land Berlin in den Besoldungsgruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie in der Besoldungsgruppe R 3 im Jahr 2015 mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist. Denn die Bundesverwaltungsrichter waren von der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften für den besagten Zeitraum überzeugt.

BVerfG: Besoldungshöhe "evident unzureichend"

Verfassungsrechtlich ausschlaggebend ist in dieser Hinsicht das sogenannte Alimentationsprinzip. Es gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und verpflichtet den Dienstherrn dazu, seinen Richtern und Beamten sowie deren Familien lebenslang einen Lebensunterhalt zu gewähren, der ihrem Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen ist und der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspricht.

Bei der Bestimmung der Höhe hat Gesetzgeber aber einen weiten Entscheidungsspielraum, das BVerfG deshalb auch nur eine eingeschränkte Kontrollbefugnis. Vor dem BVerfG kann es also nur darum gehen, ob Bezüge "evident unzureichend" sind – und die geprüften Berliner Bezüge sind es.

Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, führen die Verfassungsrichter eine mehrstufige Prüfung durch. Dazu gehört unter anderem ein Vergleich der Richterbezüge mit der allgemeinen Lohnentwicklung, der Lohnentwicklung für Angestellte im öffentlichen Dienst und auch der Inflation.

Die Besoldung genüge nicht, "um Richtern und Staatsanwälten nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieser Ämter für die Allgemeinheit einen der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen", heißt es in dem Beschluss.

Dafür vergleichen die Karlsruher Richter, in erster Linie die Entwicklung der Besoldung mit derjenigen der Einkommen der Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst, der Entwicklung des Nominallohn- und des Verbraucherpreisindex.

Zudem wurde nach Auffassung des BVerfG das Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen durchgehend deutlich verletzt, dort fehle es an dem gebotenen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau. Damit hatte der Berliner Gesetzgeber sozusagen schon den Grundbaustein für die Besoldungsordnung falsch angelegt; das wirkt sich dann auf das gesamte Besoldungsgefüge bis in die oberen Gruppen aus.

Schließlich konnten die Verfassungsrichter auch keinen Rechtfertigungsgrund zugunsten der Berliner Besoldungsentscheidungen erkennen.

Europarat-Studie: Deutsche Richterbesoldung rangiert am unteren Ende

Die Verfassungsrichter betonen besonders, dass die ausreichende Alimentation nicht nur dem Lebensunterhalt, sondern auch der Qualitätssicherung in der Justiz diene. Die Frage nach der angemessenen Besoldung sei schließlich auch eine Frage der richterlichen Unabhängigkeit, führen die Richter in ihrem Beschluss aus. Durch die Festlegung der Besoldung in angemessener Höhe werde gewährleistet, dass ein Richter unabhängig nach Gesetz und Gewissen entscheiden kann.

Der Zweite Senat weist dazu auch auf eine Studie des Europarats zur Qualität der Justiz in den Mitgliedstaaten aus dem Jahr 2018 hin. Ausweislich der Daten, die aus dem Jahr 2016 stammen, rangiert die Richterbesoldung in Deutschland wie auch schon in den Vorjahren "verglichen mit dem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt am unteren Ende aller Mitgliedstaaten des Europarates". Ob die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion erfüllen kann, zeige sich, so die Verfassungsrichter, auch daran, ob es in dem betreffenden Bundesland gelingt, überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben.

Abgesenkte Einstellungsvoraussetzungen als Zeichen für unzureichende Besoldung

Die Verfassungsrichter werteten die Absenkung der Einstellungsvoraussetzungen für angehende Richter und Staatsanwälte in Berlin als ein Zeichen dafür, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion nicht mehr erfüllen konnte. Ab 2007 habe die Justizverwaltung in Berlin statt mindestens der Note "vollbefriedigend" diese nur noch "in der Regel" erwartet. Ab 2011 durfte an den Auswahlverfahren auch teilnehmen, wer 7,5 Punkte in der Ersten Prüfung und 8,5 Punkte in der Zweiten Staatsprüfung erzielt hatte.

Das Land Berlin hatte zu seiner Verteidigung in einer Stellungnahme vorgebracht, auch zuvor seien Bewerber "nach Angebot und Nachfrage" ohne die geforderte Qualifikation zum Zuge gekommen. Die Verfassungsrichter finden aber, das ändere nichts daran, dass ein vormals jedenfalls im Ausgangspunkt nicht für geeignet erachteter Bewerberkreis angesprochen werden musste.

Das Land Berlin hatte erklärt, die Absenkung der formalen Anforderungen sei nicht aus der Not heraus erfolgt, sondern man habe nicht von vornherein auf die Bewerbung einzelner hervorragend geeigneter Bewerber mit befriedigendem Examen verzichten wolle, deren Eignung sich erst im Rahmen des strukturierten Auswahlgesprächs herausstelle.

Das wollen die Verfassungsrichter so aber nicht gelten lassen. Denn dann wäre zu erwarten gewesen, dass in allen Jahren Bewerber ohne Prädikatsexamen in proportionalem Verhältnis zur Zahl der besetzten Stellen zum Zuge kommen, heißt es in dem Beschluss. Das Land habe aber in den Jahren 2009 bis 2011 und 2014, in denen mehr als zwanzig Stellen zu besetzen waren, in größerem Umfang Bewerber einstellen müssen, die nur ein befriedigendes Ergebnis aufzuweisen hatten. Dabei habe die Zahl der Absolventen, die in der Zweiten Staatsprüfung ein Prädikatsexamen erreicht hatten, auch in diesen Jahren die Stellenzahl um ein Mehrfaches überstiegen. Die Karlsruher Richter kommen deshalb zu dem Ergebnis: "Davon, dass es dem Land Berlin gelungen wäre, durchgehend überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben […] kann daher keine Rede sein."

In welchen Fällen drohen Berlin Nachzahlungen?

Da die Richterbesoldung nicht bundeseinheitlich geregelt ist, gibt es teils erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Im Jahr 2015 hatte das Karlsruher Gericht die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten in Sachsen-Anhalt für verfassungswidrig erklärt. Klagen gegen die Besoldung beschäftigen Gerichte seit Jahren. Der Deutsche Richterbund (DRB) begrüßte am Dienstag in einer Stellungnahme die Karlsruher Entscheidung. Und er erneuerte seine auch in der Vergangenheit immer wieder gestellte Forderung, zu einer bundesweit einheitlichen Regelung zurückzukehren, wie es sie bis 2006 gegeben hatte. "Gerade im Wettbewerb um die besten Nachwuchsjuristen drohen manche Länder den Anschluss zu verlieren", sagten die DRB-Vorsitzenden Barbara Stockinger und Joachim Lüblinghoff. "Die aktuelle Besoldungspolitik vieler Länder ist kurzsichtig und gefährdet die hohe Qualität der Justiz".

Das BVerfG hat mit der am Dienstag veröffentlichten Entscheidung die Berliner Besoldungsregeln aber nicht für nichtig erklärt, denn damit hätte ab sofort für die Justizbesoldung überhaupt eine gesetztliche Grundlage gefehlt. Ein Zustand, den das Gericht in ständiger Rechtsprechung mit dem Gedanken als "von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt wäre als der bisherige" einstuft.

Auch folgt aus einer Unvereinbarkeitserklärung der einschlägigen Normen grundsätzlich die Pflicht für den Gesetzgeber, die Rechtslage rückwirkend verfassungskonform zu gestalten. Mit Rücksicht auf die gegenwärtig schon erfolgten Haushaltsplanungen sei das aber nicht angezeigt.

Eine rückwirkende Behebung sei jedoch sowohl für die Kläger der Ausgangsverfahren als auch für die weiteren Richter und Staatsanwälte erforderlich, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist. Dabei komme es nicht darauf an, ob ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebe. Entscheidend sei, dass sie sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben, sodass der Haushaltsgesetzgeber nicht im Unklaren geblieben ist, in wie vielen Fällen es möglicherweise zu Nachzahlungen kommen wird.

Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz teilte am Dienstag gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Finanzen* mit, dass man die Vorgaben des BVerfG umsetzen werde. Dies betreffe insbesondere rückwirkende Ausgleichszahlungen für diejenigen Richter und Staatsanwälte, die sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah gewehrt haben.

Die Senatsverwaltung betonte aber auch, dass seit August 2016 die Besoldung in den Einstiegs- und Beförderungsämtern für Richter sowie für Staatsanwälte in Berlin um insgesamt 17 Prozent gestiegen sei. Zudem habe ab 2018 die Besoldungsanpassung jeweils 1,1 Prozent über der durchschnittlichen Besoldungsanpassung der Bundesländer gelegen. Darüber hinaus wurden 2017 und 2018 die Sonderzahlungen erhöht. Bis 2021 werde die Besoldung das Niveau des Durchschnitts der Bundesländer erreichen, heißt es in der Mitteilung.

Auch die Bewerberlage für Stellen als Richter oder Staatsanwalt sei in den vergangenen Jahren in Berlin gut. Die Stellen hätten in der Regel mit Kandidaten besetzt werden können, die in beiden Staatsexamina ein Prädikat erreicht haben. Denn es habe deutlich mehr Bewerber als freie Stellen gegeben.

Ob das nicht aber vielmehr am Standortvorteil der Hauptstadt Berlin liegen dürfte als an einer besonders attraktiven Berliner Bezahlung, dazu schweigt die Mitteilung.

Mit Material der dpa

 

* Anm. d. Red.: ergänzt um den Hinweis auf die Finanzverwaltung am 28.07.2020, 16.55 Uhr.

Zitiervorschlag

BVerfG zu Berliner Richterbesoldung: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42333 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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