Thomas Fischer ist einer der bekanntesten Richter am Bundesgerichtshof. Er will Vorsitzender Richter des dortigen 2. Strafsenats werden. Doch ihm soll ein anderer Kandidat vorgezogen werden. Deshalb klagt Fischer vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. Die Entscheidung wird in Kürze fallen. Der Konflikt gilt längst als kleine Staatsaffäre.
Ende Januar ging Ruth Rissing-van Saan, die bisherige Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) altersbedingt in den Ruhestand. Seitdem ist der Vorsitz vakant. Kommissarisch geführt wird der Senat seither von Thomas Fischer, der schon seit 2008 den Vize-Posten innehat und sich lange Zeit auch als sicheren Nachfolger sah.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich jedoch für einen anderen BGH-Richter entschieden: Rolf Raum, derzeit stellvertretender Vorsitzender am 5. BGH-Strafsenat in Leipzig. Nach Medienberichten folgte sie damit einer Empfehlung des BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf. Soweit Kritik an der Entscheidung geübt wird, gilt sie deshalb nicht der Justizministerin, sondern Tolksdorf.
Der Konflikt wird von manchen Medien sogar als "Duell" und "Krieg der Richter" bezeichnet. Und die ZEIT widmete der Affäre ein ganzes Dossier, mit dem Untertitel "Wie ein fähiger Jurist fertig gemacht wird." Der BGH könne mit unbequemen Juristen nicht umgehen, hieß es.
Erst "besonders gut geeignet", dann nur noch "sehr gut geeignet"
Thomas Fischer ist 58 Jahre alt, groß und massig. 1999 hat er den wichtigsten deutschen Strafrechtskommentar übernommen, der früher "Dreher" bzw. "Tröndle" hieß und heute "Fischer". Seit 2000 ist er BGH-Richter, viele sagen, er sei einer der klügsten und intellektuell scharfsinnigsten. Häufig hält er Vorträge, schreibt Aufsätze, gibt Interviews. Fischer ist ein Star unter den oft unscheinbaren BGH-Juristen.
Zu seiner schillernden Persönlichkeit trägt der anfangs recht unstete Lebensweg bei. Auf dem Gymnasium war er aufsässig, blieb zweimal sitzen, verließ die Schule, wollte Musiker werden und arbeitete als Kraftfahrer. Mit 22 machte er doch noch das Abitur, studierte zunächst Germanistik und arbeitete nebenbei als Paketzusteller. Erst mit 25 begann er das Jura-Studium.
Dann aber folgte eine steile Karriere. Mit 31 absolvierte er das erste Staatsexamen, mit 34 das zweite. dazwischen erschien seine Dissertation. Zunächst arbeitete er in der bayerischen, dann in der sächsischen Justiz. Mit 43 war er Referatsleiter im Dresdener Justizministerium. Vier Jahre später wurde er an den BGH berufen.
Von BGH-Präsident Tolksdorf bekam Fischer in den dienstlichen Beurteilungen lange Zeit die Bestnote "besonders gut geeignet". Seine Fähigkeit zur Leitung eines Senates stehe außer Frage. Erst Ende 2010, so die Darstellung der ZEIT, teilte ihm Tolksdorf mit, dass sich seine Meinung geändert habe. Im Februar 2011 schlägt sich dies in einer neuen Beurteilung nieder. Jetzt gilt Fischer nur noch als "sehr gut geeignet". Gegen diese Neubeurteilung erhob Fischer im März Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe, über die noch nicht entschieden ist.
Konkurrentenklage soll Bestenauswahl sicherstellen
Als das Justizministerium ihm mitteilte, dass nicht er Senatsvorsitzender werden solle, sondern Rolf Raum, ging Fischer erneut zum VG. Diesmal beantragte er eine einstweilige Anordnung, um die Ernennung Raums zu verhindern. Das ist in solchen Fällen üblich ist, denn wenn die Ernennung einmal erfolgt ist, kann nicht mehr geklagt werden, dann gilt das Prinzip der Ämterstabilität.
Den Eilantrag stellte Fischer am 9. August 2011. Inzwischen sind über zwei Monate vergangen. Doch die Entscheidung über eine derartige Konkurrentenklage ist kein Schnellschuss. Zwar wird nicht mündlich verhandelt, doch muss der Fall umfänglich untersucht werden. Die im Eilverfahren übliche summarische Prüfung ist hier wegen der faktischen Endgültigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zulässig, so das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).
Maßstab für die Klage ist Art. 33 Absatz 2 Grundgesetz (der über § 46 Deutsches Richtergesetz und § 9 Bundesbeamtengesetz auch für die Ernennung und Beförderung von Richtern gilt). Danach sind öffentliche Ämter nach "Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" zu vergeben. Diese Bestenauswahl soll das fachliche Niveau und die rechtliche Integrität des öffentlichen Dienstes sichern. Zudem soll der Anspruch der Bewerber auf ein faires Auswahlverfahren geschützt werden.
Falls Fischers Klage Erfolg hat, müsste das Verfahren wiederholt werden. Fischer würde also nicht automatisch selbst den erwünschten Vorsitz erhalten.
Kollegenschelte schickt sich für einen BGH-Richter nicht
Konkret geht es wohl vor allem um zwei Vorwürfe Tolksdorfs gegenüber Fischer. Er sei nach innen nicht integrativ genug und ihm fehle nach außen die für einen BGH-Richter nötige Zurückhaltung.
Als Beleg für fehlende Teamfähigkeit wird angeführt, dass seit 2009 drei Richter den 2. Senat auf eigenen Wunsch verlassen haben, teilweise mit ausdrücklichem Verweis auf Fischer. Auch andere Richter bescheinigen Fischer (anonym), dass er gerne seine vermeintliche intellektuelle Überlegenheit zur Schau trage. Allerdings hat sich die jetzige Besetzung des 2. Strafsenats für Fischer ausgesprochen.
In der Außenwirkung gelten vor allem zwei Vorstöße Fischers als unangemessen, mit denen er die gesetzliche Regelung von Absprachen (so genannten Deals) im Strafprozess kritisierte. Bei einer Anhörung des Bundestags unterstellte er Strafrichtern, sie würden aus persönlicher Schwäche auch gesetzeswidrige Absprachen treffen. Und in einem Zeitschriften-Aufsatz kritisierte er den 1. BGH-Strafsenat, weil dieser einen trickreich rechtskräftig gewordenen Deal - die Revision wurde vom Anwalt nur pro forma eingelegt und nach einer Stunde wieder zurückgenommen – nicht beanstandet hatte. Öffentliche Kollegenschelte gilt am BGH jedoch als unschicklich.
Ob diese Gründe (und ihre Belege) reichen, Rolf Raum gegenüber Thomas Fischer vorzuziehen, muss jetzt das Verwaltungsgericht Karlsruhe entscheiden. Prognosen zum Ausgang sind schwierig, da über die Argumente, die für oder gegen den Konkurrenten Raum sprechen, bisher kaum etwas bekannt ist.
Vor 15 Jahren gab es schon einmal eine Konkurrentenklage um eine Vorsitzstelle am BGH. Damals wollte BGH-Richter Heinrich Maul die Berufung von Gerhard Schäfer zum Vorsitzenden am 1. Senat verhindern. Der aktive Sozialdemokrat Maul (er war sogar Vorsitzender der Karlsruher SPD-Gemeinderatsfraktion) sah sich diskriminiert. Zweimal hatte ihn BGH-Präsident Walter Odersky als Vorsitzenden Richter vorgeschlagen, zwei Mal zog jedoch die schwarz-gelbe Bundesregierung andere Richter vor. Zunächst hatte Maul beim VG Karlsruhe Erfolg, doch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim entschied abschließend, dass das Bundesjustizministerium ein "weites Ermessen" habe. Bei gleicher fachlicher Eignung könnten auch Fragen der Persönlichkeit und des Arbeitsstils berücksichtigt werden.
Doch nicht alle Konkurrentenklagen scheitern. In Rheinland-Pfalz musste die Präsidentenstelle am Oberlandesgericht Koblenz auf Klage des unterlegenen Bewerbers Hans-Josef Graefen neu ausgeschrieben werden. Der SPD-Justizminister Heinz-Georg Bamberger hatte bei gleicher fachlicher Beurteilung seine Präferenz für den siegreichen Bewerber Ralf Bartz zu sehr auf Erledigungsstatistiken gestützt. Das BVerwG ordnete im November 2010 sogar die Rücknahme der Ernennung von Bartz an, weil ihn das Mainzer Justizministerium vor Abschluss des Rechtswegs des klagenden Konkurrenten berufen hatte.
Auch im Fall von Thomas Fischer dürfte das Verfahren noch nicht so bald zu Ende sein. Sollte Fischer beim VG Karlsruhe verlieren, könnte er noch den VGH Mannheim anrufen und dann das Bundesverfassungsgericht.
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Christian Rath, Vorsitz am 2. BGH-Strafsenat: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4582 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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