Eine gestraffte Hauptverhandlung, mehr Möglichkeiten bei der DNA-Analyse und Telekommunikationsüberwachung bei Wohnungseinbrüchen – der Bundestag beschließt am Freitag das Gesetz zur "Modernisierung des Strafverfahrens". Das steht drin.
Der Bundestag beschließt heute eine Reform des Strafverfahrens. Strafermittler erhalten neue Befugnisse und die erstinstanzliche Hauptverhandlung soll beschleunigt werden. Das ändert sich:
Ein Anwalt für mehrere Nebenkläger
Das Gericht kann künftig einer Gruppe von Nebenklägern einen gemeinsamen Rechtsanwalt beiordnen, nämlich immer dann, wenn die Nebenkläger "gleichgelagerte Interessen" verfolgen. Das gilt etwa, wenn es sich um die gemeinsamen Angehörigen eines Opfers handelt. So soll insbesondere verhindert werden, dass sehr große Verfahren – wie etwa der NSU-Prozess oder der Duisburger Loveparade-Prozess – unüberschaubar werden.
Weiterverhandeln trotz Befangenheitsantrag
Befangenheitsanträge sollen möglichst schon vor der Hauptverhandlung geklärt werden: Deshalb müssen Strafverteidiger den Antrag künftig "unverzüglich" stellen, sobald ihnen die Besetzung des Gerichts und Gründe für eine mögliche Befangenheit eines Richters bekannt sind. Wird während der Hauptverhandlung ein Befangenheitsantrag gestellt, kann der abgelehnte Richter das Verfahren erstmal fortsetzen. Über den Befangenheitsantrag muss innerhalb von zwei Wochen entschieden werden. Nur wenn er erfolgreich ist, muss der entsprechende Teil der Hauptverhandlung wiederholt werden.
Beweisanträge leichter ablehnen
Hat der Vorsitzende Richter den Eindruck, dass die beantragte Beweiserhebung nur zur Verschleppung des Verfahrens dient, darf er sie ohne förmlichen Gerichtsbeschluss ablehnen. In § 244 Abs. 3 StPO wird eine Legaldefinition des Beweisantrags eingeführt. Demnach kommt es darauf an, dass der Antragsteller "ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld-oder Rechtsfolgenfrage betrifft" zu erheben. Zudem muss dem Antrag zu entnehmen sein, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.
Vorabentscheidung über Besetzungsrügen
Für Besetzungsrügen wird ein Vorabentscheidungsverfahren eingeführt. Das Gericht muss die Besetzungsmitteilung künftig förmlich an den Verteidiger zustellen. Der Einwand, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt, muss dann innerhalb einer Woche erhoben werden. Über die Besetzungsrüge entscheidet das Oberlandesgericht (OLG) bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht (LG) bzw. der Bundesgerichtshof (BGH) bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG. Diese Entscheidung ist abschließend. Ziel ist es, dass nicht erst im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Besetzung des Gerichts entschieden wird.
Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen Mutterschutz und Elternzeit
Die Hauptverhandlung kann für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden – und zwar nicht nur, wenn ein Richter krank ist, sondern auch, wenn eine Richterin wegen Mutterschutz oder Elternzeit ausfällt. Das soll verhindern, dass der Prozess wegen des Mutterschutzes einer Richterin neu aufgerollt werden muss.
Keine Gesichtsverhüllung
Angeklagte, Zeugen und andere an der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht nicht verhüllen, also zum Beispiel keine Burka und keinen Niqab tragen. Das sieht der neu eingefügte § 176 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz vor. Der Vorsitzende Richter kann allerdings Ausnahmen zulassen. Zeugen, die besonders gefährdet sind, und verdeckte Ermittler dürfen ihr Gesicht verhüllen, um ihre Identität zu verbergen.
Erweiterte DNA-Analyse
Die Polizei darf künftig DNA-Spuren untersuchen , um Rückschlüsse auf Hautfarbe, Augenfarbe, Haarfarbe und Alter der gesuchten Person zu ziehen. Schon jetzt dürfen der genetische Fingerabdruck, die Abstammung und das Geschlecht bestimmt und die Daten mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden. So kann etwa ein mutmaßlicher Täter identifiziert werden. Die neuen Befugnisse sollen der Polizei dagegen ermöglichen, sich ein genaueres Bild der gesuchten Person zu machen. Je nach Merkmal variiert die Genauigkeit der Analyse.
Telekommunikationsüberwachung bei Wohnungseinbruchdiebstahl
Um Einbrüche in Privatwohnungen aufzuklären, darf die Polizei künftig gem. § 100a StPO auch die Telekommunikation eines einzelnen Tatverdächtigen überwachen. Bisher war das nur bei Einbrecherbanden möglich. Möglich ist nicht nur die Telefonüberwachung, sondern auch die umstrittene, sogenannte Quellen-TKÜ , mit der etwa Nachrichten über verschlüsselte Messengerdienste direkt auf dem Handy der überwachten Person mitgelesen werden können.
Video-Vernehmung von Opfern von Sexualstraftaten
Schon bisher soll bei bestimmten schweren Straftaten die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen im Ermittlungsverfahren durch einen Richter durchgeführt und audiovisuell aufgezeichnet werden. So kann die Videoaufzeichnung unter bestimmten Voraussetzungen in der Hauptverhandlung vorgeführt werden und dem Betroffenen eine erneute Vernehmung erspart werden. Künftig soll das auch für erwachsene Opfer von Sexualstraftaten gelten - und zwar zwingend immer dann, wenn so schutzwürdige Interessen besser gewahrt werden können und der Betroffene damit einverstanden ist. Außerdem sollen Opfern von sexuellen Übergriffen in besonders schweren Fällen privilegierten Anspruch auf einen Rechtsanwalt erhalten. Das war bisher in bestimmten Fällen nicht vorgesehen, in denen es zwar um ein Vergehen in einem besonders schweren Fall, aber nicht um ein Verbrechen ging.
Einführung eines Gerichtsdolmetschergesetzes
Schließlich wird im Zuge der Reform ein bundesweites Gerichtsdolmetschergesetz eingeführt. Damit sollen einheitliche Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern geschaffen werden. Das Gesetz legt unter anderem fest, wie die erforderlichen Sprachkenntnisse nachzuweisen sind.
Bundestag beschließt StPO-Reform: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38725 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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