Donald Trump hat nach dem Rückzug von Anthony Kennedy die Chance, einen neuen Richter für den Obersten Gerichtshof zu ernennen. Im Interview spricht US-Jurist Richard Epstein über die politischen Grabenkämpfe – im Senat wie bei Gericht.
LTO: Herr Professor Epstein, Sie weilen derzeit in Deutschland, um hier die Ehrendoktorwürde der Universität Siegen entgegenzunehmen. Herzlichen Glückwunsch dazu!
Richard Epstein: Danke sehr!
In dieser Woche erreichte uns die Nachricht, dass Richter Anthony Kennedy seinen Sitz am amerikanischen Supreme Court aufgeben und in den Ruhestand gehen wird. Hat sie diese Nachricht überrascht?
Nein, darüber hielten sich bereits seit Wochen Gerüchte. Ich habe bereits vor vier oder fünf Wochen in einer Sendung darüber gesprochen, was passieren könnte, wenn Kennedy in Ruhestand geht.
Tatsächlich könnten in der nächsten Zeit noch mehr Plätze am Supreme Court frei werden. Ruth Bader Ginsberg soll nicht mehr bei bester Gesundheit sein (85 Jahre alt, in der Vergangenheit eine Herz- und eine Krebserkrankung, Anm. d. Red.) und auch Clarence Thomas könnte bald aufhören. Man weiß natürlich nie, was passieren wird, aber wir werden bald wahrscheinlich einige Veränderungen am Gerichtshof erleben.
Mit dem Weggang von amtierenden Richtern steht immer auch die Frage im Raum, wer ihnen nachfolgt…
Es ist schon erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung einer Neubesetzung am Supreme Court, verglichen mit früher, verändert hat. Als in den 50er-Jahren ein Richter ernannt wurde, war das die zehnte Meldung unten auf der Zeitungsseite. 30 Jahre später war es schon die Schlagzeile des Tages. Die Richterauswahl ist von einer Nachricht unter vielen zur "only story in town" geworden.
Wenn Sie nun wissen wollen, wer Kennedy nachfolgen könnte: Ich habe diesbezüglich keine Insider-Informationen, aber es gibt eine Liste des Weißen Hauses mit möglichen Kandidaten für Supreme-Court-Posten, von denen ich viele kenne. Einige sind ehemalige Studenten von mir.
Wie schätzen Sie die Kandidaten dort ein?
Es ist eine Liste von sehr fähigen Leuten. Was die Demokraten nun am meisten beunruhigen dürfte, ist, dass sie nun nicht mehr sagen können, dass ein Kandidat intellektuell nicht qualifiziert wäre für das Amt. Es wird zum Beispiel keinen zweiten Harold Carswell geben (1970 von Präsident Nixon ernannt, Anm. d. Red.), der war ein wirklich furchtbarer Richter.
"Eine Ernennung auf Lebenszeit ist viel zu lang"
Wem räumen Sie die besten Chancen ein, von Trump als oberster Richter bestimmt zu werden?
Ich denke, am wahrscheinlichsten sind Brett Kavanaugh, ein Mann namens Thomas Hardiman, den ich nicht näher kenne, und Raymond Kethledge. Kavanaugh hat den Vorteil, bereits am Berufungsgericht im District of Columbia gearbeitet zu haben. Dort war er viel mit Regierungsangelegenheiten befasst, was ihm zugute kommen könnte.
Wie könnte sich die Neubesetzung nun auf die Arbeit des Supreme Court auswirken? Seit der Nominierung des konservativen Richters Neil Gorsuch hatten die Republikaner ja ohnehin die Mehrheit.
Sie hatten eine Fünf-zu-vier-Mehrheit, ja. Aber Richter Kennedy war jemand, der keine durchweg konservative Linie gefahren ist, sondern bei manchen Themen auch liberale Positionen einnahm. Er stimmte beispielsweise bei Obama-Care mit den Konservativen, war hingegen bei den Rechten Homosexueller eher auf Seiten der Liberalen.
Er wurde in den Medien oft als "Swing Voter" - frei übersetzt etwa als "Abweichler" - bezeichnet…
Ja, das war er. Der Präsident dürfte nun nach jemandem suchen, der nicht abweicht. Ich denke, das dürfte auf die genannten Kandidaten zutreffen.
Mit einem neuen Richter könnte Trump also die Ausrichtung des Supreme Court für lange Zeit verändern.
Ich bin ohnehin der Meinung, dass die Ernennung auf Lebenszeit viel zu lang ist und unterstütze seit Langem Bestrebungen, das zu ändern.
"Der Kandidat muss 'bullet proof' sein"
Kann Trump mit der Ernennung eines seiner Linie treuen Richters nun schalten und walten, wie er will? In anderen Worten: Hat er damit das "Checks and Balances"-System besiegt?
Ich denke nicht, dass sich konservative Richter allem unterwerfen werden, was ein republikanischer Präsident tut. Trump hat sich ein paar sehr gute Juristen ausgesucht, die auf der Kandidatenliste stehen. Es werden natürlich Personen sein, die wahrscheinlich eine klar konservative Linie fahren.
Damit wird sich aber gar nicht so viel ändern: Man ersetzt nun einen tendenziell – besonders in seinen letzten Jahren – konservativen Richter Kennedy mit einem vermutlich streng konservativen. Wenn Ruth Bader Ginsberg bald ersetzt würde, wäre das sicherlich etwas anderes.
Also sehen Sie keinen Grund zur Sorge, dass die Republikaner mit einem weiteren ihrer Parteilinie konformen Richter auf Jahre für Entscheidungen in ihrem Sinne sorgen könnten?
Natürlich, aber das ist Politik. Politik ist immer die Möglichkeit, Dinge zu verändern.Doch wird Trump bei der Nominierung sehr aufpassen müssen, was die Vorgeschichte des Kandidaten angeht. Er oder sie muss wirklich "bullet proof" sein.
Was meinen Sie damit?
Ein einziges provokantes Statement könnte für den Kandidaten schon das Aus bedeuten. In den 30er-Jahren gab es sogar mal einen Richter namens Hugo Black, der Mitglied des Ku-Klux-Klan gewesen war. So etwas wäre heute natürlich undenkbar.
Inzwischen ist man sehr sensibel geworden, was frühere Äußerungen oder Taten eines Richters angeht. Die Trump-Regierung wird die Kandidaten somit überaus gründlich unter die Lupe nehmen müssen.
Gibt es für die Demokraten denn überhaupt eine Möglichkeit, einen Kandidaten Trumps zu verhindern? Inzwischen sind ja nicht mehr wie früher 60 der 100 Senatorenstimmen nötig, um einen Kandidaten durchzubringen.
Diese Regelung haben die Demokraten ja selbst gekippt. Aber sie werden natürlich dennoch alles versuchen, um jeden Kandidaten, der nominiert wird, zu blockieren. Die Taktik wird sein, in der Vergangenheit des Kandidaten zu wühlen und dort nach einem kompromittierenden Statement oder etwas Ähnlichem zu suchen, für schlechte Presse zu sorgen. Wer auch immer nominiert wird, die Kritik wird ideologisch motiviert sein.
"Wer auch immer dort reingeht, wird 40 Stimmen gegen sich haben, bevor er 'Guten Morgen' gesagt hat"
Könnten die Republikaner ihren Kandidaten nicht dennoch geschlossen durchdrücken?
Theoretisch könnten sie das. Aber die Demokraten werden versuchen, vielleicht zwei, drei liberaler denkende Republikaner zu überzeugen, gegen den Kandidaten zu stimmen. So könnten sie die Wahl bis zu den Senatswahlen im November hinauszögern.
Man kann sich also auf eine harte Auseinandersetzung im Senat einstellen? Dort stellt ja die republikanische Partei von Präsident Trump zurzeit eine Mehrheit von 51 zu 47 Amtsträgern, zwei Senatoren sind Unabhängige.
Ja, der Präsident hat ja nur das Vorschlagsrecht, entscheiden muss letztlich der Senat. Ich rechne nicht damit, dass ein Kandidat wesentlich mehr als 60 Stimmen bekommen wird. Egal, wer dort reingeht: Er wird 40 Stimmen gegen sich haben, noch bevor er "Guten Morgen" gesagt hat.
Und es ist klar: Es gibt vielleicht vier, fünf Fälle im Jahr, ob zu Gesundheitspolitik oder Immigration, die wirklich von riesiger Bedeutung sind. Und da macht es einen Unterschied, wer im Gerichtshof sitzt. Es geht um sehr viel, deswegen werden die Demokraten auch hart kämpfen.
Sie sprechen wegweisende Entscheidungen an. Der Supreme Court hat kürzlich Trumps umstrittenen Travel Ban für rechtmäßig erklärt – eine Entscheidung, die in den USA, aber auch in Deutschland viel Kritik auf sich gezogen hat…
…und die ich für richtig halte.
Von vielen Seiten war aber der Vorwurf zu hören, die Entscheidung sei rein politisch motiviert gewesen. Schaut man sich nun die Auseinandersetzung um die Nominierung an, so drängt sich tatsächlich der Eindruck auf, dass die Rechtsprechung des Supreme Court sehr stark von Parteipolitik beeinflusst ist. Verglichen mit seinem deutschen Pendant, dem Bundesverfassungsgericht, das grundsätzlich in dieser Hinsicht als relativ neutral gilt, wirkt der Oberste Gerichtshof sehr ideologisch geprägt. Täuscht dieser Eindruck?
Lassen Sie es mich so sagen: Die Polarisierung, die wir betreffend den Supreme Court jüngst erleben, ist bemerkenswert. Als Richter Kennedy gewählt wurde, bekam er alle Stimmen. Heute geht es um eine Entscheidung von 51 zu 49.
Herr Professor Epstein, vielen Dank für das Gespräch.
Professor Richard A. Epstein ist Inhaber der Laurence A. Tisch-Professur an der NYU School of Law in New York City. Er ist auch der Peter and Kirsten Bedford Senior Fellow der Hoover Institution und der James Parker Hall Distinguished Service Professor of Law and Senior Fellow der Universitat Chicago zugehörig. Epstein ist bekannt für seine Publikationen zum amerikanischen klassischen Liberalismus und vielfältigen rechtlichen Themen. Er befürwortete u. a. öffentlich Trumps Iranpolitik und seinen Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen. Epstein gilt in den USA als sehr einflussreicher Denker. In einer Studie von rechtlichen Veröffentlichungen zwischen 2009 und 2013 wurde er als drittmeistzitierter US-Jurist bezeichnet. Er wurde vergangene Woche mit einer Ehrenpromotion der Universität Siegen ausgezeichnet. Das Interview fand während seines Aufenthaltes in Siegen statt.
Maximilian Amos, Interview mit US-Jurist und Professor Richard Epstein: . In: Legal Tribune Online, 02.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29477 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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