Zivilrechtliche Folgen von "Dieselgate": Mehr Rauch als Feuer

von Prof. Dr. Thomas Riehm

01.10.2015

Im Zusammenhang mit der VW-Abgasaffäre wird über Schadensersatzforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe spekuliert. Zumindest deutsche Verbraucher werden dazu aber kaum etwas beitragen können, erklärt Thomas Riehm.

Seit dem 20. September 2015 beherrscht die "Dieselgate" getaufte Affäre um manipulierte Abgaskontrollsysteme bei Europas größtem Autohersteller VW die Medien. Viel wird über die horrenden Kosten spekuliert, die für das Unternehmen mit ihrer Aufarbeitung verbunden sein sollen. Die Rede ist von Schadensersatzforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe; sogar über eine teilweise Zerschlagung des VW-Konzerns zur Deckung der Ansprüche wird in der Presse schon spekuliert.

Soweit bislang bekannt, hat VW in einen Teil seiner weltweit verkauften Fahrzeuge eine Software eingebaut hat, die die Abgaskontrolleinrichtungen im gewöhnlichen Straßenverkehr außer Kraft setzt. Die Abgaskontrolle wird offenbar nur dann aktiviert, wenn das Auto sich auf einem Abgasprüfstand befindet. Außerhalb des Prüfstandes erhöht sich der Ausstoß von Stickoxiden (NOx) erheblich und überschreitet teilweise die Grenzwerte der für die betroffenen Autos gültigen Euro 5-Norm. Allein in Deutschland sollen 2,8 Millionen Fahrzeuge verschiedener Marken des VW-Konzerns (VW, Audi, Škoda, Seat) aus den Baujahren 2009 bis 2014 betroffen sein, wobei die Software offenbar nicht in allen Fahrzeugen aktiviert ist.

Unerlaubte Software als Sachmangel

Angesichts dieses Sachverhalts stellt sich zunächst die Frage nach kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen gegen den Verkäufer. Das ist beim Neuwagenkauf nicht die VW AG, sondern der jeweilige Händler. Auch die VW-Niederlassungen werden nicht von der VW AG selbst betrieben, sondern von 100%igen Tochtergesellschaften, die rechtlich selbständig als Händler auftreten. Beim Gebrauchtwagenkauf ist Schuldner der Gewährleistungsansprüche der Gebrauchtwagenverkäufer, wobei insoweit regelmäßig ein Gewährleistungsausschluss vereinbart sein dürfte. Solange dieser wirksam ist, bestehen hier keinerlei kaufrechtliche Ansprüche.

Im Vordergrund des Gewährleistungsrechts steht zunächst der Anspruch auf Nachbesserung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Sachmangel liegt hier in der aktivierten Manipulationssoftware, denn der Einsatz solcher Programme ist nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 ("Fahrzeugemissionen-VO") unzulässig. Gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB entspricht das Kfz damit nicht der üblichen Beschaffenheit und ist auch nicht für die gewöhnliche Verwendung geeignet, weil es die gesetzlichen Anforderungen an die Emissionskontrolle nicht einhält.

Wo möglich Nachbesserung, andernfalls Minderung

Unklar ist derzeit allerdings, ob eine Nachbesserung technisch überhaupt möglich ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die betreffende Software so eingestellt werden kann, dass die Autos auch im Normalbetrieb die Abgasgrenzwerte der Euro 5-Norm einhalten. Experten haben jedoch die Vermutung geäußert, dass dies nur um den Preis eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs oder geringerer Motorleistung möglich sei. Beide sind jedoch regelmäßig Teil der Sollbeschaffenheit i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB.

Die Rechtsprechung toleriert beim Kraftstoffverbrauch zwar gewisse Abweichungen gegenüber den in der Werbung angegebenen Messwerten vom Prüfstand, weil in der Serienfertigung gewisse Schwankungen unvermeidlich sind. Gleiches gilt für die Motorleistung. Wird diese Grenze jedoch überschritten, so liegt ein Sachmangel vor. Sollte sich erweisen, dass mit vertretbarem technischem Aufwand die Abgasgrenzwerte nicht eingehalten werden können, ohne dass zugleich Motorleistung und Kraftstoffverbrauch im Toleranzbereich bleiben, so blieben die betroffenen Autos trotz Nachbesserung der Abgaskontrolle mangelhaft. Insoweit kommen weitergehende Rechte der Käufer in Betracht, insbesondere eine Minderung und nur in Extremfällen (ab 10% Mehrverbrauch) der Rücktritt vom Kaufvertrag.

Schadensersatzansprüche scheiden aus

Schadensersatzansprüche, etwa zur Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes, sind dagegen sowohl aus Kaufrecht als auch aus Deliktsrecht ausgeschlossen, weil die Verkäufer mangels Kenntnis von der Manipulationssoftware kein Verschulden trifft. Ein etwaiges Verschulden der VW AG wird den Händlern nach h.M. nicht gem. § 278 BGB zugerechnet. Ohnehin undenkbar sind nach deutschem Recht Ansprüche auf Strafschadensersatz (sog. punitive damages), wie sie der VW AG möglicherweise in den USA drohen.

Die Ansprüche gegen die Händler verjähren in zwei Jahren nach Ablieferung des Autos. Etwas anderes würde nur bei arglistigem Verhalten der Händler gelten (§ 438 Abs. 3 BGB). Daran fehlt es wohl, weil zwar möglicherweise relevante Entscheidungsträger der VW AG von der Manipulationssoftware wussten, nicht aber die Händler. Das gilt selbst für die VW-Niederlassungen, weil auch diese nicht nur rechtlich verselbständigt sind, sondern auch funktional aus dem Entwicklungs- und Herstellungsprozess herausgehalten werden und daher eher einem selbständigen Händler vergleichbar sind. Eine Zurechnung des "Konzernwissens" kommt insoweit nicht in Betracht.

Zitiervorschlag

Zivilrechtliche Folgen von "Dieselgate": . In: Legal Tribune Online, 01.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17074 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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