SWR macht Publikum wieder zum Richter: "Eine zeitlose Idee"

von Claudia Kornmeier

26.03.2014

Während die Privaten ihren letzten Fernsehrichter in den Ruhestand versetzt haben, versucht es der SWR mit einem alten Format: Dem Studiopublikum wird ein realer Fall präsentiert, anschließend darf es über Schuld oder Unschuld des Angeklagten abstimmen. Filme in Tatort-Qualität und Messinstrumente aus dem US-Wahlkampf machen daraus eine topmoderne Sendung, meint Moderator Frank Bräutigam.

LTO: Das Format ist ja nicht ganz neu. Bis zum Jahr 2000 lief im ZDF "Wie würden Sie entscheiden?". Die Privatsender hatten eine ganze Reihe von Gerichtssendungen, im vergangenen Jahr haben sie sich allerdings mit Richter Alexander Hold von der letzten TV-Gerichtsshow verabschiedet. Bei einem Wettbewerb von ZDF neo hat es dann vor ein paar Monaten Michel Friedman noch einmal mit "Der Richter in dir" versucht, die Sendung konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Warum legt nun der SWR mit "Ihr Urteil, Bitte!" ein ganz ähnliches Konzept auf? Ist Ihnen nichts Neues eingefallen?

Bräutigam: Die Grundidee von "Wie würden Sie entscheiden?" ist einfach zeitlos gut, darauf kann man immer aufbauen. Da gehört es geradezu zu meiner Pflicht als Leiter einer Rechtsredaktion, darüber nachzudenken, ob man ein solches Format nicht in einem neuen Gewand wieder aufziehen kann.

Dr. Frank BräutigamDie Grundidee, dass das Studiopublikum über einen Fall abstimmt, bleibt erhalten. Wir haben aber versucht, das sehr modern aufzubereiten. Zum einen sind die Filme, mit denen wir den Fall präsentieren, extrem hochwertig. Ich würde behaupten, die haben Tatort-Qualität. Zum anderen nutzen wir modernste Messinstrumente, die man aus dem US-Wahlkampf kennt. Während der Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung können die Zuschauer im Publikum darüber abstimmen, ob die Argumentation sie überzeugt oder nicht. Für das Fernsehpublikum werden die Ergebnisse dieser Abstimmung grafisch eingeblendet. Mit solchen Mitteln versuchen wir, aus einer alten Idee eine topmoderne Sendung zu machen.

"Es geht um die Grenzen des Notwehrrechts"

LTO: Was soll sonst noch anders gemacht werden?

Bräutigam: Wir spielen nicht nach wie in den Gerichtsshows. Das misslingt meistens, weil man dann versucht, alles extrem real und detailgetreu nachzuahmen.

Stattdessen zeigen wir dem Studiopublikum den Fall in einem kurzen Film und lassen es darüber abstimmen, ob es den Angeklagten für schuldig hält. Dann plädieren ein Staatsanwalt und eine Verteidigerin, anschließend stimmt das Publikum noch einmal ab, eventuell gibt es Veränderungen. In einem letzten Schritt lösen wir auf, wie die Gerichte wirklich entschieden haben und erklären die Entscheidungsgründe. Wir wollen die Leute nicht ratlos mit dem Urteil zurücklassen.

LTO: Um was für einen Fall wird es gehen?

Bräutigam: Den genauen Fall will ich noch nicht verraten, weil das dem Publikum zu Hause die Spannung nehmen würde. Nur so viel: Es geht um einen Fall aus dem Strafrecht, es geht um Mord und Totschlag, und es geht um die Grenzen des Notwehrrechts.

LTO: Wie haben Sie diesen Fall ausgewählt?

Bräutigam: Wir wollten für die erste Sendung Strafrecht nehmen, weil das doch am konkretesten ist. Wobei man in weiteren Sendungen sicherlich auch sehr gut Zivilrecht machen kann. Wichtig ist natürlich, dass der Fall Diskussionspotential hat, beide Seiten müssen gut vertretbar sein.

LTO: Die Grenzen des Notwehrrechts – das klingt nach einer komplizierten rechtlichen Würdigung. Wie bringt man das zusammen mit dem doch eher intuitiven Urteil der Zuschauer, zumal dem ersten, das noch vor den Plädoyers gefasst wird und gar nicht auf einer rechtlichen Würdigung basieren kann?

Bräutigam: Am Ende der Sendung erkläre ich das Urteil gemeinsam mit einem Strafrichter vom Oberlandesgericht Karlsruhe. Da können wir uns sehr viel mehr Zeit nehmen als in einer Nachrichtensendung, die Hintergründe erklären und den Leuten klarmachen, dass sie den Fall etwas abstrakter betrachten müssen, nicht nur den einen Bösen aus dem konkreten Fall sehen dürfen, sondern überlegen müssen, dass sie selbst auch einmal in eine Notwehrsituation geraten könnten.

"Nicht nur die Quote entscheidet über die Zukunft der Sendung"

LTO: Durfte man auch als Jurist ins Publikum?

Bräutigam: Wir haben nicht auf konkrete Lebensläufe geguckt, aber schon darauf geachtet, dass wir ein bunt gemischtes Publikum haben. Bei der Diskussion mit dem Publikum hatte ich den Eindruck, dass die meisten Laien waren, aber sehr interessierte Laien.

LTO: Sind Staatsanwalt und Verteidiger echt?

Bräutigam: Ja, als Staatsanwalt haben wir Florian Gliwitzky gewonnen, das ist der stellvertretende Pressesprecher der Staatsanwaltschaft in München. Verteidigerin ist Ricarda Lang, die unter anderen die sogenannte Sauerlandgruppe verteidigt hat.

LTO: Die Sendung am Mittwoch ist nur ein Pilot. Woran wird sich entscheiden, ob die Sendung fortgesetzt wird?

Bräutigam: Das hängt davon ab, wie sie beim Publikum ankommt. Dabei geht es nicht nur um die Quote. Wir haben ein großes Internetspecial. Auch die Fernsehzuschauer können dort während der Sendung abstimmen oder sich im Chat austauschen. Anhand dieses Gesamtpakets der Reaktionen wird entschieden, wie es mit der Sendung weitergeht.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Frank Bräutigam leitet die ARD-Rechtsredaktion des SWR in Karlsruhe und moderiert den "Ratgeber: Recht" im Ersten.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

"Ihr Urteil, bitte!" wird am Mittwoch, den 26. März 2014 um 20:15 Uhr im SWR ausgestrahlt.

Zitiervorschlag

Claudia Kornmeier, SWR macht Publikum wieder zum Richter: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11451 (abgerufen am: 02.11.2024 )

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