Juristische Diskussion um öffentliche Toiletten: Zwi­schen Das­eins­vor­sorge und aka­de­mi­scher Magie

von Martin Rath

04.08.2024

Über die Gestaltung öffentlicher Toiletten wird zwar im Rahmen von "Gender"-Kontroversen seit Jahren gestritten. Nach einem Blick in die Rechtsprechung haben aber sogar esoterische Theorien einiges für sich, meint Martin Rath.

Wer vor langer, langer Zeit an einem verwunschenen, dunklen Ort im Rheinland das Studium der Rechtswissenschaft begann, hatte gute Chancen, die wohl bekannteste Idee des Verwaltungsrechtslehrers Ernst Forsthoff (1902–1974) unter sehr eindringlichen Umständen kennenzulernen.

Mit rhetorischem Nachdruck, ja sogar verbunden mit dem kaum versteckten Bekenntnis eigener Betroffenheit, behandelte der Dozent in seiner etwas eigenartigen Verwaltungsrechtsvorlesung das Fehlen von öffentlichen Bedürfnisanstalten, also von Toiletten, als Problem der staatlichen Daseinsvorsorge.  

Wer sich im Rahmen bürgerlichen Anstands erleichtern wolle, sei jedenfalls als Mann in früheren Zeiten besser bedient worden. Einst habe es wenigstens für ihn schlichte Urinale gegeben. Aus ästhetischen und aus Kostengründen beseitigten die Gemeinden diese meist kostenlosen oder gegen kleines Entgelt an eine Aufsichtsperson zugänglichen Einrichtungen jedoch zusehends oder erteilten Betriebslizenzen an private Dienstleister.

Nicht zuletzt ältere Herren mit schwacher Blase seien in ihrer Freiheit, den städtischen Raum zu nutzen, empfindlich eingeschränkt.

Von einem verwunschenen, dunklen Ort am Rhein zu sprechen, damals, vor langer Zeit, ist nur halb ein Scherz. Weibliche Professoren der Rechtswissenschaft hatte man hier noch nicht entdeckt. Die Studentinnen trugen gewiss ausnahmslos Perlenohrringe und amüsierten sich ebenso wie ihre Kommilitonen im Polohemd über den Gelehrten, der ihnen mit rot gefärbtem Gesicht ein Problem der staatlichen Daseinsvorsorge am Beispiel der Toilette referierte.

Nicht alles war besser als heute, damals in den 1990er Jahren.

Keine Sache der Daseinsvorsorge, kein Ausgleich wegen Privatisierung

Die Erfolgsaussichten von Menschen, die ihre Gemeinde dazu verpflichten wollen, kostenlose Toiletten bereitzuhalten, stehen schlecht. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2017 erklärte beispielsweise das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen: so schlecht, dass noch nicht einmal Prozesskostenhilfe zu gewähren sei (Az. 15 E 831/17).

Mit Urteil vom 31. Januar 2022 entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, dass ein sozial hilfebedürftiger schwerbehinderter Mann keinen Anspruch auf einen Ausgleich seiner Aufwendungen für die Nutzung kostenpflichtiger Toiletten habe, den er begehrte, weil in seiner Gemeinde staatliche Bedürfnisanstalten nicht mehr bestünden (Urt. v. 31.01.2022, Az. L 20 SO 174/21).

Das Amtsgericht Trier sprach mit Urteil vom 16. Juni 2015 immerhin einer Reisenden 200 Euro Schmerzensgeld zu, die auf die defekte Toilette einer Regionalbahn nicht früh genug aufmerksam gemacht wurde und es am Zielort nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte, die stationäre Bedürfnisanstalt aufzusuchen (Az. 6 C 62/15). Breiteres Interesse findet es wohl nur, wenn während des juristischen Staatsexamens bloß unzureichende "Dixiklos" zur Verfügung stehen, wie im Jahr 2021 in Düsseldorf.

Toiletten als gendertheoretischer Probierstein der Sprachspielkunst

Während für Juristinnen und Juristen die Lösung der großen und kleinen "Geschäfte" nur eines unter vielen Menschheitsthemen ist, die sie mit ihrem unbestechlichen rechtswissenschaftlichen Erkenntnisinteresse bearbeiten, wird die Toilettenfrage in einer jüngeren akademischen Disziplin beinahe zum Kerngeschäft.

Dem Aufsatz "Öffentliche Toiletten als kompensatorische Heterotopien" der in Halle-Wittenberg tätigen Gender-Gelehrten Lena Eckert, publiziert im Jahr 2015, ist ein programmatisches Statement zu entnehmen (in: "Orte. Nicht-Orte. Ab-Orte. Mediale Verortungen des Dazwischen", hg. v. Silke Martin und Anke Steinborn):

"Öffentliche Toiletten sind ein Politikum, nicht nur in Bezug auf Gender, sondern in Bezug auf viele andere Aspekte des öffentlichen Raumes, der als Inbegriff des Politischen gelten kann. Mit Hinsicht insbesondere auf gegenderte öffentliche Toiletten bekommt die Aussage, das Private ist politisch, eine neue Dimension. Als Gender Wissenschaftlerin bin ich mit einem ganz bestimmten Interesse für öffentliche Toiletten ausgestattet. Hier kulminiert, zumindest im öffentlichen Raum, die Trennung der Geschlechter. Die Gestaltung, Häufigkeit und Benutzung von öffentlichen Toiletten ist emblematisch für die sozio-kulturelle, politische und räumliche Konstruktion von Gender."

Weil es getrennte Toiletten gibt, fänden sich nicht nur Frauen und Männer zu je eigenen sozialen Konstrukten gemacht: "Die Art und Weise, wie wir Raum nutzen und konstruieren, ist verschränkt mit der Art und Weise, wie wir unser Geschlecht herstellen und performen. Wir sind nicht einfach Männer und Frauen, sondern wir stellen diese Geschlechtsrollen und -identitäten kontinuierlich her."  

Die magische Wirkung der Toiletten auf die soziale Konstruktion von Geschlecht entfaltet sich auch in der weit verbreiteten dritten Kategorie neben der Herren- und Damenabteilung: "Die Tatsache, dass sogenannte Behindertentoiletten oftmals nicht gegendert sind, verweist zudem auf die Desexualisierung von nicht-enthinderten Menschen."

Nicht der Rollstuhl macht die gesonderte Toilette notwendig, vielmehr soll die gesonderte und dabei nicht nach Geschlechtern sortierte Behindertentoilette die Sexualität der Menschen im Rollstuhl prekär machen? – Interessant.

Eine akademische Disziplin immunisiert sich gegen Kritik

Dass die akademisch betriebene Gendertheorie oft nur milden bis boshaften Spott statt sachlicher Kritik erntet, hat sie vermutlich auch solchen Aussagen zu verdanken. Denn beispielsweise die Behauptung, dass eine soziale Handlung "emblematisch" für eine "Konstruktion von Gender" sei, entzieht sich bewusst der Falsifikation. Und nach welchem empirischen Maßstab sollte geprüft werden können, dass die Nutzung eines Raums "verschränkt" sei mit dem "Performen" von Geschlecht?

Die Gendertheorie der Toilette erreicht zudem ganz esoterische Gefilde, wenn beispielsweise erörtert wird, dass das surrealistische Kunstwerk "Fountain", ein handelsübliches Urinal, das entweder Marcel Duchamp (1887–1968) oder Elsa von Freytag-Loringhoven (1874–1927) zugeschrieben wird, eine "epistemologische Krise" hinterlasse, die mit Jacques Lacan (1901–1981) psychoanalytisch gedeutet werden könne. Nach Lacan führten die Zeichen "Damen" und "Herren" an der Toilettentür in dieser "erkenntnistheoretischen" Verwirrung zur "urinären Segregation". Kinder lernten an diesen Zeichen, dass "Männer" und "Frauen" zwei getrennte "Nationen" seien.

Worüber zu reden ist: Lehre von Toiletten als "Heterotopien"

Wer immer das "Ready-made" erfand, Der surrealistische Kobold Marcel Duchamp oder die preußische Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven: beide hätten wohl ihr Vergnügen an derart überschäumender Theorie gehabt.

Deshalb über der Gendertheorie der Toilette nur müde abzuwinken, mag trotzdem verfrüht sein. Denn selbst eine Gender-Gelehrte wie Lena Eckert, die mit Belegen für die Kunst dieser Disziplin nicht geizt, sich sprachlich gegen Kritik außenstehender Beobachter zu immunisieren, führt eine Reihe historischer und gegenwärtiger Beispiele an, die aus der Perspektive etwa der juristischen Diskussion um öffentliche Daseinsvorsorge sehr interessant sind.

Der Umstand etwa, dass Frauen nur einen sehr kleinen Anteil unter den Taxifahrern in New York ausmachten, lasse sich auf den Mangel an öffentlichen Toiletten zurückführen. Denn während männliche Fahrer beim Wasserlassen improvisieren könnten, hätten ihre weiblichen Kollegen Zeit- bzw. Sicherheitseinbußen zu gegenwärtigen. Mit Blick auf Druckgefühle im boomenden Paketgeschäft lässt sich das als seriöses Problem der Daseinsvorsorge diskutieren. Ob deshalb jemand öffentliche Damentoiletten errichten muss, sei aber dahingestellt.  

Auch für die aus dem Werk von Michel Foucault (1926–1984) entlehnte gendertheoretische Behauptung, dass es sich bei – öffentlichen – Toiletten um sogenannte "Heterotopien" handle, die keine "offenen Ruheplätze wie Cafés, Kinos, Strände oder Hotels" seien, sondern "Gegenräume" für "Krisensituationen", findet sich in der Rechtsprechung außerordentlich reiches Material.

Toiletten als Gegenraum: Tod und Sexualität

Zu den düsteren Beispielen für die Nutzung von Toiletten im Sinne des "Heterotopie"-Theorems zählt eine ganze Reihe von Fällen der Kindstötung.

Nicht untypisch ist etwa ein Vorgang, zu dem der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 18. März 1954 entschied: Die spätere Angeklagte wurde 1952 "aus einem Geschlechtsverkehr schwanger, den ein Angehöriger der französischen Besatzungsmacht mit ihr gegen ihren Willen vollführte". Trotz vergeblicher Versuche, durch Verzehr von Giftstoffen einen Abort zu bewirken, gelang es der jungen Frau, ihre Schwangerschaft vor ihrer Mutter zu verheimlichen, bei der sie lebte.

"Als die Wehen einsetzten, ging sie auf die außerhalb der Wohnung gelegene Toilette. Auf der Toilette sitzend gebar sie ein lebendes Kind. Die Angeklagte würgte das Kind mit den Händen, um es zu töten, und band dann einen Leinenstreifen stramm um den Hals des Kindes, damit es nicht wieder zu sich käme. Sie versteckte die Kindesleiche anschließend in einem Holzschuppen."

In solchen Fällen findet sich häufig – neben einer an Terror grenzenden sexualitätsfeindlichen Erziehung durch die Mutter der Schwangeren – die (Außen-) Toilette als Rückzugsort der damals meist noch zuhause Gebärenden (BGH, Urt. v. 18.03.1954, Az. 3 StR 285/53).  

Produktiv könnte die Lehre von der "Heterotopie" auch für ein Rätsel sein, das sich deutschen Politikern erst in der jüngeren Zeit stellte. Nachdem man sich nicht zuletzt selbst dafür gefeiert hatte, die rechtliche Rehabilitation von homosexuellen Männern auf den Weg gebracht zu haben, die nach dem 8. Mai 1945 nach §§ 175, 175a Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt wurden, wurde die ausgesprochen geringe Zahl von entsprechenden Anträgen Betroffener festgestellt und gelegentlich gemutmaßt, dies beruhe auf dem einst erlittenen Trauma der Strafverfolgung.

Möglicherweise beruht die Zurückhaltung u. a. darauf, dass ein beachtlicher Teil der historischen Strafverfahren auf Sachverhalten beruhte, die auch heute wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung verfolgt würden. Zahlreich dokumentiert sind Fälle wie dieser: Es "griff der Angeklagte auf der Toilette einer Wirtschaft dem dort sein Bedürfnis verrichtenden 23-jährigen B., mit dem er sich zuvor über Frauen unterhalten hatte, an den entblößten Geschlechtsteil, wobei er erklärte, er wolle mal sehen, ob der Geschlechtsteil des B. noch stark genug sei" (BGH, Urt. v. 16.08.1951, Az. 3 StR 309/51). Es wäre plausibel anzunehmen, dass ein konsensuales Interesse an homosexuellen Interaktionen den Strafverfolgungsbehörden selten bekannt wurde. Verdächtiger war es natürlich, einem aus einer Gasthaustoilette flüchtenden jungen Mann hinterherzurufen, "er solle nicht so komisch sein und weglaufen" (BGH, Urt. v. 17.01.1952, Az. 3 StR 975/51).

Wie der Kondomautomat auf die (Herren-) Toilette kam

Ausgerechnet der Bundestag "verschränkte" einmal die Idee, dass öffentliche Toiletten zu sexuellen Handlungen einladen könnten – wenige Jahre bevor Michel Foucault auf die Idee zur "Heterotopie" kam.

Mit dem "Entwurf eines Vierten Bundesgesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung" verfolgte die Bundesregierung unter Konrad Adenauer 1958 unter anderem das damals auch im Rahmen der Strafrechtsreform diskutierte Ziel, den unkontrollierten Absatz von Verhütungsmitteln zu unterbinden. § 41a Gewerbeordnung sollte folgenden neuen Absatz 4 erhalten: "Das Feilbieten von empfängnisverhütenden Mitteln durch Warenautomaten ist verboten."

Bei der zweiten Lesung im Bundestag verstieß Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling (CDU, 1900–1986) aber höchst unklug gegen die interfraktionelle Absprache, dass niemand zum "heiklen" Inhalt dieser Regelung reden sollte. Er beklagte sich unter anderem über die Lobbyarbeit der Automatenbranche, die das edle Ziel der Bundesregierung zu unterlaufen versuche, die Jugend vor dem unkontrollierten Zugang zu Kondomen zu schützen. In der Gegenrede wiesen Marie-Elisabeth Lüders (FDP, 1878–1966) und der später als SPD-Justizminister bedeutende Gerhard Jahn (1927–1998) darauf hin, dass die Regierungsseite die Sachdiskussion im Gesundheitsausschuss unterbunden habe. Jahn spottete milde über das "warme Interesse" Wuermelings an den Verhütungsmitteln.

Gegen die seit 1957 bestehende absolute CDU/CSU-Mehrheit wurde mit Stimmen auch der FDP und der rechten Deutschen Partei (DP) der weniger restriktive SPD-Änderungsantrag angenommen. Ins Gesetzblatt kam: "Mittel oder Gegenstände, die zur Verhütung der Empfängnis oder zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, dürfen in Warenautomaten an öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen (Außenautomaten) nicht feilgeboten werden."

Am 3. Dezember 1959 schuf der Bundestag, ohne über dieses "heterotope" Thema reden zu wollen, die Voraussetzungen, öffentliche Toiletten mit Kondomautomaten auszustatten (vgl. Stenografischer Bericht, 92. Sitzung, S. 5032 ff.). 

Zitiervorschlag

Juristische Diskussion um öffentliche Toiletten: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55144 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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