Sterbehilfe: 5 Fragen an Christian Hillgruber: "Das Recht muss das Leben unter allen Umständen schützen"

von Pia Lorenz

05.11.2015

Am Freitag stimmt der Bundestag über vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe ab. Christian Hillgruber würde für ein Verbot der Beihilfe zum Suizid stimmen. Gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden, um der Menschenwürde willen.

Prof. Dr. Christian Hillgruber ist

  • Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
  • Vorsitzender der Juristenvereinigung Lebensrecht e.V.
  • Mitherausgeber der Zeitschrift für Lebensrecht
  • evangelischer Christ - obwohl ihn fast alle für katholisch halten
  • überzeugt davon, dass  nicht nur das Bewusstsein das Recht prägt, sondern auch das Recht das Bewusstsein.

LTO: Was würden Sie tun, wenn Sie als Bundestags-Abgeordneter am Freitag über die vier vorgelegten Gesetzentwürfe abstimmen müssten?

Hillgruber: Ich würde für den Gesetzentwurf über die Strafbarkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung stimmen. Mit einem ausnahmslos geltenden, strafbewehrten Verbot der Teilnahme an einer Selbsttötung, wie es etwa auch in England und Wales besteht, hält die Rechtsordnung gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden um der Menschenwürde willen daran fest, dass das Leben unter allen Umständen ein erhaltenswertes Gut darstellt.

Die anderen Entwürfe sind ihrer Schutzwirkung sämtlich mehr oder weniger defizitär, die Entwürfe "über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung" und  "zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung" zudem bereits mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes formell verfassungswidrig, soweit sie entgegenstehendes ärztliches Standesrecht aushebeln wollen.

Nur die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen, wie es der  Entwurf "zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" beabsichtigt, greift zu kurz. Es bestehen auch und gerade im engeren familiären Umfeld des Sterbenskranken Abhängigkeiten und Erwartungshaltungen, welche eine freiverantwortliche Entscheidung am Lebensende strukturell gefährden.

"Auch wer einem Lebensmüden hilft, beteiligt sich an der Tötung eines Menschen"

LTO: Wie beurteilen Sie die jetzige Rechtslage?

Christian HillgruberHillgruber: Ich sehe, gerade im Verhältnis zu § 216 Strafgesetzbuch (StGB), eine Strafbarkeitslücke, die de lege ferenda geschlossen werden sollte. Auch wer einem Lebensmüden Suizidhilfe leistet, beteiligt sich an der Tötung eines – aus seiner Sicht – anderen Menschen. Sein Tatbeitrag hat zwar geringeres Gewicht als eine eigenhändige Tötung auf Verlangen. Das rechtfertigt aber keine generelle Straflosigkeit.

Dass auch die "bloße" Teilnahme an der Selbsttötung einem täterschaftlichen Angriff auf das für den Teilnehmer fremde Leben in seiner Bedeutung gleichkommen kann, macht der Fall der Anstiftung deutlich: Wer einen anderen, noch nicht, jedenfalls nicht endgültig zur Selbsttötung entschlossenen Menschen zu diesem Schritt verleitet, den tödlichen Entschluss in ihm erst hervorruft, ist für den anschließenden Tod dieses Menschen nicht weniger verantwortlich als derjenige, der auf Verlangen tötet.

LTO: Sie halten eine Änderung für nötig?

Hillgruber: Wie gesagt würde ein Verbot der Beihilfe zum Suizid den strafrechtlichen Schutz durch § 216 Strafgesetzbuch (StGB) sinnvoll ergänzen - auch weil die Abgrenzung zwischen Fremdtötung auf Verlangen und bloßer Mitwirkung am Suizid prekär ist. In der Praxis verschwimmen die Grenzen und der kategoriale Unterschied, den insoweit das geltende Strafrecht macht, ist verfassungsrechtlich betrachtet nur ein gradueller.

Für Grenzsituationen, die dem Suizidenten und dem Gehilfen gleichermaßen ausweglos erscheinen und bei denen eine Kriminalstrafe für eine Unterstützungshandlung ausnahmsweise nicht adäquat ist, kann schon nach geltendem  Straf- und Strafprozessrecht von Verfolgung und Strafe abgesehen werden.

"Entscheidend muss das Verständnis der Väter und Mütter des GG sein"

LTO: Worauf stützen Sie Ihre Auffassung juristisch?

Hillgruber: Ich stütze mich in meiner juristischen Argumentation in erster Linie auf die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, GG), ergänzend auf das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG).

Die staatliche Schutzpflicht für das menschliche Leben kommt allerdings nur zum Tragen, wenn der Suizident nicht freiwillig aus den Leben scheiden will. An die Freiwilligkeit sind allerdings wegen der Irreversibilität des Suizids besonders strenge Anforderungen zu stellen, die nur äußerst selten erfüllt sein dürften.

LTO: Wie "juristisch" ist Ihre Argumentation - in dieser zutiefst persönlichen, womöglich von Religion, Ethik oder anderen Überzeugungen geprägten Frage?  

Hillgruber: Selbstverständlich nehme ich für mich in Anspruch, mit dem geltenden Verfassungsrecht zu argumentieren; aber dieses Verfassungsrecht ist auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Dabei fließen – das ist heute allgemein anerkannt – Vorverständnisse unvermeidlich mit ein, bei mir wie auch bei allen anderen Interpreten der Verfassung. Entscheidend muss sein, welches Vorverständnis dem m.E. maßgeblichen Verständnis der Väter und Mütter des Grundgesetzes am nächsten kommt.

Die Fragen stellte Pia Lorenz.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Sterbehilfe: 5 Fragen an Christian Hillgruber: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17440 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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