2/2: Zu kurze Wahlperioden behindern Arbeitsfähigkeit der Regierung
Andererseits aber ist auch das Anliegen legitim, die Arbeitsfähigkeit der Volksvertretung nicht durch zu kurze Wahlperioden, zu häufige Wahlkämpfe und, wie nach der Bundestagswahl im Herbst 2013, Perioden der Selbstfindung der Parteien zu beeinträchtigen. Auch dies sind Gesichtspunkte von verfassungsrechtlichem Gewicht. Ein funktionsfähiges Parlament ist Voraussetzung einer parlamentarischen Demokratie und gerade auch des Regierungssystems des Grundgesetzes mit seinem betonten Anliegen, Regierungsstabilität durch verfassungsrechtliche Sicherungen zu gewährleisten. Auch entspricht es dem repräsentativen Prinzip, eine gewisse Unabhängigkeit der Volksvertretung von momentanen Stimmungsschwankungen anzustreben.
Mit der Wahl des Deutschen Bundestags auf vier Jahre bringt Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG diese divergierenden Anliegen des parlamentarischen Regierungssystems in Konkordanz. Der vom Grundgesetz gefundene Ausgleich hat sich in Vergangenheit durchaus bewährt, und nicht zuletzt die unter erheblichem Zeitdruck erfolgte Rettungsgesetzgebung in Banken- und Eurokrise hat ebenso wie die Gesetzgebung zur Energiewende gezeigt, dass Bundesregierung und Bundestag auch komplexe Vorhaben kurzfristig zu bewältigen in der Lage sind.
Zurücknahme des Bundestags liegt nicht an zu kurzer Wahlperiode
Dass, um ein berühmtes Wort von Montesquieu abzuwandeln, sich die Rolle des Bundestags in der Krise zeitweise "en quelque façon nul" darstellte, dass sich parlamentarische Verantwortung im Fall der Energiewende in außerparlamentarische Gremien verflüchtigte, hat nichts mit der Dauer der Wahlperioden zu tun und kann nicht deren vermeintlich zu kurzem Lauf angelastet werden. Andererseits waren Bundestag und Bundesregierung in der neueren Geschichte der Bundesrepublik, also im Zeitraum seit 1980, wiederholt nicht bereit, über die volle Distanz zu gehen. Eine zwingende Notwendigkeit für eine Verlängerung der Wahlperiode ist also nicht ersichtlich, die Nachteile einer weiteren Dehnung des demokratischen Legitimationsstrangs zwischen Wahlakt und Wahrnehmung staatlicher Funktionen überwiegen.
Dies hindert den verfassungsändernden Gesetzgeber selbstverständlich nicht, in Abwägung dieser Gesichtspunkte die Dauer der Wahlperiode neu festzulegen. Wenn auch ein ganz bestimmter Zeitraum nicht vorgegeben ist, so hat er sich doch innerhalb einer gewissen Bandbreite verfassungsmäßiger Gestaltungen zu bewegen. Hier kann der Verfassungsvergleich Hinweise geben – wenn für Wahlen auf nationaler Ebene in demokratischen Staaten vier und teilweise fünf Jahre die Regel sind, so indiziert dies einen angemessenen Ausgleich zwischen parlamentarischer Verantwortlichkeit gegenüber dem Wähler einerseits, Effektivität und Kontinuität parlamentarischer Arbeit andererseits. Dafür sprechen auch die in den Ländern mittlerweile üblichen fünf Jahre als Zeitdauer der Legislaturperiode der Landtage, auch wenn die Situation in Bund und Ländern nicht ohne weiteres vergleichbar ist.
Regierung für fünf Jahre: Möglich, aber nicht sinnvoll
Auch im Schrifttum wird ein Zeitraum von vier bis fünf Jahren überwiegend als im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen gesehen. Darüber hinauszugehen, dürfte unter den gegebenen Umständen schwerlich vertretbar sein. Eine Wahlperiode etwa von sechs Jahren, von der derzeit freilich nicht die Rede ist, würde den gebotenen Ausgleich der divergierenden Belange in zu hohem Maße zulasten parlamentarischer Verantwortlichkeit verschieben. Für eine so deutliche Entfernung von der gegenwärtigen Lösung müsste der Gesetzgeber entsprechend gewichtige Gründe darlegen, die aber nicht erkennbar sind.
Im Ergebnis ist eine Verlängerung künftiger Wahlperioden auf fünf Jahre also verfassungsrechtlich möglich, verfassungspolitisch aber wenig sinnvoll. Sie ließe das demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG nicht unberührt – der Grundsatz der Volkssouveränität, das demokratische Recht des Staatsvolks, seinen Willen in Wahlen kund zu tun, würde geschwächt. Dies ist verfassungspolitisch nur dann hinnehmbar, wenn zum Ausgleich die zweite Alternative des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestärkt, dem Souverän also die Befugnis zuerkannt wird, seinen Willen in Abstimmungen – Volksentscheiden oder Referenden – zu äußern.
Der Autor Professor Dr. Christoph Degenhart ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Leipzig.
Verlängerung der Wahlperiode: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10544 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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