In Städten konkurrieren Wohnungsbau und der Verkehrssektor um verfügbare Flächen. Auch der Klimaschutz muss berücksichtigt werden. Die engen Voraussetzungen der StVO erschweren aber die notwendige Verkehrswende, erklärt Marius Möller.
Seit dem 9. Mai 2015 wird bundesweit der gemeinsam von Bund, Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und weiteren Partnern getragene "Tag der Städtebauförderung" veranstaltet. Unter der Beteiligung von zahlreichen Städten und Gemeinden fanden am 13. Mai 2023 unter dem Motto "Wir im Quartier" verschiedene Veranstaltungen von Stadtteilführungen über Baustellenbesichtigungen und Ausstellungen bis hin zu Stadtteilfesten oder Planungswerkstätten statt.
Grund genug, sich Gedanken über das seit Jahren bestehende Spannungsverhältnis von Städtebau und Verkehr zu machen. In dichtbesiedelten Städten konkurrieren Wohnungsbau und der Verkehrssektor um die letzten verfügbaren Flächen.
Für bestehende Wohnquartiere wird der Kraftfahrzeugverkehr zunehmend zur Herausforderung. Erst kürzlich haben deshalb Städte und Gemeinden wiederholt Tempo 30 sowie eine Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) gefordert, um neben der Sicherheit auch die Lebensqualität in urbanen Gebieten zu verbessern. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, mit welchen rechtlichen Mitteln ein verkehrsgerechtes Stadtbild mit dem Wunsch nach mehr Verkehrsberuhigung und Klimafreundlichkeit in Einklang gebracht werden kann.
Umwege über das Straßenrecht?
Naheliegend ist es, zunächst den Weg über das Straßenrecht zu gehen: Denn die Regelungen über die Planung, den Bau und die Nutzung von Straßen sind dem Straßenrecht vorbehalten, das sich vordringlich mit den Rechtsverhältnissen öffentlicher Straßen befasst.
Die straßenrechtliche Widmung, also ein Verwaltungsakt, legt den Benutzerkreis und die Grund- bzw. Hauptfunktion der Straße im Vorhinein fest. Dadurch können städtebaulichen und stadtgestalterischen Zielen wie Verkehrsberuhigung, Schaffung von Aufenthaltsqualität und Erholungsräumen, Aufwertung des Wohnumfelds, Förderung des geschäftlichen und kulturellen Lebens und Klimafreundlichkeit Rechnung getragen werden.
Sind Straßen bereits gewidmet, können diese Ziele auch noch nachträglich verwirklicht werden. Bei einer Teileinziehung wird die ursprünglich unbeschränkte Freigabe der Straße für den Verkehr aufgehoben und kann beispielsweise zu Gunsten einer bestimmten Verkehrsart bzw. Nutzergruppe eingeschränkt werden. So erfordert etwa die Einrichtung einer Fußgängerzone eine Teileinziehung.
Zwar wird von straßenrechtlichen Instrumenten wie Widmung und Teileinziehung im Rahmen der Verkehrswende wieder zunehmend Gebrauch gemacht. Allerdings täuscht dies über den Umstand hinweg, dass bei den Maßnahmen, die die Verkehrswende einleiten und den Umweltverbund stärken sollen, nach wie vor eine "Vorherrschaft des Straßenverkehrsrechts" (Manssen, DÖV 2001, 151) besteht.
Erste Ansätze zur Verkehrsberuhigung statt "Freie Fahrt für freie Bürger"
Anders als das Straßenrecht soll das Straßenverkehrsrecht die mit der Straßennutzung und dem Kraftfahrzeugverkehr verbundenen Gefahren abwenden. Dazu können auf Grundlage des Straßenverkehrsrechts Verbote, Beschränkungen oder Umleitungen in Form von Verkehrszeichen angeordnet werden – allerdings nur, wenn es der Verkehrssicherheit dient. Die Voraussetzungen sind daher sehr streng. Die angeordneten Verkehrszeichen sorgen nicht nur für einen möglichst gefahrlosen Verkehrsablauf. Mit ihnen lassen sich auch einzelne Verkehrsarten und Verkehrsteilnehmende steuern und privilegieren. Sie eigenen sich daher schlechthin als wirksames Mittel, die Verkehrswende voranzutreiben.
Die Grundlagen dafür hat der Gesetzgeber mit den Novellierungen von StVG und StVO in den 1980er Jahren geschaffen Die StVO soll vorrangig die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sicherstellen. Im Rahmen der Novelle wurde dieses Ziel jedoch um die Möglichkeit, städtebauliche und städteplanerische Ziele auch auf Basis des Straßenverkehrsrechts umzusetzen, erweitert: Durch die neu eingeführten verkehrsberuhigten Bereiche (Zeichen 325 StVO) und die bundeseinheitlich geregelten Verhaltensvorschriften konnten Städte und Gemeinden nun die Grundfunktion einer Straße als Fläche zur Fortbewegung, in Verbindung mit einer entsprechenden baulichen Gestaltung, um eine Aufenthaltsfunktion zu ergänzen.
Aus gutem Grund wurde die Anordnung von verkehrsberuhigten Bereichen nur im Einvernehmen mit der Gemeinde ermöglicht: Es obliegt allein ihrer eigenverantwortlichen Entscheidung, Gestaltungsräume zur Verbesserung des Wohnumfeldes, z.B. durch Verkehrsberuhigung, zu eröffnen und zu nutzen (amtliche Begründung, VkBl. 1980, 520).
Klimaschutz als neuer Nebenzweck der StVO?
Anknüpfend an diesen Gedanken ist der kürzlich geäußerte Vorschlag des Rechtswissenschaftlers Stefan Klinski zu sehen. Er regt an, die Verordnungsermächtigung für die StVO in § 6 Abs. 4 StVG umzuformulieren. Die dort genannten Hauptziele der StVO, wie z. B. die Abwehr von Gefahren, könnten um Nebenzwecke wie Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung ergänzt werden. So könnte man eine schnelle Öffnung des Straßenverkehrsrechts für Verkehrswende und Umweltschutz erreichen.
Flankiert durch ein weiter als bisher gehendes Antragsrecht könnten Städten und Gemeinden initiativ tätig werden und mehr Entscheidungsspielräume erhalten, soweit sich dies noch mit dem grundgesetzlich verankerten Durchgriffsverbot vereinbaren lässt. Dieses besagt, dass die Übertragung von Aufgaben an die Kommunen nicht durch den Bund erfolgen darf, sondern ausschließlich den Ländern vorbehalten ist.
Die Vorteile einer geringfügigen Anpassung des StVG liegen in der kurzfristigen Wirkung: Bei der Auslegung der aktuell geltenden StVO-Regelungen wären die im StVG benannten Nebenzwecke zu berücksichtigen.
Die Wildcard: "zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung"
Eine bisher weniger beachtete und in der Praxis kaum genutzte Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Verkehrsplanung mit städtebaulichen Zielen ist die ebenfalls im Rahmen der Novelle 1980 eingeführte Ermächtigung für Straßenverkehrsbehörden, verkehrsrechtliche Anordnungen "zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung" zu treffen (§ 45 Abs. 1b Nr. 5 Alt. 2 StVO). Um den Gemeinden, den staatlichen Verwaltungsbehörden und den Gerichten die Anwendung und Auslegung der neuen Ermächtigung zu erleichtern, wurde die sperrige Formulierung der "geordneten städtebaulichen Entwicklung" aus dem Bundesbaugesetz (BBauG), dem Vorgänger des Baugesetzbuchs, in StVG und StVO übernommen.
Anordnungsfähig sind grundsätzlich sämtliche verkehrsrechtliche Maßnahmen, etwa Beschränkungen und Verbote, soweit diese eine städtebauliche Komponente aufweisen. Das können beispielsweise für bestimmte Verkehrsteilnehmende vorbehaltene Zonen wie Fußgänger- oder Fahrradzonen oder auch Geschwindigkeitsbegrenzungen wie Tempo 20- oder 30-Zonen sein. Denkbar wäre sicherlich auch die Anordnung von Fußgängerüberwegen, Fahrradstraßen oder Durchfahrtsverboten für Kraftfahrzeuge, soweit die entsprechenden baulichen Voraussetzungen geschaffen werden. Auch der ruhende Verkehr könnte durch die Einrichtung von Haltverbotszonen, Parkbewirtschaftungszonen und Bewohnerparkbereichen im Rahmen eines Parkkonzeptes zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung neu geordnet werden.
Wie weitreichend und beschränkend die angeordneten Maßnahmen sein dürfen, um sich nicht als unverhältnismäßig bzw. rechtswidrig zu erweisen, ist nicht abschließend geklärt und bisher eine Frage des Einzelfalls. Zu Recht plädiert deshalb beispielsweise die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Fußverkehrspolitik der Verkehrsministerkonferenz dafür, die Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) anzupassen: Durch die explizite Erwähnung von Fuß-, Rad- und Nahverkehrsplänen als Grundlage für eine Anordnung zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung soll Rechtssicherheit für die Umsetzung von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen geschaffen werden.
StVO nach wie vor reformbedürftig
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat die für den Erlass einer solchen Anordnung erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen bisher nur umrissen: So muss die Gemeinde hinreichend konkrete, verkehrsmäßige Planungen in einem bestimmten räumlichen Bereich anstellen und ein städtebauliches Verkehrskonzept erstellen. Dieses Konzept muss dann von den zuständigen kommunalen Gremien beschlossen werden, planerischen Erwägungen genügen und die entstehenden Be- und Entlastungen insbesondere für Anwohner von betroffenen Straßenzügen darlegen (BVerwG, Urt. v. 20.04.1994, Az. BVerwG 11 C 17.93). Dazu sind unter anderem die erwarteten Verkehrsmengen in den einzelnen Straßen zu benennen und die Auswirkungen für die betroffenen Interessengruppen (z. B. Durchgangsverkehr, Anwohner, Gewerbebetriebe, Öffentlicher Personennahverkehr) abzuwägen.
In ihrem Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen" hat sich die Ampelkoalition eine Reform des Straßenverkehrsrechts auf die Fahnen geschrieben, welche neben Klima- und Umweltschutz auch die städtebauliche Entwicklung stärker in den Blick nimmt. Bis dahin stehen einige, wenn auch nicht ganz scharfe, straßenverkehrsrechtliche Instrumentarien zur Verfügung, die zur Förderung der städtebaulichen Entwicklung genutzt werden können. Doch dazu bedarf es ausgeklügelter Verkehrskonzepte, einer breiten Öffentlichkeitsbeteiligung und der notwendigen politischen Beschlüsse auf kommunaler Ebene.
Der Autor Marius Möller ist Beamter im gehobenen Dienst einer kommunalen Straßenverkehrsbehörde. Zuletzt war er außerdem nebenamtlicher Lehrbeauftragter an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) im Bereich Straßen- und Verkehrsrecht.
Tag der Städtebauförderung: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51770 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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