Sie werden auch als "Ratten der Lüfte" bezeichnet: Verwilderte Tauben, die durch ihren Kot historische Bausubstanz in Städten schädigen und als Träger von Parasiten sogar die Gesundheit beeinträchtigen können. Der Hessische VGH hat Tauben jetzt als Schädlinge eingestuft. Als solche dürfen sie unter bestimmten Voraussetzungen bekämpft und getötet werden. Von Alfred Scheidler.
Aufgrund ihrer Anspruchslosigkeit bei der Wahl ihres Nistplatzes ist die verwilderte Haus- oder Straßentaube in größeren Städten nahezu allgegenwärtig. Vielerorts wird der Bestand der wild lebenden Vögel auf einige Tausend bis Zehntausend geschätzt. In den dicht bebauten Zentren großer bis mittelgroßer Städte besiedeln Tauben als Brutstätten unter anderem Gebäudenischen, Gesimse, Türme und Brücken sowie Bahnhofs-, Markt- und Fabrikhallen.
Da eine einzelne Taube pro Jahr zehn bis zwölf Kilogramm Kot produziert und dieser stark ätzend wirkt, wird überall dort, wo in den Innenstädten Tauben verstärkt auftreten, historische Bausubstanz in bedrohlichem Ausmaß geschädigt. Das Ungeziefer, das sich im Gefieder der Tauben hält, und die im Taubenkot und in Kadavern verendeter Tiere vorhandenen Erreger können zudem zu Erkrankungen beim Menschen führen - vor allem, wenn auf Märkten und in der Freiluftgastronomie Lebensmittel durch Tauben verunreinigt werden.
Falkner wollte Tauben fangen und an Greifvögel verfüttern
Manche Städte versuchen, der Plage dadurch Herr zu werden, dass sie Fütterungsverbote erlassen. Die Rechtsgrundlagen für dementsprechende Verordnungen finden sich im allgemeinen Sicherheitsrecht, für Bayern etwa in Art. 16 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), der mit "Bekämpfung verwilderter Tauben" überschrieben ist.
Eine andere Idee hatte ein Jäger und Falkner in Hessen: Er entwickelte einen Fangschlag, mit dem er im Auftrag von Grundstückseigentümern Tauben fangen und dann an Greifvögel verfüttern wollte. Nach dem Tierschutzgesetz (TierSchG), demzufolge Tiere nicht ohne "vernünftigen Grund" getötet werden dürfen (vgl. § 1 TierSchG), ist ein derartiges Vorgehen nur zulässig, wenn es sich dabei um eine "Bekämpfung von Schädlingen handelt".
Wer Wirbeltiere als Schädlinge bekämpfen will und dies gewerbsmäßig betreibt, bedarf hierfür einer behördlichen Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3e TierSchG. Im Fall des hessischen Jägers und Falkners versagte die zuständige Behörde eine solche Erlaubnis. Die hiergegen erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden in erster Instanz mit Urteil vom 20. Januar 2010 abgewiesen; das beabsichtige Vorgehen des Klägers gegen Stadttauben sei nicht als "Schädlingsbekämpfung" einzustufen (Az. 4 K 1347/09.WI).
VGH: Auflagen zur Erlaubnis können ethischen Tierschutz gewährleisten
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) sah dies anders und stufte verwilderte Straßentauben in seinem Urteil vom 1. September 2011 als Schädlinge ein, grundsätzlich allerdings nur, wenn sie in großen Schwärmen auftreten. In geringerer Anzahl können sie dann Schädlinge sein, wenn sie in besonders empfindlichen Bereichen wie etwa in sicherheitsrelevanten Arbeitsbereichen oder Lebensmittel-Produktionsbetrieben anzutreffen sind.
Für solche Fälle könne dem Kläger eine allgemeine Erlaubnis zum Fangen und Töten der Tauben erteilt werden, wobei keine überzogenen Anforderungen an die vorherige Erprobung alternativer Vorbeugemethoden gestellt werden dürften. Durch Bedingungen und Auflagen könne ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten der betroffenen Menschen und den Erfordernissen des mit Verfassungsrang ausgestatteten ethischen Tierschutzes erfolgen (Az. 8 A 396/10).
Mit dem Urteil bekam der Falkner zwar keinen Freifahrtschein für das gewerbsmäßige Fangen und Töten der Vögel. Die zuständige Behörde wurde aber verpflichtet, den Antrag des Falkners neu zu prüfen und festzulegen, ab wann von einer Taubenplage gesprochen werden kann und die Vögel getötet werden dürfen.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.
Mehr auf LTO.de:
Pfingsten für Juristen: Profane Feiertagsprobleme, Taubenrecht & Sprachentwirrungen
Schrebergarten 2.0: Grüne Oasen für gestresste Großstädter
Pflanzenzüchtungsverfahren: Patentschutz für krebsvorbeugenden Brokkoli?
Alfred Scheidler, Urteil zum Töten von Stadttauben: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4190 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag