Zu spät im Streikchaos: Keine Ausreden für unpünktliche Pendler

Wenn der Öffentliche Dienst streikt, bricht das Chaos aus. Besonders hart trifft es Berufspendler, die auf Bus und Bahn angewiesen sind. Aber kann das Verkehrschaos neben Nerven auch den Job kosten? Was passiert, wenn man an Streiktagen zu spät kommt, weiß Christian Oberwetter.

Europa ist ins Stocken gekommen, aber der Motor Deutschland läuft noch rund. Die Wirtschaft wächst und die Arbeitnehmer möchten daran teilhaben. Die Gewerkschaften verlangen deshalb satte Lohnzuschläge und die Arbeitgeber zeigen sich reserviert. Damit Bewegung in die Tarifverhandlungen kommt, wird gestreikt.

Arbeitsniederlegungen im Öffentlichen Dienst führen regelmäßig zu Kollateralschäden bei der übrigen arbeitenden Republik: Busse und Bahnen fahren nur eingeschränkt,  Kitas und Amtsstuben bleiben geschlossen. Die Folge sind genervte Pendler und Verspätungen am Arbeitsplatz. Kann der Chef dann den Lohn kürzen, eine Abmahnung aussprechen oder gar kündigen?

Verspätungen sind kein Kavaliersdelikt. Erscheint ein Arbeitnehmer schuldhaft zu spät am Arbeitsplatz, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Im Wiederholungsfall kann das Zuspätkommen nach vorheriger Abmahnung sogar die Kündigung rechtfertigen (LAG Hamm, Urt. v. 08.10.1997, Az. 18 Sa 539/97). Die Schuldfrage fällt dabei zu Lasten des Arbeitnehmers aus, wenn er das rechtzeitige Erscheinen am Arbeitsplatz nicht koordiniert. Wer also eine halbe Stunde Zeit einplant, obwohl er weiß, dass der Arbeitsweg 45 Minuten dauert, kommt verschuldet zu spät.

Zuspätkommen erlaubt?

Ein Streik ist allerdings fraglos ein Fall, bei dem es auch zu einer unverschuldeten Verspätung  kommen kann. Eine generelle Regel, dass Unpünktlichkeit bei Streiks erlaubt ist, gibt es aber nicht. Wird ein Streik angekündigt, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, zumutbare Anstrengungen zu unternehmen, um rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen.

So können Pendler gehalten sein, auf den PKW umzusteigen und im Übrigen einen längeren Arbeitsweg einzuplanen, weil Behinderungen im Öffentlichen Nahverkehr zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen und damit zu Staus führen. Der Aufwand, den der Arbeitnehmer betreiben muss, ist dabei erst unzumutbar, wenn ihm hohe Kosten entstehen, die nicht im Verhältnis zu einem pünktlichen Erscheinen am Arbeitsplatz stehen, zum Beispiel durch lange Taxifahrten zur Arbeit.

Aber auch bei einem unangekündigten Streik muss der Arbeitnehmer dafür sorgen, dass er möglichst pünktlich erscheint. Dass die Arbeitsniederlegung die Beschäftigten dann unvorbereitet trifft, ist allerdings entsprechend zu berücksichtigen.

In jedem Fall hat der Beschäftigte im Rahmen der sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Rücksichtnahmepflicht dem Unternehmen mitzuteilen, dass er sich verspätet und anzugeben, wann er vermutlich eintreffen wird. Tut er das nicht, kann er im äußersten Fall von seinem Arbeitgeber abgemahnt werden, auch wenn die Verspätung an sich unverschuldet ist.

Streik? Da bleib ich lieber im Bett.

Allerdings kann das Streikchaos unter Umständen dazu führen, dass der Arbeitnehmer gleich zu Hause bleiben darf. Liegen besondere Umstände vor, muss er gar nicht am Arbeitsplatz auftauchen. Ist die Kita zum Beispiel überraschend geschlossen und gibt es keine andere Möglichkeit, ein Kind betreuen zu lassen, kann der Arbeitnehmer berechtigt sein, der Arbeit fernzubleiben. In solchen Fällen ist die rechtzeitige Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber besonders wichtig, da der Arbeitnehmer nicht lediglich verspätet erscheint, sondern der Arbeitstag insgesamt ausfällt.

Für alle Fälle gilt: Bei verschuldeten Verspätungen oder Nichterscheinen am Arbeitsplatz muss der Arbeitgeber zunächst abmahnen. Kündigen kann er bei einem einmaligen Vorfall nicht. Und: Der Unternehmer kann Verspätungen nicht etwa zum Anlass nehmen, unliebsame Arbeitnehmer abzumahnen und andere wegen des gleichen Vorfalls ungeschoren zu lassen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet ihn in solchen Fällen, entweder jedes Fehlverhalten zu sanktionieren oder gar keines.

Eine andere Frage ist, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, den Beschäftigten den Lohn zu kürzen, wenn sie an Streiktagen verspätet oder überhaupt nicht zum Dienst erscheinen. Eigentlich gilt der arbeitsrechtliche Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn. Ganz so einfach ist es aber nicht. So gibt es viele Regelungen, die diesen Grundsatz durchbrechen, das bekannteste Beispiel ist die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. 

Was mich nicht umbringt, macht mich nur ärmer

Auch wenn es unverschuldet durch konkrete persönliche Gründe zum Arbeitsausfall kommt, behält der Arbeitnehmer seinen Gehaltsanspruch. Die Crux liegt allerdings darin, dass der persönliche Grund sich nicht auf einen größeren Personenkreis erstrecken darf. Bei einem Streik im Öffentlichen Dienst ist aber genau das der Fall: Eine Vielzahl von Arbeitnehmern hat dann mit dem Streikchaos zu kämpfen. Folge für das Gehalt: Die Überweisung am Monatsende kann durchaus etwas geringer ausfallen.

Der Streik ist ein zulässiges und volkswirtschaftlich bewährtes Mittel, Tarifverhandlungen nicht langwierig zu gestalten, sondern schnell zu einer Einigung zu gelangen. Wohl oder übel müssen also auch Berufstätige mit den Folgen leben, die er im öffentlichen Dienst mit sich bringt. Solange sie keine gravierenden Ausmaße annehmen, sollten alle Betroffenen nach der Devise handeln: Was ich nicht ändern kann, regt mich nicht auf. Vom Ärger bekommt man nur Falten.

Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Hamburg und Verfasser zahlreicher Publikationen auf diesen Gebieten.

Zitiervorschlag

Christian Oberwetter, Zu spät im Streikchaos: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5767 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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