70 Jahre BGH: Die letzte Instanz

von Dr. Markus Sehl

01.10.2020

Fast wäre der BGH im Oktober 1950 gar nicht in Karlsruhe errichtet worden. Und seine Anfangsjahre waren belastet. Heute sorgt er mit seinen Grundsatzentscheidungen für Rechtssicherheit und genießt großes Vertrauen.

Am 1. Oktober 1950, heute vor 70 Jahren, wurde der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe errichtet. Zuvor hatte nach dem Ende des 2. Weltkriegs übergangsweise ein Oberster Gerichtshof für die britische Zone in letzter Instanz Recht gesprochen – mit Sitz in Köln. Und eigentlich hätte es auch für den BGH anders kommen sollen, wenn es nach Bundeskanzler Konrad Adenauer gegangen wäre. Denn der hatte sich als Sitz für den BGH seine Heimatstadt Köln gewünscht. Zwölf Städte konkurrierten darum, Standort für Deutschlands höchstes Zivilgericht zu werden. Am 20. Juni 1950 erhielt Karlsruhe mit 18 zu vier Stimmen in dem zuständigen Ausschuss den Zuschlag als Sitz des BGH.   

Bei der Eröffnung fehlte Adenauer, gekommen war Bundespräsident Theodor Heuss. Er soll damals in seiner Rede vor allem die Tradition des Reichsgerichts beschworen haben. Ein richtiger Neuanfang begann für den BGH erst Schritt für Schritt, seine Anfangszeit gilt als schwer belastet. Beim Richterpersonal wie auch bei der ebenfalls dort angesiedelten Bundesanwaltschaft blieben zunächst Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Bei der Bundesanwaltschaft seien im Jahr 1953 von den 28 Mitarbeitern des höheren Dienstes 22 ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen, sagte Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Safferling, der in einem Forschungsprojekt seit 2017 die Anfangsjahre der Anklagebehörde in deren Auftrag untersucht. 

Rechtseinheit und Rechtsfortbildung 

Bis heute füllen allein die Leitentscheidungen des BGH hunderte Bände im Zivilrecht, im Strafrecht sind es deutlich weniger. Die Aufgabe des Bundesgerichtshofs besteht vor allem darin, für Rechtseinheit zu sorgen. Immer wieder erreichen ihn ganz grundsätzliche Rechtsfragen. Darunter sind alte und neue Klassiker für Jurastudierende - wie der gutgläubige Erwerb eines abhanden gekommenen PKW - ebenso wie Entscheidungen zu Schönheitsreparaturen im Mietverhältnis. Vor dem BGH geht es auch darum, ob rücksichtslose Raser bei einem illegalen Autorennen auch wegen Mordes verurteilt werden dürfen, um Datenschutz im Internet oder darum, ob PKW-Käufer Schadensersatz im Dieselskandal erhalten.  

Die Richter sorgen mit ihren Entscheidungen auch für die Rechtsfortbildung, also Antworten auf noch ungeklärte Auslegungsfragen. Der BGH ist die letzte Instanz für Straf- und Zivilverfahren. Die Entscheidungen der Instanzgerichte – der Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte – überprüfen die BGH-Richter grundsätzlich nur auf Rechtsfehler. 

Das Hauptgebäude des BGH ist das Erbgroßherzogliche Palais in Karlsruhe. Mit der Zeit sind auf dem weitläufigen, parkähnlichen Areal weitere Gebäudeteile hinzugekommen. Quasi als Außenstelle gehört auch der 5. Strafsenat dazu, der seinen Sitz seit 1952 in Berlin hatte und im Juli 1997 zusammen mit der ihm zugeordneten Dienststelle des Generalbundesanwalts die Villa Sack in Leipzig bezog. Dort sitzt nun auch der im Februar 2020 neu errichtete 6. Strafsenat

Die letzte Instanz einer unabhängigen Justiz 

Wie das aktuelle EU-Justizbarometer und zuletzt auch wieder die EU-Kommission betont, haben "die Öffentlichkeit und Unternehmen" generell eine hohe Meinung von der Unabhängigkeit der deutschen Gerichte und der Richter.  

Insgesamt bewerten 76 Prozent der Gesamtbevölkerung und 73 Prozent der Unternehmen die deutsche Justiz als "ziemlich oder sehr unabhängig". Dieses positive Urteil über die richterliche Unabhängigkeit ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Dazu trägt auch die letzte Instanz in Straf- und Zivilsachen ganz wesentlich bei: der BGH. 

Offiziell und feierlich eröffnet wurde der Bundesgerichtshof am 8. Oktober 1950, also eine Woche nach der Errichtung. Auch 70 Jahre später ist für die kommende Woche ein Festakt geplant. Teilnehmen werden am kommenden Donnerstag unter anderem die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg und Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank, aber auch Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts und Gäste aus der Politik. Diskutiert wird zum Thema "Bilder der Justiz – Ab-Bild der Gesellschaft?". 

Zitiervorschlag

Markus Sehl, 70 Jahre BGH: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42987 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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