Investitionsschutz in der Türkei: "Das Recht schützt die Unter­nehmen –auch gegen Prä­si­dial­de­k­rete"

Interview von Pia Lorenz

28.07.2017

2/2: "Auf vollstreckungsfähige Vermögen außerhalb der Staatsgrenzen zugreifen"

LTO: Wie kann ein Unternehmen einen erwirkten Schiedsspruch in supranationalen Fällen vollstrecken?

Nacimiento: In der New York Convention haben sich 157 Vertragsparteien verpflichtet, Schiedssprüche ohne Berufung anzuerkennen und zu vollstrecken. Möglich bleibt nur eine dort vorgesehene Rechtskontrolle auf wesentliche Verfahrensverstöße und Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung durch nationale Gerichte. 

Soweit es sich um einen Schiedsspruch nach den Regeln der Konvention des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID-Konvention) handelt, kommt eine Vollstreckung auf dieser Grundlage in Betracht: Ein Schiedsspruch hat hiernach den Status eines letztinstanzlichen staatlichen Urteils, so dass in allen Mitgliedstaaten der ICSID-Konvention vollstreckt werden kann. Das einzige Rechtsmittel dagegen ist die Anrufung eines ICSID-Annulment-Komitees, das den Schiedsspruch auf mögliche Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien kontrolliert.

LTO: Gehört auch die Türkei zu den 157 Vertragsparteien? Kann also vollstreckt werden? Und können Sie, die selbst auf der ICSID-Liste der Schiedsrichter und Mediatoren stehen, einschätzen, wie es mit der praktischen Umsetzung aussieht - in einem Staat, in dem sich täglich alles ändern kann?

Nacimiento: "Die Türkei gehört zu den Vertragsstaaten der New York Convention. Die ICSID Konvention ist für die Türkei am 2. April 1989 in Kraft getreten. Daher können deutsche Unternehmen Schiedsverfahren nach dem Energie Charter Vertrag gegen die Türkei gemäß den ICSID Schiedsregeln anstrengen und im Falle des Obsiegens von dem vereinfachten Anerkennungsverfahren profitieren.

Wir beobachten bei der Vollstreckung von Schiedssprüchen gegen Staaten sehr selten, dass im beklagten Staat Vollstreckungsversuche gestartet werden. Viel eher wird mittels darauf spezialisierter Firmen staatliches Vermögen im Ausland ausfindig gemacht, das der Vollstreckung offen steht, also nicht der Staatenimmunität unterliegt, auf die sich der Staat im Vollstreckungsverfahren berufen kann. Wenn auf vollstreckungsfähiges Vermögen der Türkei außerhalb der Staatsgrenzen zugegriffen werden kann, sind sowohl das Drohpotenzial als auch die Chancen der tatsächlichen Befriedigung etwaiger Ansprüche durchaus hoch.

"Investoren nehmen politische Äußerungen nicht automatisch für bare Münze"

LTO: Gehen Sie davon aus, dass die Lage sich zumindest auf der Ebene der Wirtschaft etwas entspannen wird, nachdem die Liste wegen angeblicher „Kommunikationsprobleme“ zurückgezogen wurde? Oder wird nur noch versucht, längst zerbrochenes Porzellan notdürftig zu kitten?

Nacimiento: Trotz der angespannten politischen Lage haben die ausländischen Direktinvestitionen in die Türkei in der ersten Hälfte des Jahres angezogen. Investoren nehmen die politischen Äußerungen aus Ankara also nicht automatisch für bare Münze.

Die türkische Politik weiß, dass sie auf ausländische Investoren angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund müssen Äußerungen wie etwa die des türkischen Wirtschaftsministers verstanden werden,  der kürzlich zusicherte, deutsche Investitionen in der Türkei seien sicher.

Dr. Patricia Nacimiento ist Partnerin bei Herbert Smith Freehills  und leitet die deutsche Praxisgruppe Dispute Resolution. Sie ist auf internationale Rechtsstreitigkeiten spezialisiert, insbesondere Investitionsstreitigkeiten. Die Bundesregierung hat sie seit 2007 für die Liste der Schiedsrichter und Mediatoren bei der ICSID benannt, der Schiedsorganisation der Weltbankgruppe. Daneben ist sie Herausgeberin mehrerer Kommentare zur Schiedsgerichtsbarkeit und Lehrbeauftragte an den Universitäten Heidelberg, Frankfurt und Saarbrücken.

Die Fragen stellte Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Investitionsschutz in der Türkei: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23699 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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