Nach der Istanbul-Konvention sollen Frauen vor jeder sexuellen Handlung geschützt werden, die gegen ihren Willen geschieht. Für eine strafbare Vergewaltigung reicht es in Deutschland bisher nicht aus, dass das Opfer Nein sagt. Dem widerspricht die Kriminologin Monika Frommel. Sie rät von einer Reform ab. Jugendliche sollte der Gesetzgeber allerdings besser schützen.
LTO: Aus Anlass der Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention fordern nicht nur Frauennetzwerke und Verbände, Frauen in Deutschland besser vor Vergewaltigungen zu schützen. Ist das erforderlich?
Frommel: Es gibt hierzulande ein funktionierendes Präventionskonzept. Die Vorschrift des § 177 Strafgesetzbuch (StGB) wurde 1997 neu gefasst. 1998 wurde noch einmal gesetzlich klargestellt, dass Vergewaltigungen in Beziehungen nicht pauschal als minder schwere Fälle (Abs. 5) eingestuft werden können.
Zeitgleich wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in § 825 eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage geschaffen, die ganz gezielt bei sexuellem Missbrauch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gewährt und dabei klarstellt, dass diese Ansprüche unabhängig von einer strafrechtlichen Ahndung sind.
2000 kam das Gewaltschutzgesetz hinzu, eine sehr effektive zivilrechtliche Regelung, die empfindliche Sanktionen nach sich ziehen kann (Wegweisung, Unterlassungs- und Schutzanordnungen und die Pflicht zum Schadensersatz).
Die Faustregel lautet: Klare Fälle von Zwang und Gewalt gehören ins Strafrecht, Grenzfälle ins Zivilrecht, Beziehungsdelikte werden am besten von Familiengerichten geregelt. Die Öffentlichkeit und auch Frauenbewegungen fixieren sich dagegen zu sehr auf das Strafrecht.
"Wie soll ein Gericht den entgegenstehenden Willen einer Frau feststellen?"
LTO: Sie halten also auch eine Reform von § 177 StGB für obsolet? Der Deutsche Juristinnenbund (djb) beruft sich auf die Istanbul-Konvention, nach der alle Unterzeichnerstaaten – zu denen auch Deutschland zählt – "nicht einverständliche sexuelle Handlungen" unter Strafe stellen sollen. Müsste demnach nicht der der fehlende Wille des Opfers für eine Strafbarkeit ausreichen? Und die derzeit nötige Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage bräuchte es nicht mehr?
Frommel: Eine erneute Reform würde neue Grenzfälle schaffen und weitere Debatten. 1997 hat sich das Parlament aus gutem Grund gegen das unbestimmte Tatbestandsmerkmal "gegen den Willen" und für die Ausnutzungsvariante entschieden. Zu Recht, meine ich: Wie soll ein Gericht den entgegenstehenden Willen einer Frau feststellen? Mit dem Argument, man muss der Frau eben glauben?
Nur nötigender Zwang und Missbrauch tangieren das Rechtsgut der körperlichen Integrität. Also muss das jeweilige Strafgesetz definieren, wann Zwang und wann Missbrauch vorliegen. Mit der Ausnutzungsvariante wurde ein – später vom BVerfG bestätigter – sehr weiter Begriff der sexuellen Nötigung so klar und objektiv wie möglich geschaffen. Allerdings gibt es innerhalb der Justiz Widerstand.
Die Ausnutzungsvariante deckt diejenigen sexuellen Übergriffe ab, bei denen die Frau sich nicht wehrt. Die Gründe sind vielgestaltig. Es gibt sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Frau, die ohne brachiale Gewalt erreicht werden, aber dennoch als Vergewaltigung definiert werden können, weil die Situation einschüchternd ist. In Betracht kommen ferner Täuschungen und Überrumpelung, das Versprechen von Vorteilen, abgestufte Formen des Ausnutzens der Autorität und ähnliche Strategien. Sie bereiten Gerichten Beweisschwierigkeiten. Es gibt auch Fehlurteile, in denen solche Beweisschwierigkeiten aufgebauscht worden sind.
Bei manchen Menschen ist körperlich wirkender Zwang nicht nötig. Etwa wenn sie sich aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht wehren können und ihren entgegen stehenden Willen nicht offenkundig machen oder manipulierbar sind. Jugendliches Alter, mangelnde sexuelle Erfahrung, psychische oder körperliche Störungen oder extreme soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit sind nur einige Beispiele. Routinierte Täter lernen, wie sie verdeckt vorgehen können. Hier gilt es, Alternativen zum Verbrechenstatbestand der Vergewaltigung zu nutzen, um solche Täter zu sanktionieren.
Reform des Sexualstrafrechts: . In: Legal Tribune Online, 13.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12882 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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