Investitionsschutz in der Türkei: "Das Recht schützt die Unter­nehmen –auch gegen Prä­si­dial­de­k­rete"

Interview von Pia Lorenz

28.07.2017

Die deutsche Wirtschaft ist beunruhigt, die Türkei scheint nicht länger ein zuverlässiger Partner zu sein. Dabei können die Unternehmen sich wehren - selbst wenn das regulatorische Umfeld sich ändern würde, beruhigt Patricia Nacimiento.

LTO: Die Türkei hat die Liste mit knapp 700 Unternehmen, die sie der Terrorismusfinanzierung bezichtigt hatte, zwischenzeitlich zurückgezogen. Aber spätestens jetzt ist nach der Politik auch die deutsche Wirtschaft beunruhigt. Halten Sie das nur für atmosphärische Störungen – oder gibt es dafür handfeste rechtliche Gründe?

Nacimiento: Unabhängig davon, wie umfangreich die Liste wirklich ist, die ja bislang nur in Auszügen öffentlich gemacht wurde – sollte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) tatsächlich in der angekündigten Überprüfung zur Aussetzung der Bundesgarantien gelangen, können sich die "atmosphärischen Störungen" durchaus zu einem Gewitter zusammenbrauen. Diese sind nämlich gerade für mittelständische Exporteure und Investoren von unschätzbarem Wert. 

LTO: Was konkret fürchten deutsche Unternehmer, die sich in der Türkei engagieren oder dort investieren wollen?

Dr. Patricia Nacimiento

Nacimiento: In der aktuellen Situation kann man in der Türkei nicht sicher sein, dass das regulatorische Umfeld konstant bleibt – Änderungen sind jederzeit mittels Präsidialdekret möglich. Ebenso könnte die Türkei die Einreisebestimmungen für ausländische Mitarbeiter verschärfen oder das nationale, unabhängige Gerichtssystem auflösen.

Inwieweit diese Sorgen berechtigt sind, kann nur die Zukunft zeigen. Doch allein die Sorge hat bereits unmittelbaren Einfluss auf Investitionsentscheidungen und Handelsbeziehungen, denn das BMWi hat bereits angekündigt, die Ausgabe von Bundesgarantien zu überprüfen und gegebenenfalls ganz einzustellen. Diese Garantien bilden die Basis für viele Investitionen.

"Androhung einer internationalen Schiedsklage reicht oft schon aus"

LTO: Stehen Unternehmen, die investieren wollen, ohne diese Garantien schutzlos da? Inwieweit schützt sie das internationale  Investitionsschutzrecht und bietet ihnen auch Rechtsschutzmöglichkeiten, die außerhalb des Machtbereichs des türkischen Präsidenten liegen? 

Nacimiento: In der Türkei sind Unternehmen auf internationale Investitionsschutzabkommen angewiesen. Die Türkei hat knapp 100 bilaterale Investitionsschutzabkommen, aber gerade im deutsch-türkischen Abkommen fehlt eine Investor-Staat-Schiedsklausel.

Eine solche würde es deutschen Unternehmen ermöglichen, Schiedsverfahren aufgrund einer Verletzung eines der materiellen Investorenrechte anzustrengen. Im Energiesektor immerhin können deutsche Investoren sich auf den Energie-Charta-Vertrag stützen, der umfänglichen Schutz bietet.  Unter Umständen können deutsche Unternehmen ihre Investition über einen anderen EU Mitgliedsstaat strukturieren und so zu einem Schiedsverfahren aus einem anderen bilateralen Investitionsvertrag mit der Türkei gelangen. 

Ein Unternehmen kann aber  geltend machen, dass der Grundsatz des "Fair and Equitable Treatment" verletzt worden sei.  Dieses Gebot der gerechten und billigen Behandlung wird regelmäßig in Investitionsschutzverträgen vereinbart, der Energie Charta Vertrag ist da keine Ausnahme. Unternehmen werden dadurch u.a. vor intransparenten und willkürlichen Maßnahmen des Staates geschützt – also zum Beispiel davor, dass der Staat per Dekret entscheidet, vertragliche Verpflichtungen, die er gegenüber dem Investor zuvor eingegangen war, nicht mehr wahrzunehmen.

LTO: Wie können Unternehmen sich gegen eine Verletzung wehren?

Nacimiento: Wird das Gebot des "Fair and Equitable Treatment" verletzt, ist die wichtigste Möglichkeit für die betroffenen Unternehmen  eine Schiedsklage vor einem internationalen Schiedsgericht,  soweit es dafür eine rechtliche Grundlage gibt. In vielen Fällen reicht alleine die Androhung einer solchen Klage schon aus, um Gespräche und letztendlich einen Kompromiss zu erreichen. 

Daneben kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Betracht, der nicht nur Rechtsschutz für Individuen bietet, sondern auch für Unternehmen.

Leider gilt das nur mit Einschränkungen für die Türkei, weil die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage vor dem EGMR die Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges vorsieht. Das hat der EGRM in Bezug auf menschenrechtliche Beschwerden von Türken im Zusammenhang mit den "Säuberungen" nach dem Putschversuch bestätigt. Für viele Unternehmen ist das also keine reale Option.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Investitionsschutz in der Türkei: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23699 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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