Wahlkampf in den Medien: Von TV-Zweikämpfen und Herausforderern

von Dr. Sebastian Roßner

21.02.2011

Bevor in Baden-Württemberg und Berlin gewählt wird, gibt es wieder ein politisches Fernsehduell. Wer aber darf den Amtsinhaber herausfordern? Eine Entscheidung pro Oppositionsführer von SPD oder CDU dürfte für die Sender schwer zu begründen sein - liegen doch die Grünen in Umfragen mit der jeweils opponierenden Volkspartei gleich auf oder haben sie bereits überflügelt.

Seit 2002 ist es Usus im deutschen Fernsehen, dass vor Bundestags- oder Landtagswahlen ein "Duell" der Spitzenkandidaten in die Wohnzimmer der Republik übertragen wird. Edmund Stoiber und Gerhard Schröder stiegen damals als erste in den Ring. Zuvor markierte die "Elefantenrunde" mit den Spitzenleuten der im jeweiligen Parlament vertretenen Parteien den Gipfel der Wahlberichterstattung. Seitdem stehen sich zwei "Spitzenkandidaten" als politische Preisboxer gegenüber, von den zuständigen Moderatoren aufgestachelt zum verbalen Schlagabtausch.

Nun ist das Duell mit seiner existentiellen Zuspitzung der Sachfragen ein bewährtes Stilmittel des Wildwestfilms. Zu den meisten Wahlen in der Bundesrepublik passt es hingegen schlecht: Nur auf der kommunalen Ebene treten Bewerber um ein Spitzenamt der Exekutive (das heißt der Bürgermeister oder der Landrat) gegeneinander an. Bei den Wahlen auf höheren Ebenen geht es um die Zusammensetzung von Volksvertretungen, die hauptsächlich legislative Funktionen erfüllen. Allerdings werden Land- und Bundestagswahlen zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Wahl des Kanzlers oder Ministerpräsidenten durch das Parlament wahrgenommen. TV-Duelle tragen diesem Trend Rechnung und verstärken ihn zugleich.

Parteienwettbewerb muss vom Bürgerwillen abhängen, nicht vom Staatsapparat

Macht diese Inkongruenz zwischen Form der Berichterstattung und Inhalt der Wahl das Duell bereits journalistisch fragwürdig, so tritt durch die Veränderung des Parteiensystems ein weiteres Problem hinzu: Wer ist eigentlich der Herausforderer des Amtsinhabers?

Noch vor wenigen Jahren hätte sich diese Frage nicht gestellt. Nur SPD und die Unionsparteien hatten eine reelle Chance, den Regierungschef zu stellen. Jetzt aber liegen in Umfragen die Grünen sowohl in Baden-Württemberg wie auch in Berlin mit der jeweils opponierenden Volkspartei gleich auf oder sogar vor ihr. Für die Fernsehsender stellt sich also die Frage, ob sie sich bei der Auswahl des Herausforderers an den Ergebnissen der jeweils letzten Parlamentswahlen orientieren sollen, oder ob sie die aktuellen Umfrageergebnisse mit einbeziehen müssen.

Juristischer Kern dieses Problems ist das Recht der politischen Parteien auf Gleichheit, das aus Art. 21 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 bzw. mit Art. 38 Abs. 1 abgeleitet wird. Die Gleichheit der Parteien zielt darauf, den Wettbewerb der Parteien frei von Verzerrungen durch den Staat zu halten. Die in Art. 20 GG niedergelegten Prinzipien von Volkssouveränität und Demokratie verlangen, dass das Ergebnis des Parteienwettbewerbs vom Willen der Bürger abhängt und nicht von dem der Mächtigen im Staatsapparat. Es darf keine Prämie auf den Besitz der Macht geben. Auch die staatlich verantworteten, von politisch beschickten Aufsichtsgremien kontrollierten öffentlich-rechtlichen Rundfunksender sind daher an die Parteiengleichheit gebunden.

Je größer die Bedeutung, desto länger die Sendezeit

Der Zweck der Parteiengleichheit bestimmt ihren Inhalt. Vereinfachend kann man formulieren: Geht es um staatliche Wahlen oder Abstimmungen, sind die Parteien strikt gleich zu behandeln. So wenig etwa der Weltmeister im 100-Meter Lauf mit einem Vorsprung ins Rennen gehen darf, so wenig dürfen den Regierungsparteien Vorteile bei der Wahl eingeräumt werden. Geht es hingegen um um die Gewährung staatlicher Leistungen, muss der Staat die jeweils vorgefundene Wettbewerbslage berücksichtigen.

Staatliche Parteienfinanzierung etwa wird daher den Parteien nicht in gleicher Höhe, sondern nach dem Zuspruch gewährt, den sie in der Bevölkerung erhalten. Konkret wird das staatliche Geld nach den Wahlerfolgen und nach den selbst eingeworbenen Mitteln (Mitgliedsbeiträge und Spenden) verteilt, § 18 Parteiengesetz (PartG). Für die Wahlwerbung der Parteien gilt hingegen § 5 PartG. Die Norm reguliert die staatliche Leistungsgewährung, die nicht aus Geldzahlungen besteht. Demnach steht der jeweiligen Partei eine nach ihrer Bedeutung abgestufte Sendezeit zu, jedenfalls aber ein sinnvoll zu bemessendes Minimum an Zeit "on air". Als Maßstab für die Bedeutung einer Partei darf der Staat "insbesondere auch" auf die Ergebnisse vorausgegangener Wahlen zurückgreifen, § 5 Abs. 1 S. 3 PartG.

Wahlergebnisse und Kompetenzbeurteilung keine geeigneten Auswahlkriterien

Für das Fernsehduell am 16. März mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Mappus wählte der veranstaltende SWR den Spitzenkandidaten der SPD Nils Schmid als Herausforderer. Der Sender führt dafür eine doppelte Begründung an: Juristisch seien die Ergebnisse vorausgegangener Wahlen ausschlaggebend für die Auswahl des Herausforderers; journalistisch sollen in der Sendung "alle wesentlichen Themenschwerpunkte des Wahlkampfes thematisiert werden", die "außer Verkehrspolitik und Umwelt auch Wirtschaft, Arbeitsplätze und Bildung umfassen". Aus diesen Gründen scheide der grüne Spitzenkandidat Kretschmann aus.

Beide Begründungselemente sind problematisch. Zwar haben vergangene Wahlergebnisse den Vorzug dass sie eine sichere Größe sind: Die im Einzelnen erzielten Werte stehen fest und sind regelmäßig unstrittig. Ihr Nachteil ist aber, dass sie bereits vier oder fünf Jahre alt sind. Eine neue Wahl wird aber gerade veranstaltet, weil sich die politischen Präferenzen der Bevölkerung ändern können. Die Aussagekraft von Wahlergebnissen nimmt daher mit zunehmendem Alter ab, wenn es darum geht, die aktuelle Wettbewerbslage zwischen den Parteien zu bestimmen. Eine ausschließliche Orientierung an alten Wahlergebnissen kann somit zu einer Verzerrung des politischen Wettbewerbes führen.

Auch eine inhaltliche Bewertung des politischen Profils der Spitzenkandidaten oder ihrer Parteien taugt nicht als Kriterium für die Auswahl der Duellanten. Zwar darf der Sender grundsätzlich die Themenschwerpunkte seiner Sendungen bestimmen - die politische Kompetenz der Parteien und ihrer Kandidaten zu beurteilen, ist dagegen Sache der Wähler. Der SWR hat hier also seine Wertung fehlerhafterweise an die Stelle des Urteils der Bürger gesetzt.

Dabei kann sich der Sender nicht auf die Rundfunkfreiheit nach Art. 5 GG zurückziehen, der vor allem die Entwicklung und Verfolgung redaktioneller Konzepte schützt. Dieses Grundrecht kann nämlich durch den Gleichbehandlungsanspruch der Parteien beschränkt werden. Insbesondere muss die jeweilige Rundfunkanstalt ein einmal gewähltes redaktionelles Konzept konsequent und in gleicher Weise gegenüber allen Parteien anzuwenden. Das Konzept im geplanten Fernsehduell lautet offensichtlich: "Konfrontation der Spitzenkandidaten der beiden stärksten Parteien". Nach diesem Kriterium muss der SWR dann auch die beiden Teilnehmer des Duells  auswählen, ohne durch Rückgriff auf stets bestreitbare politische Wertungen einen Kandidaten auszuschließen.

Aussagen zur Wettbewerbslage liefert Abgleich von Wahlergebnissen mit Umfragen

Wie aber sind nun konkret die beiden für eine kommende Wahl aussichtsreichsten Parteien zu ermitteln? Hier beginnt juristisch unsicheres Terrain. Nach dem vorher Gesagten ist der Ausgangspunkt: Alte Wahlergebnisse liefern sichere Werte von allerdings geringer Aussagekraft. Bei Umfrageergebnissen verhält es sich umgekehrt: Ihre Werte sind aktuell und aussagekräftig, aber mit einer gewissen Unsicherheit belastet.

Sinnvoll erscheint eine Kombination beider Kriterien. Danach müsste das letzte Wahlergebnis anhand der Umfrageergebnisse überprüft werden. Der Unsicherheit und auch Manipulationsanfälligkeit demoskopischer Verfahren kann man dabei begegnen, indem die Ergebnisse der konkurrierenden etablierten Meinungsforschungsinstitute unter Berücksichtigung der jeweiligen demoskopischen Ungenauigkeit verrechnet werden. Ergeben danach die Umfrageergebnisse in den letzten Wochen vor dem geplanten Duell konstant eine andere Rangfolge der Parteien als die letzten Wahlen, liegt offenbar eine wesentlich veränderte Wettbewerbslage vor. Der Rundfunksender müsste dies bei der Auswahl des Herausforderers im Duell berücksichtigen, um den Parteienwettbewerb nicht zu verzerren. Weichen die demoskopischen Erhebungen hingegen nicht erheblich von den Wahlergebnissen ab, bleibt es bei letzteren als Auswahlkriterium.

Ein veränderlicher werdendes Parteiensystem zwingt jedenfalls die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu Überlegungen, wie sie der Parteiengleichheit gerecht werden können. Da sie die problematische Form der Kandidatenduelle kaum aufgeben werden, gehört dazu auch, sachgerechte, verlässliche und transparente Regeln für die Duellantenauswahl aufzustellen.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, Prof. Dr. Martin Morlok; der Autor Marcus Hahn-Lorber, LL.M. (Edinburgh) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

 

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Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Wahlkampf in den Medien: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2584 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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