Diese Woche debattiert der Bundestag über das neue Tierschutzgesetz. Wirkungsvolle Maßnahmen im Ampel-Entwurf? Fehlanzeige. Grausamer Haltungsformen bleiben an der Tagesordnung und das Strafrecht schwach, kritisiert Vera Christopeit.
Vom Schlachthof-Tierarzt höchstpersönlich in der Regentonne ertränkte, wenige Stunden alte Ferkel. Schwer verletzte Rinder und Kälber auf wochenlangen Langstreckentransporten, teilweise verdurstet oder von Artgenossen erdrückt. Und immer wieder: Schlachthofskandale, Horrorbilder von Kannibalismusfolgen und Verstümmelungen: Alltag in der Intensivtierhaltung 2024 in Deutschland. Durch die Aufnahme der Staatszielbestimmung in Art. 20a Grundgesetz im Jahr 2002 hat der Schutz der Tiere in Deutschland zwar formal an Bedeutung gewonnen - bis auf die Abschaffung der Käfighaltung von Hühnern und das Verbot des Schredderns von männlichen Eintagsküken ist allerdings wenig spürbare Veränderung geschehen. Zuletzt hatte die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag eine Überarbeitung des Tierschutzgesetzes (TierSchG) vereinbart. Der aktuelle Entwurf? Eine massive Enttäuschung.
Die ministeriumsführenden Grünen (Cem Özdemir), die spätestens seit der Einführung des "Tierwohl"labels den selbstverpassten Anstrich als Tierschutzpartei verloren haben, unterboten sich selbst von Anfang an mit risikoaversivem Kurs. Seitens der FDP: Blockadehaltung, die SPD lustlos und unwissend.
Vieles hätte besser werden können: Bereits vor der aktuellen Legislatur boten vielversprechende juristische Gutachten die Grundlage, den Tierschutz mit geringem Aufwand grundlegend zu stärken. Diese sahen Verbote von bestimmten Haltungs- und Transportformen oder Zuchten bestimmter Tierarten vor (betreffend etwa Rinder in der Anbindehaltung, Langstreckentransporte in Nicht-EU-Länder, Qualzuchten). Daneben waren auch Vorschriften im Gespräch, die für eine bessere Bekämpfung der Tierschutzkriminalität gesorgt hätten.
2022: Die ersten Aufschläge ließen noch hoffen
Nachdem der Tierschutz bereits in den Legislaturen zuvor in allen Wahlprogrammen zu kurz kam, schafften es wenigstens einige Vorschläge aus besagten Gutachten in die ersten Regierungsentwürfe zur Reformierung des TierSchG. Darunter drei wichtige Punkte:
- Eine Verschärfung des Tierschutzstrafrecht: Konkret sollte in § 17 TierSchG so geändert werden, dass auch die fahrlässige Tötung ohne vernünftigen Grund und Tierquälerei strafbar sein sollten; außerdem der Versuch. Auch sollte eine Mindeststrafe für besonders schwere Fällen der rohen/quälerischen Tiermisshandlung bzw. Tiertötung eingeführt werden.
- Das Verbot bestimmter Tierhaltungsformen, wie der dauerhaften Fixierung bzw. Anbindehaltung von Rindern;
- Das Verbot der Zucht explizit aufgezählter "Rassen", die aufgrund bestimmter angezüchteter Merkmale als Qualzuchten einzustufen sind.
Selbst von diesen ist aber im aktuellen Entwurf aus dem BMEL nur wenig übriggeblieben. Die rohe/quälerische Tiermisshandlungen und Tiertötungen sollen jetzt auch im Versuch strafbar sein. Auch sollen Schlachthöfe ab einer bestimmten Größe nach einer der Neuerungen videoüberwacht werden. Das bestehende Qualzuchtverbot wurde um zusätzliche "Qualzuchtmerkmale" erweitert. Doch an tatsächlich wirkungsvollen Regeln zur Reduzierung von Tierleid fehlt es. Alle drei oben genannten zentralen Punkte wurden entweder ganz gestrichen oder im Gesetzgebungsprozess ihrer Wirksamkeit beraubt:
Defizite im Tierschutzstrafrecht
Der eingangs erwähnte Tierarzt, der die Ferkel im Schlachthof ertränkte, ging straffrei aus – die fast schon zynische Begründung der Staatsanwaltschaft: die Tiere wären ohnehin später gestorben. Viele Staatsanwaltschaften unterstellen überdies von vornherein, die wegen Tierquälerei angezeigte Tierhalter hätten ihre Tiere "ohne Vorsatz" gequält oder verhungern lassen - und stellen die Verfahren ohne Ermittlungen ein. Derlei Defizite und die riesige Lücke zwischen der Gesetzeslage und der Verfolgungsrealität sind der Politik hinlänglich bekannt.
Die Ergänzung der zentralen Strafnorm des § 17 TierSchG um eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit würde nicht nur die Präventivwirkung der Norm verstärken. Sie könnte auch die Lücken schließen, die insbesondere im Bereich der Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft dort bestehen, wo sich Landwirte mit besonders vielen Tieren immer noch auf "Unübersichtlichkeit des Bestands" berufen, wenn einzelne kranke Tiere über längere Zeit unversorgt bleiben und leiden oder sterben.
Aus der ursprünglichen Fahrlässigkeit wurde nun aber doch nur Leichtfertigkeit – es soll also nur zur Strafbarkeit kommen, wenn ein Tierquäler die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Warum dieser strengere Maßstab ausreichen soll, ist rechtlich nicht nachvollziehbar.
Eine Mindeststrafe für besonders schwere Fälle wäre ebenfalls dazu geeignet, die effektive Ahndung der Fälle mit erhöhtem Unrechtsgehalt zu gewährleisten – und die Abschreckung zu erhöhen. Dies könnte insbesondere im Bereich der Tierversuche greifen, wo immer noch eine Vielzahl von nicht für die Versuche geeigneten "Überschusstieren" relativ einfach getötet und "entsorgt" werden kann. Die Tötung dieser Tiere, die aus genetischen Gründen oder weil sie das falsche Geschlecht haben, nicht für die Versuche verwendet werden können, wird momentan noch als sozialadäquates Verhalten eingestuft, obwohl das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass wirtschaftliche Gründe kein vernünftiger, d.h. rechtfertigender Grund für Tiertötungen sind.
Die ursprünglich vorgeschlagene Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten für besonders schweren Fälle hat jedoch nicht überlebt. Sie ist dem Druck der Tierversuchsforschenden zum Opfer gefallen, welche durch die Strafschärfung den Wissenschaftsstandort Deutschland gleich in seiner Gänze gefährdet sahen.
Die Tortur der Anbindehaltung
Ohne das letzte bisschen Platz, um sich abzulegen oder nur einmal um sich selbst drehen zu können, starren Rinder in der Anbindehaltung tagein, tagaus dieselbe Wand an. Sie leiden nicht nur körperlich an Klauen-, Gelenks- oder Euterentzündungen. Auch starke psychische Leiden wie Langeweile oder Einsamkeit, die sich in Verhaltensstörungen niederschlagen, sind regelmäßig die Folge.
Diese regelmäßig tierquälerische Haltungsform, bei der Tiere mittels Gestell, durch Anbinden oder Anketten dauerhaft am Hals fixiert werden, wird vor allem bei Rindern in der Landwirtschaft praktiziert. Jegliches arttypische Verhalten – man spricht bei Rindern von sechs "Funktionskreisen"– (Nahrungsaufnahme, Erkundungsverhalten, Ruheverhalten, Körperpflege, natürliche Herden- und Mutter-Kind-Beziehungen) wird diesen Tieren verunmöglicht.
Dennoch wurde das im Erstentwurf noch enthaltene Verbot der Anbindehaltung revidiert. Die Abwehrreaktion der Milchlobby führte dazu, dass ein Verbot erst nach einer Übergangsfrist von zehn Jahren kommen soll. Zudem wurde ohne tierschutzrechtliche Begründung und frei jeglicher Logik entschieden, dass Betriebe mit nicht mehr als 50 Tieren von der Regelung komplett ausgenommen werden sollen, wenn sie bestimmte, schwer kontrollierbare Voraussetzungen erfüllen. Da die allermeisten Betriebe mit Anbindehaltung solche Kleinbetriebe sind, wird sich auch nach Ablauf der Übergangsfrist kaum etwas ändern.
Es reicht nicht, sich darauf zu verlassen, dass die Zahl der Bauern kontinuierlich sinkt – für den Schutz der Tiere in dieser Haltungsform ist das nicht bedeutsam. Die Anbindehaltung von Rindern wird in der juristischen Fachliteratur als "regelmäßig strafbar" eingestuft, unabhängig davon, ob sie ganzjährig oder saisonal stattfindet. Vom Gesetzgeber wäre daher ein klares Signal in Form eines Verbots gefragt; nicht die Quasi-Legalisierung eines eklatant rechtswidrigen und strafbaren Verhaltens.
Sicht- und hörbares Leid bei Qualzuchten
Röchelnde Möpse, bandscheibengeschädigte Dackel mit krummen Beinen und "Hochleistungsmilchkühe" der Art Holstein-Friesian mit 1,8 Erkrankungen je Laktationsphase – bei diesen Rassen werden Defekte geduldet oder durch Zucht gefördert, die den ästhetischen Vorlieben bestimmter Menschen entsprechen oder die wirtschaftliche Nutzbarkeit eines Tieres erhöhen. Für die Tiere sind sie regelmäßig mit Schmerzen, Leiden und Verhaltensstörungen verbunden. Diese Qualzuchten sind dringend zu beenden – ein klares gesetzgeberisches Bekenntnis ist erforderlich, da Menschen aus Profitgier über tierliche Interessen hinweggehen und Tieren wissentlich quälerische Merkmale anzüchten.
Bisher legt das Gesetz nur bestimmte Merkmale fest, die aus den "rassetypisch" angezüchteten Defekten folgen und typischerweise Qualen verursachen. Tiere mit diesen Merkmalen dürfen nicht für die Zucht eingesetzt werden. Wirksamer wäre es, gesetzlich gleich diejenigen Rassen zu benennen und deren Zucht zu verbieten, bei denen rassetypische Merkmale eben diese Qualen bedingen.
Dennoch wurde das bisherige schwache Instrument nicht, wie erhofft, zu einem echten Verbot geschärft. Stattdessen bleibt es der Scheinriese, der es war, nämlich eine unkontrollierbare und in der Praxis wirkungslose Aufzählung von mittlerweile 18 Merkmalen, aus deren Vorliegen sich ein (kaum kontrollierbares) Zuchtverbot ergeben kann.
Auf dieser Grundlage können weiter Möpse, Dackel und Bulldoggen gezüchtet und als Modehunde verramscht werden. Und mit Blick auf die beispielhaft angeführte "Hochleistungskuh" scheint es auch niemanden zu stören, dass veterinärmedizinische Gutachten belegen: Schon die Rasse ist eine Qualzucht und gehört damit verboten. Welcher Landwirtschaftsminister könnte das den Bauern erklären? Der jetzige möchte es offenkundig nicht.
Fazit: Tierschutz kommt unter Ampel nicht voran
Die Reform des Gesetzes hätte eine große Chance für die Tiere sein können. Genutzt wurde sie bisher nicht. Am 26. September 2024 wird die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag sein, von dort wird es seinen Weg in den Ausschuss nehmen. Für Mitte Oktober ist dann eine öffentliche Anhörung vor dem Ausschuss geplant. Bis zur potentiellen Verabschiedung ist damit wenig Zeit, das Ruder herumzureißen.
Die Tiere bleiben der Spielball, der zwischen Politik und der stark in den Ausschüssen vertretenen Agrar- und Forschungslobbys hin- und hergeworfen wird. Der Tierschutz kommt damit bislang weder "voran", wie die Pressemitteilung des BMEL zum Referentenentwurf beschönigend verkündet, noch wird dem Verbesserungsgebot aus Art. 20a Grundgesetz annähernd entsprochen.
Dr. Vera Christopeit (Ass. iur.) ist Justiziarin im Rechtsteam der bundesweit größten Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e.V. In deren Berliner Niederlassung befasst sie sich vor allem mit dem Verfassungsrecht, Tier(schutz)recht, der Tierethik und dem Versammlungsrecht.
Anbindehaltung, Qualzüchtung, schwaches Strafrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55475 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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