Die Stadt München hat kürzlich ein Konzert der martialisch auftretenden Rockband Rammstein am Totensonntag verboten. Nicht nur die Konzertagentur zeigte Unverständnis für die Münchener Entscheidung: Es ist von "absoluter Willkür" die Rede. Torsten F. Barthel über die Frage, warum der heutige Totensonntag keine ungeteilte Akzeptanz mehr in der Bevölkerung findet.
Der Totensonntag oder Ewigkeitssonntag ist ein Gedenktag für die Verstorbenen – er ist der letzte Sonntag vor dem Ersten Advent und damit der letzte Sonntag des Kirchenjahres. Er thematisiert das Jüngste Gericht und das ewige Leben.
Schon König Friedrich Wilhelm III. von Preußen hatte im Jahr 1816 für die Evangelische Kirche in Preußen diesen Tag zum "allgemeinen Kirchenfest zur Erinnerung an die Verstorbenen" bestimmt. Die Feiertagsgesetze aller Bundesländer außer Hamburg bestimmen den Totensonntag als "stillen Feiertag", für den besondere Einschränkungen gelten – etwa für Veranstaltungen, Konzerte und Diskotheken.
Woher kommt aber das Unverständnis vieler für ein Verbot von Konzerten, woher die Empörung über die Rammstein-Absage? Die Friedhofs- und Bestattungskultur insgesamt befindet sich in einem Wandel. Der betrifft auch die Einstellung eines großen Teils – nicht nur der jüngeren – Bevölkerung zu den "stillen" Feiertagen.
Polarisierungen in der Trauerkultur
Einen gewissen Höhepunkt dieses Kulturwandels verkörpert wohl die amerikanische TV-Serie "Six feet under – Gestorben wird immer". Es ist also eine Zuspitzung in Richtung der Extrempositionen feststellbar. Die Trauerrituale bei Prominenten, wie Lady Di, Rudolph Moshammer oder Papst Johannes Paul II., lösten einen in der Neuzeit unkannten nicht nur medialen Hype aus, aber das Grab der eigenen Verwandten wird nicht besucht, geschweige denn gepflegt.
Es geht in die Richtung "Jeder, wie er oder sie es mag": Der Traditionalist geht auf den Friedhof, die Progressiven lieber zum Rammstein-Konzert.
Wie werden wir wohl den Totensonntag in 30 Jahren begehen? Es wird sicher ein zunehmender Verlust an Trauerkultur im Sinne einer kulturpessimistischen Position festzustellen sein. Tod, Trauer und Gedenken sind nämlich einem Rationalisierungsprozess unterworfen. Die "religiöse" Landschaft erfährt permanente Veränderungen. Dies sollten wir nicht beklagen, sondern im Recht, also in den Feiertagsgesetzen, umsetzen.
Kulturpessimismus am Totensonntag 2041
Am Totensonntag wird es zunehmend Vielfalt, oder englisch "Diversity", geben. Das Thema "Diversity Management" ist bisher hauptsächlich in wirtschaftlichen Zusammenhängen aufgetaucht. Dabei lässt sich die gezielte und konsequente Nutzung sowie die Förderung von Vielfalt auch auf die Friedhofs- und Bestattungs-Kultur anwenden: Professionelle Vielfalt muss auch in der Friedhofskultur verankert werden.
Die Toten-Kultur ist so bunt wie das Leben selbst. Ziel einer modernen Friedhofs- und Bestattungskultur muss es sein, diese neue Vielfalt nicht als eine Erschwernis zu betrachten, sondern als eine große Chance für das Bestattungswesen in Deutschland.
Im Jahr 2041 werden Hinterbliebene wahrscheinlich der "Lieblings-Oma am Ringfinger" gedenken, anstatt am Grab auf dem guten alten kirchlichen Friedhof zu trauern. Andere wiederum werden einer Aschenkapsel nachschauen, die in das Weltall geschossen wird – oder besuchen eben ein düsteres Rammstein-Konzert. Eines ist so sicher wie die Tatsache, dass wir alle sterben werden: Das Feiertagsgesetz 2041 wird nicht mehr dasselbe sein wie 2011.
Torsten F. Barthel, LL.M., ist Rechtsanwalt in Berlin und spezialisiert auf das Friedhofs- und Bestattungsrecht. Er hat auch zahlreiche Kommentare zu mehreren Landes-Bestattungsgesetzen verfasst.
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Torsten Barthel, Vielfalt bereichert die Friedhofskultur: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4846 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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