2/2: Reichweite der Netzsperren noch offen
Neu ist, dass die hinsichtlich der zu treffenden Schutzmaßnahmen offene Störerhaftung nun auf Inhaltssperren verengt wird. Der Gesetzgeber stellt ausdrücklich klar, dass Passwörter und Nutzregistrierungen nicht mehr beansprucht werden können (§ 8 Abs. 4 TMG n.F.). Nur freiwillig können solche Maßnahmen weiter ergriffen werden.
Unter der neuen Rechtslage wird es entscheidend darauf ankommen, welche Anforderungen die Gerichte an das Sperren konkreter Inhalte stellen werden. Es ist damit zu rechnen, dass Rechteinhaber den ihnen einzig verbliebenen Anspruch möglichst umfangreich durchzusetzen versuchen werden. Kritiker befürchten daher, dass es zu einem "Overblocking" kommt, also der Gefahr, dass auch zulässige Inhalte regelmäßig "mitgesperrt" werden.
So kann etwa von Port- oder URL-Sperren auch legales Filesharing miterfasst werden. Die Gerichte müssen entscheiden, wann eine Inhaltssperre noch verhältnismäßig ist. Bei nur geringen Anteilen legaler Inhalte wird dies noch der Fall sein. Wann die Grenze erreicht ist und wie diese zu bestimmen ist, ist derzeit offen. Zeitliche Begrenzungen der Sperren können immerhin gewährleisten, dass ggf. gerichtlich angeordneten Änderungen des Inhalts Rechnung getragen wird.
Für Betreiber offener Netze hat der Gesetzgeber noch eine andere Art der Besserstellung vorgesehen. Anders als sonst bei zivilrechtlichen Auseinandersetzungen besteht kein Anspruch gegen den Betreiber auf Erstattung vor- und außergerichtlicher Kosten. Rechteinhaber können daher weder die Kosten ihrer Abmahnungen noch im Falle eines gerichtlichen Obsiegens ihre Anwaltskosten geltend machen. Einzig die Gerichtskosten und seine eigenen Kosten muss der Betreiber in einem solchen Fall tragen.
Neue Rechtsunsicherheit auf europäischer Ebene?
Neue unbestimmte Rechtsbegriffe führen naturgemäß zu Auslegungsschwierigkeiten. Wann Sperren "zumutbar und verhältnismäßig" sind, werden die Gerichte an Einzelfällen klären. Auch die Antwort auf die Frage, welche technischen Lösungen zur Gewährleistung von Sperren erforderlich und angemessen sind, wird sich in der Praxis zeigen.
Fundamentale Rechtsunsicherheit droht jedoch erneut aus europäischer Sicht. Der deutsche Gesetzgeber ist in der Ausgestaltung der Haftungsprivilegien für Netzbetreiber nämlich nicht völlig frei, weswegen die ersatzlose Streichung der Störerhaftung schon immer ein vom nationalen Gesetzgeber nicht zu verwirklichendes Ziel war.
Während die E-Commerce Richtlinie (Richtlinie 2000/31/EG) nämlich auch unionsrechtlich eine Privilegierung der Betreiber fordert, verlangt die Enforcement-Richtlinie (Richtlinie 2004/48/EG), dass Rechteinhaber ihre Rechte auch effektiv durchsetzen können. Der Passus in der Gesetzesbegründung zur 3. TMG-Novelle, die nicht erstattbaren vor- und außergerichtlichen Kosten könnten ja vom anonymen Nutzer beansprucht werden, wirken vor diesem Hintergrund zynisch.
Kern der europarechtlichen Auseinandersetzung wird sein, ob die Verengung der Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auf einen Anspruch auf Inhaltssperren noch den Anforderungen an eine effektive Rechtsdurchsetzung genügt. Sollte der EuGH wieder mit der Materie befasst werden, wird er auch die einzelnen Grundrechtspositionen abzuwägen haben und beurteilen müssen, ob die Lösung des deutschen Gesetzgebers diese hinreichend berücksichtigt.
Für die Betreiber offener Netze bedeutet die neue Rechtslage trotz verbleibender Unwägbarkeiten einen großen Gewinn. Die Störerhaftung ist - wenn auch im Ergebnis nicht völlig verschwunden - doch zumindest gebändigt.
Paetrick Sakowski ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle in Düsseldorf und berät Unternehmen bei allen Fragen des geistigen Eigentums, insbesondere im Patentrecht.
Bundestag verabschiedet 3. TMG-Novelle: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23333 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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