Gibt das Auswärtige Amt Reisewarnungen heraus, ist das immer eine Meldung wert. Dabei dürfen Reisende Verträge kündigen, wenn die Reise wegen höherer Gewalt erheblich gefährdet oder beeinträchtigt würde – und nicht erst dann, wenn eine Reisewarnung ausgesprochen wird. Mit Prof. Dr. Ronald Schmid sprach LTO auch über angebliche Kulanzumbuchungen und andere (Reise-)Rechtsmärchen.
LTO: Herr Professor Schmid, was genau ist der Unterschied zwischen einer Reisewarnung und den Sicherheitshinweisen, die das Auswärtige Amt ausspricht?
Schmid: Reisewarnungen enthalten einen dringenden Appell des Auswärtigen Amts, Reisen in ein Land oder in eine Region eines Landes zu unterlassen. Sie werden nur dann ausgesprochen, wenn aufgrund einer akuten Gefahr für Leib und Leben vor Reisen in ein Land oder in eine bestimmte Region eines Landes gewarnt werden muss.
Sicherheitshinweise machen auf besondere Risiken für Reisende und im Ausland lebende Deutsche aufmerksam. Sie können die Empfehlung enthalten, auf Reisen zu verzichten oder sie einzuschränken. Gegebenenfalls wird von nicht unbedingt erforderlichen oder allen Reisen abgeraten.
Diese Abstufung ist eher diplomatischer Natur. Sie ist nicht nur für Laien, sondern auch für Juristen schwer nachzuvollziehen. Wird der dringende Hinweis gegeben, man solle Reisen vermeiden, dann ist die Frage, ob das nicht schon eine – vielleicht abgeschwächte – Reisewarnung ist, aber eben nicht nur ein "Hinweis". Dieser fein ausdifferenzierte Sprachgebrauch ist also sicherlich wenig hilfreich.
"Reisewarnungen sind nur ein Indiz"
LTO: Welche rechtlichen Konsequenzen haben Sicherheitshinweise oder gar Reisewarnungen?
Schmid: § 651j Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stellt darauf ab, ob die Reise infolge höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird. Der Reisende oder der Reiseveranstalter, der sich auf diese höhere Gewalt und damit das Recht zur Kündigung des Reisevertrags berufen will, muss für sich prüfen, ob diese Voraussetzungen im konkreten Einzelfall, also in seiner Situation vorliegen.
Dabei kann er sich zum Beispiel auch auf eine seriöse Berichterstattung stützen, wenn er – auch im Nachhinein – seine Einschätzung zur Durchführbarkeit oder eben Nicht-Durchführbarkeit der Reise begründen möchte.
Die Reisewarnung ist also ein Indiz dafür, dass die Einschätzung des Reisenden oder des Veranstalters, der sich auf höhere Gewalt beruft und daher die geplante Reise kündigen will, zutreffend war. Am Ende muss aber ein Richter am grünen Tisch beurteilen, wie die Lage sich aus der Sicht des Entscheiders am Tag der Entscheidung darstellte.
"Kostenfreie Kündigung ist auch ohne Reisewarnung möglich"
LTO: Eine kostenfreie Kündigung eines Reisevertrags ist also auch ohne Reisewarnung möglich?
Schmid: Es ist schlichtweg falsch, wenn Reiseveranstalter, wie das häufig vorkommt, sich darauf berufen, der Reisende sei nicht dazu berechtigt, den Reisevertrag zu kündigen, "weil keine Reisewarnung ausgesprochen" worden sei. Dieses Argument entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Im Gesetz steht, dass die Reise erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt werden muss. Über Warnungen oder Hinweise des Auswärtigen Amtes hingegen sagt das Gesetz gar nichts.
Es ist einfach ein schwer auszurottendes Rechtsmärchen, dass eine Reisewarnung oder ein entsprechender Hinweis des Auswärtigen Amtes maßgeblich dafür seien, ob ein Grund zur Kündigung des Reisevertrags besteht. Es wäre eine grobe Verkürzung der Rechte von Reisenden, wenn man behauptete, sie könnten nur dann stornokostenfrei den Reisevertrag kündigen, wenn eine solche Reisewarnung vorliege.
Auch wenn das von manchen Kollegen, vor allem natürlich solchen, die die Reisebranche vertreten, anders gesehen wird: Weder aus dem Gesetz noch aus der diesbezüglichen Rechtsprechung ergibt sich, dass das Auswärtige Amt den Begriff der höheren Gewalt definieren will. Gerichte stellen immer darauf ab, wie der konkrete Einzelfall aussah und wie die Umstände am Zielort waren, als die Entscheidung anstand, ob die Reise angetreten werden soll oder nicht.
"Unruhen in Ägypten" bedeutet nicht höhere Gewalt in Sharm el Sheikh
LTO: Nach welchen Maßstäben richtet sich die Qualifizierung, wie erfolgt die Differenzierung zwischen Sicherheitshinweis und Reisewarnung?
Schmid (lacht): Das müssten Sie ehrlich gesagt das Auswärtige Amt fragen, mir ist das eher ein Rätsel. Für das Reiserecht ist das aber wie erläutert auch weniger wichtig. Der Jurist prüft im Einzelfall, ob in der Urlaubsregion, die der Reisende besuchen möchte oder in den Region, durch die er dazu reisen muss, tatsächlich ein Fall höherer Gewalt gegeben ist.
Es kann also durchaus sein, dass, wenn nur in einer Region Proteste stattfinden und in anderen, möglicherweise hunderte von Kilometern entfernten Landstrichen von Unruhen gar nichts zu bemerken ist, nicht überall höhere Gewalt vorliegt, die die Kündigung von Verträgen rechtfertigen würde. Es ist also nicht so, dass "Unruhen in Ägypten" notwendigerweise einen Fall höherer Gewalt in Sharm el Sheikh bedeuten.
Für die objektive Beurteilung dieser Situation sind Reisewarnungen also durchaus hilfreich. Wenn nämlich das Auswärtige Amt schon für ein ganzes Land warnt, ist das ein wichtiges Indiz. Aber es ist eben für den konkreten Fall auch nicht mehr als das. Und anders lautende Behauptungen sind meines Erachtens Rechtsmärchen.
Höhere Gewalt, Kündigung und Umbuchung
LTO: Was ist vor diesem Hintergrund davon zu halten, dass Reiseveranstalter in Fällen, in denen das Auswärtige Amt Sicherheitshinweise, aber noch keine Reisewarnung herausgegeben hat, gerne mit der Meldung an die Presse gehen, Umbuchungen und Stornierungen schon jetzt zu ermöglichen.
Schmid: Ich bleibe dabei: Weder Kündigung noch Umbuchung hängen ab von der Art der Erklärung des Auswärtigen Amtes. Wichtig ist aber in diesem Zusammenhang, dass die Kündigung (also die kostenlose Stornierung nebst Ersatz bereits aufgewandter Kosten), von der das Gesetz in § 651j BGB spricht, etwas völlig anderes ist als die Umbuchung einer Reise.
Im letzteren Fall wird anstelle der beeinträchtigten Reise ein Trip zu einem anderen Ziel beim selben Veranstalter gebucht – was diesem verständlicherweise lieber ist als der ersatzlose Wegfall des Reisevertrags.
Es ist also zu unterscheiden: Liegt ein Fall höherer Gewalt vor, ist der Reisende berechtigt, den geschlossenen Vertrag zu kündigen. Er kann bei seinem, aber auch bei einem anderen Veranstalter eine völlig andere Reise buchen. Würde der Reiseveranstalter dann nur eine Umbuchung zu einem anderen Ort zulassen, wäre das eine evidente Verkürzung der Rechte der Reisenden.
Liegt aber kein Fall höherer Gewalt vor, gibt es also zum Beispiel nur in einer begrenzten Region Unruhen, mit der der Reisende bei der geplanten Reise gar nicht weiter in Berührung käme, kann der Reiseveranstalter das Recht zur stornokostenfreien Kündigung durchaus ablehnen. Wenn er in solchen Fällen eine Umbuchung zulässt, verhält er sich tatsächlich kulant. Einen Anspruch auf eine solche Umbuchung hat der Reisende nämlich mangels höherer Gewalt nicht.
"Auch für Arbeitnehmer gilt: Es kommt darauf an."
LTO: Gelten diese Konsequenzen auch für Dienstreisen? Hat also zum Beispiel ein Arbeitnehmer, der eine Dienstreise antreten soll, einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber, von dieser Reise freigestellt zu werden, wenn das Auswärtige Amt eine Reisewarnung ausgesprochen hat?
Schmid: Auch insoweit möchte ich differenzieren. Bei einem eher weichen Hinweis zum Beispiel darauf, sich von größeren Menschenmengen fernzuhalten und ähnlichem, hätte ich Zweifel daran, ob der Arbeitnehmer deshalb den Antritt der Reise verweigern könnte.
Ist der Hinweis hingegen sehr deutlich, wird also gewarnt, dass Reisen in ein Land nicht durchgeführt werden sollten, wenn sie nicht absolut dringend erforderlich sind, liegt meines Erachtens schon eine milde Form der Reisewarnung vor. Dann ist wohl davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer diese Reise verweigern darf – es sei denn, es müssten zum Beispiel Notfallarbeiten an einer technischen Anlage durchgeführt werden oder ähnliches.
LTO: Welche Rechtsnatur haben Reisewarnung und Sicherheitshinweis?
Schmid: Nach meiner Meinung handelt es sich um eine bloße Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes. Interessant ist dabei, dass das Auswärtige Amt selbst darauf hinweist, dass es sich nur um die subjektive Einschätzung des Amtes handelt und jeder Reisende das Risiko für sich selbst beurteilen müsse. Die Warnungen und Hinweise sind aber gerade keine Reiseverbote oder in sonstiger Art mit Bindungswirkung ausgestattet. Sie stellen daher also auch keine Verwaltungsakte dar.
Wer sich in Gefahr begibt …
LTO: Mangels Bindungswirkung der Warnungen müssen Reisende also auch nicht mit Konsequenzen rechnen, die sich trotz eines Sicherheitshinweises oder gar einer Reisewarnung zu ihrer Reise aufgemacht haben?
Schmid: Nein. Meiner Einschätzung nach müsste sich das allerdings durchaus auswirken, wenn es zum Beispiel um die Kosten eventuell erforderlich werdender Evakuierungs- oder gar Befreiungsmaßnahmen geht.
Der Reisende, der sich bewusst in Gefahr begibt, auch wenn es nicht dringend notwendig war, kann sicherlich mit solchen Kosten eher belastet werden als derjenige, der unter friedlichen Bedingungen los geflogen ist und im Reiseland mit plötzlichen Unruhen konfrontiert wird.
Aber auch dabei ist wieder zu berücksichtigen, dass die Reisewarnung kein Reiseverbot ist. Ein grundsätzliches Verbot, in ein bestimmtes anderes Land einzureisen, dürfte auch schon unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten undenkbar sein.
LTO: Herr Professor Schmid, wir danken Ihnen für dieses Interview.
Prof. Dr. Ronald Schmid ist Rechtsanwalt in Frankfurt und Honorarprofessor für Luftverkehrsrecht und Reiserecht an der Technischen Universität Dresden. Er ist Gründungsmitglied und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht e.V. und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen auf diesem Gebiet. Die hier vertretene Meinung stellt nicht die der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht e.V. dar.
Das Interview führte Pia Lorenz.
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