Erster Entwurf nach BVerfG-Urteil: Ver­fas­sungs­schutz neu gemacht in Bayern?

von Dr. Markus Sehl

15.09.2022

Handy-Ortung, Online-Durchsuchung, V-Leute: Das BVerfG hat 2022 ein Grundsatzurteil zu den Befugnissen des bayerischen Verfassungsschutzes getroffen und damit für alle Bundesländer und den Bund. Nun gibt es einen ersten Gesetzesvorschlag.

Schon mit der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Ende 2021 verdichteten sich die Anzeichen, dass am Ende für den Verfassungsschutz ein sehr grundsätzliches Urteil stehen werden würde. Als das BVerfG dann im Frühjahr 2022 zu den Befugnissen des bayerischen Verfassungsschutzes entschied, war klar, dass auch die Gesetze und Befugnisse in den übrigen Bundesländern und im Bund mitgemeint waren. 

Dass es sich um ein wegweisendes Urteil handelt, machte der Blick auf die Reihe der beanstandeten Befugnisse deutlich: Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchung, Observationen, Handy-Ortung, der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und Informanten. Das entspricht dem Kernbestand des Instrumentariums der Verfassungsschutzbehörden in allen Ländern und auch im Bund. Und die Akribie der Karlsruher Prüfung beseitigte letzte Zweifel, dass dieses Urteil nur für den bayerischen Fall getroffen wurde.

Nach der Urteilsverkündung sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU): "Es müssen wahrscheinlich der Bund und alle Länder ihre Gesetze ändern. Denn es gibt nach meiner Kenntnis kein einziges Gesetz, das all diesen Vorgaben, die heute formuliert worden sind, entspricht." In den zuständigen Abteilungen der Innenministerien brach bundesweit in der Folge rege Geschäftigkeit aus, die über 150 Seiten Urteilstext wurden analysiert, Expertinnen und Experten wurden angehört.

V-Leute-Einsatz, TKÜ & Co. nur noch mit Richtervorbehalt

Nun hat die SPD-Landtagsfraktion in Bayern als erste einen umfassenden Vorschlag fertig gestellt, der hier online zu finden ist. Zielrichtung des Entwurfs: Die Zuständigkeiten von Verfassungsschutz und Polizei klar abgrenzen, Grundrechtseingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß beschränken. Besonders intensive Grundrechtseingriffe wie langfristige Observationen, der Einsatz von V-Leuten und Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) dürfen dem Entwurf nach nur durch ein mit drei Berufsrichtern besetztes Gericht angeordnet werden. Damit reagiert der Entwurf auf die Forderung des BVerfG, nach einer unabhängigen und zumindest gerichtsähnlichen externen Vorabkontrolle.

Die parlamentarischen Kontrollrechte sollen gegenüber den Verfassungsschutzbehörden gestärkt werden, außerdem soll das Amt einer oder eines Verfassungsschutzbeauftragten an der Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft, Parlament und Verfassungsschutzbehörden geschaffen werden. Außerdem wird eine Anfang-bis-Ende-Dokumentation für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel vorgeschlagen.

SPD-Entwurf als tragfähige Rechtsgrundlage für AfD-Beobachtung?

Das BVerfG hat nach dem bereits aus dem Sicherheitsrecht bekannten und bewährten Prinzip kritisch Befugnis für Befugnis durchgeprüft: Alle seine Maßnahmen darf der Verfassungsschutz grundsätzlich anwenden, aber nur eben schrittweise, begrenzt und kontrolliert. Die bayerische Version aus dem Haus des CSU-Innenministers, dessen Überprüfung zu dem BVerfG-Urteil Anfang 2022 führte, ging mit ihren Befugnissen besonders weit, die CSU konnte sie auch allein mit ihren Stimmen beschließen. Sogar Minister Herrmann betonte damals, dass das Gesetz "in der Tat bis an die Grenzen dessen geht, was vom Rechtsstaat erlaubt ist". Dies sei aber zum Schutze der Freiheit und Sicherheit notwendig.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Horst Arnold, spielte auf die kürzlich bekannt gewordene Beobachtung der AfD in Bayern an und sagte: "Wir als SPD begrüßen ausdrücklich die logische Entscheidung, die AfD nunmehr als Gesamtpartei zum Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz zu machen. Wer effektiv beobachten will, braucht dafür aber tragfähige Rechtsgrundlagen." Die sieht er mit dem neuen Entwurf nun vorgelegt. 

Dass der von der Oppositionspartei vorgelegte Entwurf im CSU-regierten Bayern Gesetz werden wird, darf man nicht erwarten. Aber ein 80 Seiten starker Gesetzentwurf ist nun in der Welt, andere Länder und den Bund dürften die Antworten auf das BVerfG-Urteil aus Bayern interessieren.

Zitiervorschlag

Erster Entwurf nach BVerfG-Urteil: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49630 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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