EU-Parlament lehnt TTIP-Schiedsgerichte ab: Wer hat's erfunden?

von Bernhard Fröhler

01.09.2015

2/2: Sinneswandel in Zeiten von Vattenfall I und II

Gerade diese Mechanismen eines unabhängigen Schiedsgerichts verlieren jedoch schnell ihren Charme, wenn man erfährt, dass der Investitionsschutz keine Einbahnstraße ist. So wurde die Bundesrepublik in den letzten Jahren gleich zweimal von Vattenfall vor dem ICSID-Schiedsgericht verklagt. Unter anderem wegen des von der Regierung beschlossenen Atomausstiegs könne der Konzern seine Investitionen nicht wie geplant nutzen, so die Begründung. Dabei geht es um mindestens dreistellige Millionenbeträge. Die Rechtssache Vattenfall I wurde mittlerweile durch einen Vergleich beigelegt.

In diesen Verfahren zeigt sich, dass nicht nur willkürliche staatliche Enteignungen in vermeintlich "rechtsfreien Drittstaaten" möglich sind, welche den Planungen der Investoren und ihrem (möglicherweise) berechtigtem Vertrauen entgegenlaufen. Auch legitime nationalstaatliche Gesetzesänderungen, wie beispielsweise die Energiewende nach Fukushima, können souveräne Staaten schadensersatzpflichtig machen.

Eben hier sehen die Gegner des ISDS-Systems einen Feind der Demokratie. Die ad-hoc Gerichte, die auch im Rahmen von TTIP geplant sind, sollen in teils nicht-öffentlichen Verfahren über Schadensersatzklagen von Wirtschaftsunternehmen entscheiden und zu Zahlungen verurteilen, welche bis in die Milliarden gehen können. Vielfach wird befürchtet, dieses Damoklesschwert könnte den demokratischen Gesetzgeber von seiner Tätigkeit abhalten.

Auch wenn das Beispiel von Deutschland zeigt, dass eine drohende Klage den Atomausstieg und damit den Grund für Vattenfall II keinesfalls verhindert hat, mag diese Befürchtung doch auf Verständnis stoßen. Ob es denn wirklich zu einer Lähmung des Gesetzgebers käme, kann dahinstehen. Im Bereich eines demokratischen Systems ist es nachvollziehbar, schon den bösen Schein vermeiden zu wollen.

EU-Parlament nimmt Befürchtungen ernst

In der Abstimmung vom 8. Juli 2015 hat sich das Europäische Parlament zwar grundsätzlich für das Abkommen selbst ausgesprochen. Zugleich hat es jedoch gefordert, das darin enthaltene ISDS durch ein neues System zu ersetzen. So sollen keine ad-hoc Richter mehr entscheiden, sondern öffentlich bestellte Berufsrichter. Damit sollen die Unwägbarkeiten, welche mit immer neu zusammengesetzten Spruchkörpern verbunden wären, vermieden werden. Zudem soll eine bislang bei den bisherigen privaten Schiedsgerichten regelmäßig nicht vorgesehene Berufungsinstanz eingerichtet werden. Diese Modifikation soll zusammen mit der Etablierung ständiger Berufsrichter gewährleisten, dass die Entscheidungen inhaltlich kohärent sind.

Auch diese Neuerungen beseitigen natürlich nicht die Gefahr, dass ein Staat zu hohen Strafzahlungen verurteilt wird. Für einen effektiven Investitionsschutz ist die Möglichkeit, Schadensersatz zu erhalten, aber schlicht notwendig. Ein entsprechendes Urteil sollten jedoch zumindest gänzlich unabhängige Richter in einem transparenten Verfahren fällen, so der Gedanke der Brüsseler Politiker. Auch verspricht die Berufungsmöglichkeit ein "Mehr" an Rechtsstaatlichkeit.

Die Verhandlungen mit den USA zu TTIP werden auf Seiten der Europäischen Union zwar von der Kommission geführt. Da das Abkommen letztlich jedoch auch vom Parlament abgesegnet werden muss, ist zu erwarten, dass die Kommission die Inhalte der nach Artikel 288 AEUV unverbindlichen Empfehlung in ihre Verhandlungen zu TTIP mit aufnehmen wird. Bereits im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass die Kommission eine Streichung der Schiedsgerichte aus dem TTIP-Entwurf erwäge.

Der Autor ist Rechtsreferendar am Oberlandesgericht München und absolviert derzeit seine Wahlstation bei einer deutschen Landesvertretung in Brüssel. Er war von 2011 bis 2014 Mitarbeiter am Centrum für Europarecht an der Universität Passau e.V. (CEP).

Zitiervorschlag

EU-Parlament lehnt TTIP-Schiedsgerichte ab: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16756 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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