2/2: Pro Abschaffung des Weisungsrechts
1) Es besteht die Gefahr politischer Beeinflussung der Justiz und der Gefährdung der Neutralität der Staatsanwaltschaft.
- Anders als im anglo-amerikanischen "adversarial system" muss die Staatsanwaltschaft im deutschen Recht gemäß § 160 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) sowohl Beweise für als auch gegen den Beschuldigten ermitteln. Mitunter bringt ihr dies die Bezeichnung als "die neutralste Behörde der Welt ein", was allerdings stets etwas augenzwinkernd gemeint ist, da der Schwerpunkt ihrer Arbeit gleichwohl auf der Strafverfolgung und nicht auf der Strafverteidigung liegt.
- Der DRB fasst seine Befürchtung folgendermaßen zusammen: "Bereits der böse Anschein, die Politik instrumentalisiere den Justizbereich für ihre Zwecke, ist geeignet, das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit der Strafrechtspflege insgesamt zu untergraben."
2) Das Weisungsrecht widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.
- Insbesondere das einzelfallbezogene Weisungsrecht der Politik gegenüber der Staatsanwaltschaft könne dazu führen, dass aus politischen Gründen Ermittlungen gegen einzelne Personen blockiert oder forciert werden können.
- Es ist naheliegend, dass die Politik vor allem bei öffentlichkeitswirksamen Verfahren einschreitet, nicht hingegen bei unbekannten Angeklagten, obwohl hier die Gefahr unrechtmäßigen Handelns genauso groß ist.
- Diese Ungleichbehandlung widerspricht der Gleichheit aller vor dem Gesetz.
3) Das Weisungsrecht widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip und dem Prinzip der Gewaltenteilung.
- Dieses Argument stammt vor allem von Seiten jener, die die Staatsanwaltschaft gern durch eine Grundgesetzänderung der Judikative zugeordnet sähen.
- Dann wäre ihre Weisungsunabhängigkeit verfassungsrechtlich geboten, weil die Exekutive, also die Minister, nicht über die Judikative bestimmen dürfen.
4) Das Weisungsrecht ist ein historisches Überbleibsel und heute überflüssig, was sich daran zeigt, dass es fast nie ausgeübt wird.
- Tatsächlich betonten auch die Justizminister immer wieder, dass sie ohnehin keine Weisungen erteilten – zumindest keine offiziellen. Auf Nachfrage konnten uns weder das Bundesjustizministerium noch der Generalbundesanwalt einen einzigen früheren Fall nennen, in dem eine formelle Weisung erteilt worden wäre.
- Manche folgern daraus, dass man dann auch einfach den nächsten Schritt gehen und das Weisungsrecht ganz abschaffen könne.
- Andere sehen das Risiko "unter der Hand" erteilter Weisungen bzw. vorauseilenden Gehorsams und fordern deshalb die Abschaffung.
Contra Abschaffung des Weisungsrechts
1) Das Weisungsrecht ist ein notwendiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive und dient damit dem Demokratieprinzip.
- In einer klassischen Verwaltungsbehörde muss es für jeden Beamten eine ununterbrochene Weisungskette bis zum Parlament geben, damit sein Handeln demokratisch legitimiert ist.
- Das Weisungsrecht der Justizminister als Regierungsmitglieder und Parlamentarierer dient damit der parlamentarischen Kontrolle.
- Die Ungleichbehandlung zu den Richtern rechtfertigt sich daraus, dass Gerichtsverhandlungen grundsätzlich mündlich und öffentlich sind, während Ermittlungsverfahren im Geheimen stattfinden.
2) Die historisch gewachsene Gewaltenteilung dient dem Schutz der Bürger.
- Früher ermittelten die Gerichte, klagten an und entschieden anschließend über die Anklage.
- Erst im 19. Jahrhundert wurden die Anklage und die Ermittlung auf die Staatsanwaltschaften übertragen, um den Bürger zu schützen.
- Würde man – wie teilweise vorgeschlagen – die Staatsanwälte der Judikative zuordnen, so wäre dies ein historischer Rückschritt und die Bürger in höherem Maße der Gefahr justizieller Willkür ausgesetzt.
3) Die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit Polizei und Verfassungsschutz muss kontrolliert werden.
- Diese verschiedenen Arme der Exekutive dürfen nicht zu eng zusammenarbeiten, weil auch hier Willkür zu Lasten des Bürgers droht.Die Staatsanwaltschaft ist die Herrin des Ermittlungsverfahrens, die Informationen von Polizei und ggf. Geheimdiensten anfordern kann. Gerade auf Grund dieser Machtstellung braucht sie eine Kontrollinstanz.
4) Es besteht die Möglichkeit, Fehlurteile und Justizirrtümer wieder neu aufzurollen.
- Der Gedanke hinter diesem Argument ist, dass niemand gerne Fehler zugibt – auch die Staatsanwaltschaft nicht.
- Einer Weisung hingegen muss sich die Behörde fügen.
- Die Öffentlichkeit und die Politik kann jedoch nur Druck auf Minister ausüben, Weisungen zu erteilen. Je unabhängiger die Behörde, desto weniger muss sie sich um die öffentliche Meinung kümmern.
- Ein prominentes Beispiel ist der Fall Mollath: Hier setzte der Bayerische Landtag 2013 einen Untersuchungsausschuss ein, der Licht in den Fall des siebeneinhalb Jahre in der Psychiatrie verschwundenen Gustl Mollath brachte. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gerichte hatten zuvor versagt.
Anne-Christine Herr, Unabhängige Justiz?: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16548 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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