Im vergangenen Herbst blieben bei TUI die Flugzeuge weitgehend auf dem Boden, weil sich massenhaft Crewmitglieder krankmeldeten. Nach den Klagen frustrierter Reisender ergingen nun die ersten Urteile. Marcus Scholz zur Sach- und Rechtslage.
Ein Anspruch auf Entschädigung nach der EG 261 / 2004 Fluggastrechte-Verordnung (Fluggastrechte-VO) besteht für Fluggäste gegen die ausführende Fluggesellschaft, wenn ihr gebuchter Flug annulliert wurde oder sich erheblich verspätet hat.
Durch die Verordnung sollte sowohl ein hohes Schutzniveau der Fluggäste geschaffen als auch dem Erfordernis des Verbraucherschutzes Rechnung getragen werden. Doch gilt der Verbraucherschutz nicht uneingeschränkt: So hat der europäische Verordnungsgeber den Fluggesellschaften eine Exkulpationsmöglichkeit gegeben, mit der sie sich der Haftung entziehen können.
Dieser Ausnahmetatbestand, für den die Fluggesellschaft vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet ist, hat in Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO unter dem Begriff "außergewöhnliche Umstände" Einzug gehalten.
Außergewöhnliche Umstände: ein auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff
Demnach hat ein Fluggast, wenn sein gebuchter Flug annulliert wurde, einen Entschädigungsanspruch gem. Art. 7 Abs.1 Fluggastrechte-VO (beziehungsweise in analoger Anwendung, wenn es eine mehr als dreistündige Verspätung betrifft) gegen die ausführende Fluggesellschaft in Höhe von 125 bis 600 Euro (je nach Strecke). Eine Ausnahme gibt es nur, wenn die Annullierung auf einem solchen außergewöhnlichen Umstand beruhte.
Die Verordnung selbst schweigt zu der Frage, welche Ereignisse als außergewöhnliche Umstände zu kategorisieren sind. Lediglich in den Erwägungsgründen finden sich Hinweise darauf, in welchen Lichte der Begriff auszulegen ist. Nach dem Erwägungsgrund 14 zur Fluggastrechte-VO soll etwa ein außergewöhnlicher Umstand angenommen werden, wenn der geplante Flug aufgrund von politischen Unruhen, Flugsicherheitsmängeln oder Streiks gestört wurde.
Diesen Ereignissen ist eines gemeinsam: Sie alle liegen weder im Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft noch sind sie von ihr beherrschbar. So nimmt der Europäische Gerichtshof (EuGH) einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung nur an, wenn die Umstände außerhalb des Gewöhnlichen liegen, der normalen Ausübung der Tätigkeit eines betroffenen Flugunternehmens nicht innewohnen und aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht von ihr beherrschbar sind.
Daher sollen nur Ereignisse gelten, die von außen auf die planmäßige Durchführung des Fluges einwirken und diesen stören oder unmöglich machen. Das sieht auch der Bundesgerichtshof (BGH) so.
Passagiere erhalten bisher keine Entschädigung
TUI ist in den zahlreichen Verfahren der Ansicht, keine Kontrolle über den Ausfall ihrer Mitarbeiter gehabt zu haben. Die Airline meint, die massenhaften Krankmeldungen stellten einen außergewöhnlichen Umstand dar, weil dieser Umstand weder von ihr beherrschbar gewesen sei und sie auch keine zumutbaren Gegenmaßnahmen hätte ergreifen können.
Eine entsprechende standardisierte Antwort nebst Mitleidsbekundungen für die entstandenen Unannehmlichkeiten erhielten und erhalten immer noch tausende von Fluggästen beziehungsweise deren Anwälte oder Fluggastportale.
Krankwelle bei TUI: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22243 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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