Das Aus für das Fax, in Zukunft stattdessen echte Online-Gerichtsverfahren, ein Chatroom für Gericht und die Prozessparteien? Eine Arbeitsgruppe aus Zivilrichtern hat ein Thesenpapier vorgelegt, das den Zivilprozess moderner machen soll.
Zahlreiche Richter aus verschiedenen OLG-Bezirken haben seit dem vergangenen Jahr gemeinsam an Vorschlägen für einen zeitgemäßen Zivilprozess gearbeitet. In einem Zwischenbericht hat die Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses" nun ihre Vorschläge veröffentlicht. Damit soll das Zivilverfahren nach eigener Aussage bürgerfreundlicher und effizienter werden.
Den Auftrag hat die Arbeitsgruppe von den Präsidenten der Oberlandesgerichte (OLG), des Kammergerichts (KG), des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) auf deren 71. Jahrestagung im Mai 2019 erhalten.
Die mit Präsidenten und Vizepräsidenten hochkarätig besetzte Expertengruppe hat ihre Arbeit im September 2019 aufgenommen. Sie sollte vor allem klären, "ob unser Prozessrecht überhaupt für eine Digitalisierung der Verfahren den nötigen Spielraum eröffnet", wie Dr. Thomas Dickert, Präsident des OLG Nürnberg, gegenüber LTO sagte. "Die von den OLG-Präsidenten eingesetzte Arbeitsgruppe, die ich leiten darf, hat den Auftrag erhalten, die Grundlagen für eine Überführung der aus dem Jahr 1879 stammende ZPO in das digitale Zeitalter zu entwickeln."
Online-Gerichte-Portal für Bürger
Mit einem Vorschlag aus dem fünfseitigen Thesenpapier soll den Bürgern der Weg zu den Zivilgerichten erleichtert werden. Dafür soll ein bundesweit einheitliches Online-Portal eingerichtet werden. Das soll den Rechtssuchenden zukünftig helfen, den richtigen Rechtsbehelf auszuwählen oder zum Beispiel Mahnanträge abzufassen.
Bislang sind für die Anträge, die örtlichen Zivilgerichte zuständig. Ersetzen soll das neue Online-Verfahren die Stellen an den Gerichten aber nicht. Das Portal soll den Bürger vielmehr ein zusätzliches Angebot bieten, so sollen sie in Videogesprächen auch mit den Mitarbeitern an den Zivilgerichten kommunizieren können.
Vor allem zwei Verfahren sollen nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppe künftig über das Online-Portal abgewickelt werden. Zum einen ein "echtes Online-Mahnverfahren", in dem ein Antrag online gestellt werden kann, auf den der Antragsgegner dann auch online reagieren kann.
Beschleunigte Online-Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten
Zum anderen soll ein neues sogenanntes beschleunigtes Online-Verfahren für Verbraucherverfahren eingeführt werden. Dabei handelt es sich ausweislich des Zwischenberichts um ein "formularbasiertes Verfahren, das in der Regel vollständig im Wege elektronischer Kommunikation geführt wird." Damit sollen die beschleunigten Verfahren bei bestimmten Gerichten konzentriert werden, sodass "zentrale Online-Gerichte" entstehen.
Diese Online-Gerichte sollen für Streitwerte bis 5.000 Euro zuständig sein und zunächst nur massenhaft auftretende Streitigkeiten bearbeiten, in denen Verbraucher Unternehmen verklagen. Während die Verbraucher frei auswählen können, ob sie online oder analog klagen wollen, sieht der Zwischenbericht für die beklagten Unternehmen hingegen einen Nutzungszwang vor.
Nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe sollen diese Verfahren grundsätzlich ohne eine mündliche Verhandlung auskommen. Wenn diese ausnahmsweise erforderlich seien sollte, soll sie als Video- oder Telefonkonferenz abgehalten werden. Auf diesem Wege soll dann auch die Beweisaufnahme stattfinden, wobei der Freibeweis gelten soll, die Beteiligten also nicht an die in der Zivilprozessordnung (ZPO) aufgeführten Beweismittel gebunden sind.
Virtuelle Gerichtsverhandlungen
Aber nicht nur die neuen sogenannten beschleunigten Online-Verfahren sollen für eine digitale Justiz stehen. Auch sollen virtuelle Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz möglich sein, bei denen sich das Gericht gar nicht im Sitzungssaal aufhalten muss. Die Verhandlung soll für die Öffentlichkeit zeitgleich in einen vom Gericht bestimmten Raum übertragen werden.
Und auch in Gerichtsverfahren, die weiterhin klassisch analog stattfinden, sollen laut dem Thesenpapier Zeugen für eine Vernehmung online zugeschaltet werden können. Der Zeuge solle dann per Videoanruf in den Gerichtssaal geschaltet werden können. Außerdem soll statt einer schriftlichen Zeugenvernehmung dann auch die Videoaufzeichnung genutzt werden können.
Für Dokumente soll eine Regelung geschaffen werden, damit diese als Beweise elektronisch zur Akte genommen werden können. Speziell für Urkunden soll ein elektronisches Archiv geschaffen werden, aus dem die niedergelegten Urkunden im Wege des Urkundenbeweises in das Verfahren eingebracht werden können.
Kanzleipostfach für Rechtsanwälte
Auch der Austausch mit den Rechtsanwälten soll sich verändern, womit die Expertengruppe eine Forderung der Anwaltschaft aufnimmt. Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), bei dem jeder Anwalt bisher seinen ausschließlich persönlichen Zugang hat, soll um ein Kanzleipostfach erweitert werden. Darüber hinaus sollen ab dem Jahr 2026 auch unter anderem öffentlich bestellte Sachverständige, Dolmetscher und Betreuer am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen.
Daneben enthält das Thesenpapier einen Vorschlag für einen "elektronischen Nachrichtenraum". Darin sollen sich das Gericht und die Prozessbeteiligten unabhängig von Schriftsätzen und gerichtlichen Entscheidungen formlos austauschen können. Dies käme zum Beispiel für Terminabsprachen und -verlegungen oder Vergleichsvorschläge in Frage.
Herangetraut hat sich die Arbeitsgruppe auch an ein Kommunikationsmittel, das in der Justiz derzeit noch unverzichtbar ist: Das Telefax soll abgeschafft werden – zumindest perspektivisch. Bereit jetzt soll dagegen auf die Prozessbevollmächtigten eine Auslagenpauschale zukommen, wenn Dokumente doppelt eingereicht werden.
"Basisdokument" für den Anwaltsprozess
Eine weitere Überlegung zielt darauf ab, den Parteivortrag im Zivilprozess übersichtlicher zu gestalten. Helfen soll dabei ein gemeinsames Dokument in der elektronischen Akte, das als "Basisdokument" für den Vortrag dienen und zumindest für die Parteien im Anwaltsprozess verbindlich seien soll. Darin soll das vollständige Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Sicht mit den dazugehörigen Sachanträgen dargestellt werden.
In dem Basisdokument soll dadurch eine Art Relationstabelle entstehen, die den Sachvortrag des Klägers auf der einen und den des Beklagten auf der anderen Seite abbildet. Die einzelnen Abschnitte des vorgetragenen Lebenssachverhalts sollen dann nach dem zeitlichen Geschehen untereinander aufgeführt werden, so der Vorschlag. Ein nachträglich ergänzender Vortrag müsste entsprechend gekennzeichnet werden.
Im Laufe des Verfahrens soll der wechselseitige Sachvortrag in dem Basisdokument verbindlich werden, heißt es in dem Zwischenbericht. Das heißt, er fungiert als Tatbestand des Urteils und bildet somit auch die Entscheidungsgrundlage.
Zusammenfassend stellt Dr. Dickert fest, dass sich in dem jetzt vorliegenden Thesenpapier manche bekannte, aber auch ganz neuartige Vorschläge finden. "Unser Bestreben war es, eine systematische, sozusagen ganzheitliche Weiterentwicklung des Prozessrechts anzubieten." Die Vorschläge sollten nun intensiv zunächst mit der Richterschaft, dann mit der Anwaltschaft und der Wissenschaft diskutiert und weiter konkretisiert werden, sagt der Leiter der Arbeitsgruppe gegenüber LTO. Der weitere Fahrplan sieht dafür zeitnah einen Zivilrichtertag in Nürnberg vor.
Richter-Arbeitsgruppe legt Thesenpapier vor: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42278 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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