Verstößt ausgerechnet die Kanzlei, die VW vor dem BGH wegen sittenwidriger Schädigung im Dieselskandal in die Knie zwang, jetzt selbst gegen Recht und Moral? Ein provokantes Werbeplakat bringt Goldenstein & Partner in die Bredouille.
Im Dieselskandal triumphierte die Rechtsanwaltskanzlei Goldenstein & Partner, die ihren Hauptsitz in Potsdam hat, vor dem BGH, als dieser dem Autobauer Volkswagen wegen des Einbaus von Abschalteinrichtungen eine sittenwidrige Schädigung tausender Autofahrer attestierte. Jetzt bekommt die Kanzlei selbst ein Problem mit der Einhaltung guter Sitten und offenbar auch mit dem anwaltlichen Berufsrecht: Grund ist ein provokantes Werbeplakat mit einer Anspielung auf die Länge des männlichen Glieds. Die zuständige Rechtsanwaltskammer (RAK) Brandenburg kündigte gegenüber LTO an, zu prüfen, ob die Kanzlei wegen ihres Werbeauftritts abgemahnt wird.
Das Poster mit dem Slogan "WIR HABEN DEN GRÖSSTEN Erfolg in der Geschichte des Dieselskandals errungen" zeigt einen tätowierten Mann, der vor seiner Unterhose, auf der Autos abgebildet sind, mit einem Zentimetermaß hantiert und damit offensichtlich auf die Größe seines Geschlechts anspielt. Wie die Kanzlei mitteilte, sollen etwa 300 dieser Plakate an 30 verschiedenen Standorten für die Kompetenz der Kanzlei im Zusammenhang mit Ansprüchen aus dem Dieselskandalwerben. Zu sehen ist die Werbebotschaft bereits jetzt in Toiletten an Raststätten der Region Hannover und Mecklenburg-Vorpommern, ab Donnerstag soll das Poster auch in der Gastronomie und in Shopping-Centern in Potsdam und Umgebung hängen.
Auch wenn manchen Betrachtern beim Anblick des Posters vielleicht zum Schmunzeln zu Mute sein sollte: Berufsrechtler und Anwaltskammer sind alles andere als erfreut. Im Raum steht ein Verstoß gegen § 43b der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Danach ist dem Rechtsanwalt nur solche Werbung erlaubt, die über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.
Verstoß gegen § 43b BRAO?
Renommierte Berufsrechtler haben nun Zweifel, ob das Poster der Kanzlei dem Gebot der Sachlichkeit noch entspricht und ob es noch im Einklang mit höchstrichterliche Rechtsprechung steht, die die Vorschrift des § 43b BRAO im Laufe der Jahre zunehmend konkretisiert hat.
So verweisen die Berufsrechtler Prof. Dr. Martin Henssler und Dr. Christian Deckenbrock von der Universität Köln gegenüber LTO auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Oktober 2014 (Az. AnwZ (Brfg) 67/13), das auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden war (Beschl. vom 5.3.2015, Az. 1 BvR 3362/14).
Danach sei eine Werbung berufsrechtswidrig, wenn sie darauf abziele, gerade durch ihre reißerische und sexualisierende Ausgestaltung die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen und dabei ein etwa vorhandener Informationswert in den Hintergrund gerückt wird oder gar nicht mehr erkennbar ist. Derartige Werbemethoden seien geeignet, die Rechtsanwaltschaft als seriöse Sachwalterin der Interessen Rechtsuchender zu beschädigen. Mit der Stellung eines Rechtsanwalts sei im Interesse des rechtsuchenden Bürgers eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt und mit der eigentlichen Leistung des Anwalts sowie dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts mehr zu tun habe.
Berufsrechtler: "Geschmacklos, unsachlich, unzulässig"
Ob das Plakat der Kanzlei Goldenstein & Partner vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung berufsrechtswidrig ist, möchten Henssler und Deckenbrock nicht ausschließen: "Uns würde es nicht überraschen, wenn auch diese Werbung als eine solche angesehen wird, die über den bloßen Gebrauch von Ironie und Sprachwitz als Stilmittel hinausgeht. Wir persönlich halten die Werbung allerdings für einen Grenzfall."
Weniger als Grenzfall, sondern als klar berufsrechtswidrig, bewerten dagegen andere Berufsrechtler die Werbung: Rechtsanwalt Markus Hartung sieht "die Grenze des Zulässigen" überschritten. Es handele sich um sexualisierte Werbung, die mit der Sache selbst nichts zu tun habe, so Hartung. Unabhängig vom berufsrechtlichen Aspekt sei die Werbung außerdem "massiv geschmacklos". Hartung gegenüber LTO: "Wie kann man heute noch mit so etwas werben?"
Auf der Hand liegt der berufsrechtliche Verstoß auch für den langjährigen Experten im anwaltlichen Berufsrecht, Rechtsanwalt Martin W. Huff: "Dass es sich um eine anwaltliche Werbung handelt, ist kaum zu erkennen, der Schriftzug 'Rechtsanwälte' dürfte im Vorbeifahren kaum zu lesen sein und steht auch nicht im Vordergrund." Für Huff führe "das Zusammenspiel von Bild, Spruch und den zurücktretenden anderen Elementen" zur Bewertung, "dass ich die Werbung für unsachlich und damit für unzulässig halte".
RAK Brandenburg prüft Abmahnung
Ob der Kanzlei Goldenstein nunmehr juristische Konsequenzen drohen, könnte sich bald entscheiden. Der Geschäftsführer der RAK Brandenburg nannte im Gespräch mit LTO das Plakat "hochgradig geschmacklos" und eine "Entgleisung". Wie die RAK damit rechtlich umgehe, werde nunmehr in Kürze auf einer Präsidiumssitzung der Kammer entschieden. "In Betracht kommt eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung", so Rüdiger Suppé gegenüber LTO. Im Wiederholungsfall würde der Kanzlei dann ein Bußgeld bis zu 250.000 Euro drohen. Auch die RAK in Mecklenburg-Vorpommern kündigte an, sich mit der Werbung in ihrer nächsten Vorstandssitzung zu befassen.
Unterdessen hat die Kanzlei Goldstein & Partner selbst keinerlei Zweifel, dass ihre Werbeaktion rechtlich zulässig ist. Man müsse, so Kanzleichef Claus Goldenstein gegenüber LTO, die Werbung auch "vor dem Hintergrund ihrer Zielrichtung" sehen:
"Der Dieselabgasmanipulation ist einer der größten Skandale, den der moderne Rechtsstaat bisher miterlebt hat und juristisch aufzuarbeiten hatte. Das wirkliche Ausmaß beginnt sich ohnehin erst jetzt zu zeigen, auch und insbesondere, dass auch Autos anderer Hersteller (und auch Benziner) betroffen sind. Sowohl die Art der Werbung als auch der Ort ihres Einsatzes trägt diesem Umstand Rechnung, weil sie den Dieselabgasskandal und die Machenschaften der Automobilhersteller insbesondere Berufskraftfahrern, Pendlern und Reisenden noch einmal ins Gedächtnis gerufen wird und sie dazu veranlassen kann, ihre möglicherweise bestehenden Ansprüche durchzusetzen."
"Werbung, die den Tag versüßt"
Goldenstein zufolge sei es zudem "originärste Aufgabe des Anwaltes als Organ der Rechtspflege, der Allgemeinheit zu ihrem Recht zu verhelfen, gerade gegen vermeintlich übermächtige Gegner wie große Automobilkonzerne". Außerdem liege es in der Natur der Sache und sei im Angesicht des § 43b BRAO nicht zu beanstanden, "wenn Anwälte mit einer gewissen Bravade ihren Erfolg im Kampf David gegen Goliath selbstbewusst in der Öffentlichkeit zelebrieren".
Für ihre Werbung hat sich die Kanzlei auch bewusst für Flächen in den Toiletten von Raststätten entschlossen: "In einer aufgeklärten und mündigen Gesellschaft ist zudem nicht davon auszugehen, dass bei Toilettenbesuchern die Werbung Gefühle wie Schock, Erregung oder Empörung auslösen wird, sondern ihnen allerhöchstens einen kurzen Lacher abringt und ihnen damit sogar noch der Tag versüßt wird."
Das Unternehmen Tank & Rast, auf deren Toiletten das Werbeplakat hängt, kündigte gegenüber LTO an, dass es für den Fall, dass sich die Werbung als unzulässig herausstellen sollte, mögliche vertragliche Konsequenzen prüfen und sicherstellen würde, "dass unser Unternehmen sich rechtskonform verhält".
"Wir haben den Größten": . In: Legal Tribune Online, 23.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41983 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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