In der Wirtschaftskrise wurde der Überschuldungsbegriff aufgeweicht, erst 2014 will der Gesetzgeber zur alten Fassung zurückkehren. Tatsächlich müssen viele Manager für eine sorgfältige Prognose bereits Anfang kommenden Jahres wissen, wann ihr Unternehmen als überschuldet gilt. Der Gesetzgeber muss daher noch einmal aktiv werden, meinen Christoph Poertzgen und Marc Häger.
Bis 2008 musste eine Überschuldung anhand einer rechnerischen Gegenüberstellung von vorhandenen Vermögenswerten und bestehenden Verbindlichkeiten bestimmt werden. Lag danach eine rechnerische Überschuldung vor, war entscheidend, ob im Einzelfall eine positive Fortführungsprognose bestand, das Unternehmen also mittelfristig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich überlebensfähig war.
Im Falle einer solchen Prognose musste die Geschäftsleitung erneut die Vermögenswerte den Verbindlichkeiten gegenüberstellen – diesmal jedoch unter Fortführungsgesichtspunkten. Ergab sich weiterhin eine Unterdeckung, war das Unternehmen im insolvenzrechtlichen Sinne überschuldet und es musste unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden.
Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz hat der Gesetzgeber 2008 den insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriff erheblich aufgeweicht; diese "Light"-Version wurde später bis Ende 2013 verlängert. Nach dieser "modifiziert zweistufigen Methode" schließt eine positive Fortführungsprognose eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne immer aus. Der Gesetzgeber wollte damit solche Unternehmen von der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags entbinden, die krisenbedingt zwar kurzfristig rechnerisch überschuldet sind, aber mittelfristig doch über genügend Liquidität verfügen werden, um ohne Insolvenzereignis fortgeführt werden zu können.
Für Prognosen ist laufendes und darauf folgendes Geschäftsjahr relevant
Das Auslaufen der Übergangsregelung und die Rückkehr zum alten Überschuldungsbegriff Anfang 2014 wird zur Folge haben, dass Geschäftsführer und Vorstände sich nicht mehr allein auf eine positive Fortführungsprognose verlassen dürfen. Sie müssen frühzeitig dafür sorgen, dass auch rechnerisch keine Überschuldung vorliegt.
Dieses Thema wird für viele Manager bereits Anfang nächsten Jahres relevant werden. Denn der zeitliche Horizont für die Fortführungsprognose beträgt allgemein zwei Jahre: das laufende und das nächste Geschäftsjahr. Eine Anfang 2012 erstellte Prognose kann also bis ins Jahr 2014 hineinreichen. Damit fällt das Ende des Prognosezeitraums entweder mit dem Auslaufen der Übergangsregelung zusammen oder geht sogar darüber hinaus.
Grundsätzlich dürfte eine Fortführungsprognose nicht als positiv gelten können, wenn an deren Ende eine insolvenzrechtliche Überschuldung nach den strengeren Kriterien der dann geltenden Rechtslage stehen wird. Geschäftsführer und Vorstände müssten also bereits ab Anfang 2012 die ab 2014 wieder geltenden, strengeren Kriterien in ihre Prognose einbeziehen.
Kaum ein Insolvenzverfahren beruht nur auf Überschuldung
Dagegen könnte man zwar argumentieren, dass pflichtgemäß handelnde Geschäftsführer und Vorstände eine während des Prognosezeitraums liegende Gesetzesänderung grundsätzlich unbeachtet lassen dürfen und erst am Ende des Prognosezeitraums die rechnerische Überschuldung überprüfen müssen. Allerdings bleibt eine erhebliche Unsicherheit, gerade im Hinblick auf die den betroffenen Organvertretern drohende Insolvenzverschleppungshaftung.
Zur Vermeidung dieser Rechtsunsicherheit sollte der Gesetzgeber noch im Jahr 2011 tätig werden. Neben einer weiteren Verlängerung oder endgültigen Einführung des momentan geltenden Überschuldungsbegriffs wäre auch eine generelle Aufgabe der Überschuldung als Insolvenzauslöser denkbar. Schon heute gibt es kaum Insolvenzverfahren, die allein auf einer Überschuldung beruhen; fast immer kommt die Zahlungsunfähigkeit hinzu. Die Frage, ob ein Unternehmen insolvent ist, wäre dann allein anhand des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit und eines entsprechenden Liquiditätstests zu beurteilen.
Eine ersatzlose Streichung des Überschuldungsbegriffs würde die Rechtsanwendung erheblich erleichtern; wahrscheinlich ist sie - zumindest kurzfristig - allerdings nicht.
Dr. Christoph Poertzgen ist Rechtsanwalt und Partner, Marc Häger Rechtsanwalt bei Oppenhoff & Partner in Köln.
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