Ob Strafprozesse künftig per Audio-Software aufgezeichnet werden, muss noch der Vermittlungsausschuss entscheiden. Zum Test hat das Justizministerium vorab eine Verhandlung simuliert. Mit Richterbank, Zwischenrufen und Dialekten.
Strafprozesse finden im Bundesjustizministerium in der Berliner Mohrenstraße bekanntlich nicht statt. Eine Ausnahme gab es aber am Montag. Das Ministerium von Marco Buschmann (FDP) hatte zu einer Strafgerichtsverhandlung eingeladen, inklusive Richterbank, Strafverteidigerinnen, Zeugen. Der Angeklagte musste sich wegen eines Tötungsdelikts verantworten. Alles aber nur simuliert, ein Urteil blieb aus. Getestet werden sollte eine neue Software, mit der Gerichtsverfahren aufgezeichnet werden können.
In Deutschland wird nur durch Mitschreiben per Hand festgehalten, was sich im Strafprozess ereignet hat. Eine objektive Dokumentation des Geschehens ist nicht vorgesehen. Stattdessen werden vor den Land- und Oberlandesgerichten nur die wesentlichen Förmlichkeiten im Protokoll festgehalten. Künftig soll stattdessen eine Tonspur der Verhandlung aufgezeichnet, per Software anschließend transkribiert werden. Davon verspricht sich Justizminister Buschmann, aus dessen Haus das Gesetz stammt, eine Entlastung aller am Gerichtsverfahren Beteiligten. Statt aufs Anfertigen von Notizen, könnten die sich auf das eigentliche Verfahren konzentrieren. Der Bundestag hat ein entsprechendes Gesetz Ende 2023 beschlossen.
Widerstand gegen die Pläne kommt aus der Richter- und Staatsanwaltschaft und den für ihre Justiz zuständigen Ländern. Auch der Deutsche Richterbund weist auf fehlende technische Ausstattung hin und befürchtet, dass die Transkription anfällig für Fehler sein könnte. Das Gesetzgebungsprojekt hängt derzeit im Vermittlungsausschuss fest.
Wie gut versteht die Software Badisch?
Bei dem "Gerichtstermin" am Dienstag im BMJ war auch keine Einigung in Aussicht, sondern vor allem ging es darum, einen Eindruck von der Software im Betrieb zu verschaffen. Und zwar so realistisch wie möglich. Das BMJ hatte dazu einigen Aufwand betrieben, es will das Vorhaben im Rahmen einer Digitalisierung der Justiz voranbringen. Was es dort im "Gerichtssaal" zu sehen, hören und dann nachzulesen gab, schilderten mehrere Beteiligte gegenüber LTO.
Das BMJ hatte demnach die Situation in einem Gerichtssaal nachgestellt, Mikrofone auf den Tischen verteilt, Platz für die Nebenklage samt Rechtsbeistand, die Vertreter aus Bund und den Ländern hatten in Zuschauerreihen Platz genommen. Besetzt war die fünfköpfige Richterbank mit Personal aus dem BMJ. Allerdings konnten – untypisch für einen Gerichtsprozess – auch Interessierte von der Zuschauerbank zwischendurch mal in die Mikrofone sprechen, um sich von der Unabhängigkeit des vom BMJ organisierten Experiments zu überzeugen. Das ganze Schauspiel soll eine gute halbe Stunde gedauert haben. Durchgespielt wurden Zwischenrufe, ins-Wort-Fallen und Dialekte. Alles Szenarien, die als Härtetest für die Transkriptionssoftware gelten. Denn die muss nicht nur Redebeiträge korrekt den Sprechenden zuordnen, sondern auch Dialekte möglichst zutreffend ins Hochdeutsche übertragen. Der Software wurde am Montag Badisch präsentiert, ein Dialekt, der aus der eigenen Beamtenschaft bereitgestellt werden konnte. Die Anwesenden verschafften sich dabei einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Software.
Befürworter wie Kritiker konnten sich bestätigt sehen
Eine Person, die an der Simulation teilgenommen hat, fasst es so zusammen: Jeder habe sich in seiner Haltung bestätigt sehen können. Will heißen: Wer kritisch gegenüber Aufzeichnung und Transkription ist, konnte Unsicherheiten bei der Übertragung entdecken. Eine Software mit Fehlerrisiko im offiziellen Einsatz bei Gericht? Für das Lager der Skeptiker kaum denkbar.
Wer die Aufzeichnung befürwortet, der zeigte sich "beeindruckt" davon, was die Software bereits jetzt leistet. Berichtet wird von einer "hohen Übereinstimmung", von einem "gelungenen Experiment". Außerdem betonen die Fürsprecher, dass die Transkription der Praxis ohnehin nur ein Hilfsmittel anbieten soll. Also"mehr" als gar nichts.
Namentlich zitieren lassen wollen sich die Teilnehmenden, mit denen LTO sprach, nicht. Die Simulation war bewusst in einem sehr begrenzten und vertraulichen Rahmen gehalten. Als nächstes soll das gemeinsame Erlebnis nun ausgewertet werden.
BMJ simuliert Prozess-Aufzeichnung: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54647 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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