Wer nach langer Krankheit wieder seine Arbeit aufnimmt, muss schnell im selben Jahr den ungenutzten Urlaub beantragen, damit er nicht verfällt. Endet der Job, gilt dies nach Urteilen des BAG auch für den Geldausgleich: Urlaubsabgeltungsansprüche unterliegen einzel- und tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Was dieser Wandel aus Erfurt bedeutet, erklärt Hendrik Bourguignon.
Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bedeuten eine Kehrtwende: Bislang hatte das Gericht die Anwendbarkeit von Ausschlussfristen auf Urlaubsabgeltungsansprüche mit dem Hinweis darauf abge-lehnt, dass jene einen unabdingbaren gesetzlichen Abgeltungsanspruch nicht erfassen könnten. Diese Rechtsprechung hat das BAG infolge der Schultz-Hoff-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von Anfang 2009 nun mit zwei Entscheidungen aufgegeben.
Eine Krankenschwester, die eineinhalb Jahre krankgeschrieben war, schied Ende März 2008 aus dem Arbeitsverhältnis aus und erhielt seitdem eine Erwerbsminderungsrente. Erst im Februar 2009 verlangte sie eine Abgeltung des ihr aus den Jahren 2007 und 2008 noch zustehenden Urlaubs. Hiermit wird ein bis zum Ende eines Arbeitsverhältnisses nicht genommener Resturlaub in Geld ausbezahlt.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG verfiel der Urlaubsanspruch und damit auch der Anspruch auf eine Abgeltung desselben am Ende eines Kalenderjahres, spätestens jedoch zum 31. März des Folgejahres, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aufgrund von Krankheit nicht nehmen konnte.
Ein Machtwort aus Luxemburg
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied jedoch Anfang 2009, dass diese deutsche Rechtspraxis nicht mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie vereinbar ist. Die Richtlinie sieht vor, dass der gesetzliche Anspruch auf den bezahlten Jahresurlaub von mindestens vier Wochen, das heißt 20 Urlaubstage bei einer 5-Tage-Woche, nicht zeitlich verfallen dürfe, nur weil der Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte. Der Arbeitnehmer behält also trotz Krankheit seinen Urlaubsanspruch, auch wenn er nicht gearbeitet hat. Damit verbleibt ihm aber auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der sofort fällige Urlaubsabgeltungsanspruch.
Trotz dieser Rechtsprechung aus Luxemburg können Ansprüche aber nicht zeitlich völlig unbegrenzt geltend gemacht werden. Der Antrag der Krankenschwester ging bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber im Februar 2009 und damit viel zu spät ein, so das BAG in seiner Entscheidung (Urt. v. 09.08.2011, Az. 9 AZR 352/10). Als reine Geldforderung unterliege der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs wie andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auch den einzel- und tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Da das Arbeitsverhältnis der Krankenschwester dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes unterlag, lag sie weit über der sechsmonatigen Ausschlussfrist.
Im zweiten Fall hatte ein wiedergenesener Busfahrer nach dreieinhalb Jahren Krankheit im zweiten Halbjahr 2008 seinen 30-tägigen Jahresurlaub genommen. Erst 2009 machte er weitere 90 Urlaubstage für die Jahre 2005 bis 2007 geltend. Er begründete dies damit, dass er den Urlaub während seiner langen Krankheit nicht habe nehmen können.
Auch für ihn hatte das BAG keine erfreuliche Entscheidung parat. Der neunte Senat entschied, dass der von dem Busfahrer beantragte Urlaub für die lange Zeit der Krankheit spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 untergegangen ist. Werde ein zunächst arbeitsunfähiger Arbeitnehmer so rechtzeitig gesund, dass er den während seiner Krankheit aufgelaufenen Urlaub noch nehmen könnte, erlischt der aus früheren Zeiträumen stammende Urlaubsanspruch nach dem Urteil aus Erfurt genauso wie der Anspruch, der zu Beginn des Urlaubsjahres neu entstanden ist (Urt. v. 09.08.2011, Az. 9 AZR 425/10).
Betriebliche Konsequenz: man muss sich beeilen
Nicht beantwortet hat das BAG allerdings die Frage, in welchem Umfang Mitarbeiter Urlaubsansprüche über mehrere Jahre ansammeln können. Auch hierüber wird das BAG in Zukunft sicher noch entscheiden müssen. Gut beratene Arbeitnehmer werden ihre Vorgesetzten auf eine Übertragung des Urlaubs-anspruchs in das Folgejahr hinweisen, wenn eine Urlaubsnahme wegen Krankheit nicht möglich war, der Resturlaub jedoch in der Entgeltabrechnung gestrichen wurde. Zu erwarten ist auch, dass Betriebsräte mehr als bisher bei der mitbestimmungspflichtigen Urlaubsplanung darauf achten, dass die Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmer einbezogen werden
Auch Abgeltungsansprüche im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Schwerbehindertenurlaub unterliegen den Ausschlussfristen, wenn dieser Urlaub bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses wegen Ar-beitsunfähigkeit nicht angetreten werden konnte. Soweit (tarif-)vertragliche Ausschlussfristen nicht eingreifen, werden diese Ansprüche von der im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelten dreijährigen Verjährungsfrist erfasst.
Nach langer Arbeitsunfähigkeit angemeldete Ansprüche werden von Arbeitgeberseite meist missmutig gesehen. Mancher Mitarbeiter dagegen kann sich, wenn er sich nach seiner Rückkehr an den Arbeitsplatz beeilt, über eine finanzielle Abgeltung längst verloren geglaubter Urlaubstage freuen.
Der Autor Hendrik Bourguignon ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der Kanzlei Schmalz Rechtsanwälte in Frankfurt.
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Urlaubsansprüche bei langer Krankheit : . In: Legal Tribune Online, 10.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3987 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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